Süddeutsche Zeitung

Machtverhältnisse in der Länderkammer:Buhlen um den Bundesrat

Eine große Koalition hätte zwar im Bundestag eine Mehrheit, nicht aber im Bundesrat. Deshalb wollen Union und SPD in Koalitionsverhandlungen darauf achten, die Länderkammer mit Zugeständnissen freundlich zu stimmen. Die Ideen der Parteien sind nicht billig.

Von Robert Roßmann, Berlin

Sieben Jahre nach ihrem Inkrafttreten hat die Föderalismusreform ihr wichtigstes Ziel doch noch erreicht. 2006 hatten sich die damalige große Koalition und der Bundesrat auf eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Ländern verständigt. Dadurch sollte die Wahrscheinlichkeit gegenseitiger Blockaden von Regierung und Bundesrat verkleinert werden.

Zu welchen Auswüchsen Versteifungen zwischen Verfassungsorganen führen können, hat gerade der Shutdown in den USA gezeigt. Mit der Föderalismusreform sollte deshalb vor allem der Anteil der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze reduziert werden. Die Vorsitzenden der Föderalismuskommission, Edmund Stoiber (CSU) und Franz Müntefering (SPD), hatten dabei als Zielmarke "35 bis 40 Prozent" vorgegeben.

Ziel erreicht

Eine Auswertung des Bundesrates für die Süddeutsche Zeitung zeigt, dass dieses Ziel jetzt erreicht ist. Demnach waren in der zu Ende gehenden Legislaturperiode bisher 38,9 Prozent der Gesetze zustimmungspflichtig. Von der Gründung der Bundesrepublik 1949 bis zum Inkrafttreten der Föderalismusreform am 1. September 2006 waren es noch 53 Prozent. In einigen Legislaturperioden lag der Anteil sogar bei 60 Prozent.

Die gelungene Teilentflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern dürfte auch die Arbeit der neuen Bundesregierung erleichtern. Schließlich wird eine große Koalition von Anfang an ohne Mehrheit in der Länderkammer sein. Sowohl die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder (SPD) als auch die noch amtierende schwarz-gelbe Regierung von Angela Merkel (CDU) hatten eine bessere Ausgangslage: Diese konnten sich bei ihrem Amtsantritt auf eine Mehrheit im Bundesrat stützen. Schröder verlor diese jedoch 1999 nach der Wahl in Hessen, Merkel 2010 nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen.

Die gesunkene Zahl an zustimmungspflichtigen Gesetzen ist zwar hilfreich, löst das eigentliche Problem - die fehlende Mehrheit im Bundesrat - aber nicht. Das Verhältnis des Bundes zu den Ländern spielt deswegen in den schwarz-roten Sondierungsgesprächen eine große Rolle. In den Delegationen sitzen mit Horst Seehofer, Stanislaw Tillich, Volker Bouffier, Olaf Scholz und Hannelore Kraft ja bereits fünf Ministerpräsidenten.

Auf den Bund kommen kosten zu

Bei CDU, CSU und SPD setzt sich die Erkenntnis durch, dass man in Koalitionsverhandlungen nicht nur auf die Interessen des Bundes schauen darf, sondern vorsorglich Entlastungen für die Länder mitbeschließen muss. Ein Teilnehmer der Sondierungen sagte, man hoffe den rot-rot-grün dominierten Bundesrat mit Zugeständnissen freundlich stimmen zu können - und dadurch ständige Blockaden durch die Länderkammer zu vermeiden. Dabei geht es vor allem um die Bund-Länder-Finanzen, um Geld für die Verkehrsinfrastruktur sowie um Hilfen für die Kommunen. So wünschen die Länder etwa, dass der Bund die Kosten für die Eingliederungshilfe für Behinderte übernimmt - diese tragen bisher weitgehend die Kommunen. Zur Debatte steht eine schrittweise Übernahme aller Kosten durch den Bund. Dabei geht es um gewaltige Summen, für die Eingliederungshilfe werden derzeit insgesamt 13 Milliarden Euro ausgegeben.

Bei der Verkehrsinfrastruktur wird eine Verständigung auf Grundlage des sogenannten Bodewig-Papiers diskutiert. Eine Kommission unter Leitung des ehemaligen Verkehrsministers Kurt Bodewig hatte Anfang Oktober eine achtseitige Empfehlung präsentiert. Darin wird unter anderem eine deutliche Ausweitung der Lkw-Maut verlangt. Allein dadurch sollen vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich erlöst werden. Die Länder leiden bisher unter den hohen Ausgaben für den Erhalt ihrer Verkehrsinfrastruktur. An der Debatte über das Bodewig-Papier ist auch die CSU interessiert, für sie ist es der Türöffner zu Gesprächen über die Pkw-Maut.

Die Koalitionsgespräche werden also den Charakter einer neuen Föderalismuskommission bekommen. Dabei dürfte die gesamte Tektonik der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf der Tagesordnung stehen.

Mittelfristig könnte sich die Lage einer großen Koalition gegenüber dem Bundesrat allerdings noch deutlich verbessern. Falls es in Hessen zu einem Bündnis von CDU und SPD käme, müsste nur noch ein weiteres Land ins Große-Koalition-Lager wechseln - und die neue Regierung hätte auch im Bundesrat eine Mehrheit. Die Hoffnung liegt dabei auf Brandenburg und dessen neuem Ministerpräsidenten. Dietmar Woidke (SPD) gilt als Befürworter einer großen Koalition. In Brandenburg wird im Herbst 2014 gewählt. Anschließend könnte Woidke statt mit den Linken mit der CDU eine Regierung bilden. Bis 2009 hatte es in Brandenburg bereits eine große Koalition gegeben.

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SZ vom 18.10.2013/webe
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