Süddeutsche Zeitung

Machtrochade in Russland:Wladimir, der Ewige - und Dima, die lahme Ente

Ein Coup, der viele verbittert: Nach einem Intermezzo als Ministerpräsident steuert der mächtige Wladimir Putin mit seiner erneuten Präsidentschaftskandidatur wieder das wichtigste Amt Russlands an. Selbst manche politischen Weggefährten sind verstört, ein wichtiger Minister kündigt seinen Rückzug an. Und die zukünftige Rolle von Noch-Staatschef Medwedjew ist noch rätselhaft.

Frank Nienhuysen, Moskau

Als der Parteitag zu Ende war und die russische Fernsehreporterin draußen am Absperrgitter den Abgeordneten Jegor Atanow stellte, hatte sie überhaupt keine Frage. Sie hielt sich das Mikrofon hin und sprach von einem "grandiosen Ereignis für Russland, das wir gerade erlebt haben". Sie strahlte dabei wie die Sonne, die in diesem Moment die Wolken über Moskau durchbrach.

Atanow wollte da nicht widersprechen. Er sagte: "Ja, Wladimir Putin ist ein starker, erfahrener Führer. Das Land bewegt sich jetzt nach vorn." Als der deutsche Zeitungskollege kurz darauf nachhakte, ob Präsident Dmitrij Medwedjew demnach also schon seit fast vier Jahren ein schwacher Führer sei, sprach Atanow wolkig von einem "Kollektiv", das die beiden künftig bilden würden. Ob man es denn aber auch noch ein Tandem nennen könne? Da wurde Atanow unruhig und suchte Halt bei einem anderen Abgeordneten. "Dima!" rief er, wie um sich erst beraten zu wollen. Aber Dima war schon ein paar Schritte weiter gegangen, und so fasste sich Atanow ein Herz. "Ja, man könnte es noch sagen", erklärte er unsicher. "In einem guten Sinne." Dann war er weg.

Dass Russland seit 2008 von einem Duo regiert wird, hat viele Menschen in diesem Land irritiert. Als Medwedjew und Putin bei einem durchchoreografierten Auftritt beidem Parteitag von Einiges Russland ihren Ämtertausch bekannt gaben, war die Erleichterung der Delegierten groß. Für viele ist es, als komme alles nun zurück an seinen rechten Platz. Oben ist wieder oben, und Putin - der mächtigste Politiker in Russland - erhält nun auch wieder das wichtigste Amt.

Der Parteitag ist Putins Bühne. Er ist Vorsitzender von Einiges Russland, und jetzt ist er auch dessen Kandidat für die Präsidentenwahl am 4. März. Das Ergebnis ist reine Formsache. Medwedjew wird Ministerpräsident und soll künftig die Regierungspartei führen.

Medwedjew soll zusätzlich all jene Russen bei der Parlamentswahl Anfang Dezember für die Partei gewinnen, die in ihm wenigstens einen zaghaften Reformer sehen: liberaler als Putin, fortschrittlicher, konzilianter, berechenbarer. Immer wieder ist Medwedjew zuletzt von diesem Lager gedrängt worden, seine Kandidatur endlich auszurufen, weitere sechs Jahre im Kreml zu regieren, damit er sich frei schwimmen könne von seinem übermächtigen Mentor. Als Ministerpräsident ist Medwedjew künftig zwar ohnehin für die Grundzüge der Wirtschaftspolitik zuständig, aber dieses Amt ist in Russland nur so einflussreich wie der Präsident es zulässt.

Oder wer kann sich schon noch an Michail Fradkow erinnern, an Michail Kassjanow? Einer blieb dem Schauspiel in der Sportarena von Luschniki deshalb fern, verbittert, enttäuscht: Arkadij Dworkowitsch, einer der engsten Berater von Präsident Medwedjew. Als er von der beschlossenen Rückkehr Putins erfuhr, nutzte er jenes Instrument, mit dem auch Medwedjew stets zeigen wollte, dass er als Kremlchef auf der Höhe der Zeit ist: Er twitterte.

Dworkowitsch schrieb, dass dieser Parteitag "in der Tat kein Grund zur Freude ist. Man sollte in dieser Sporthalle lieber Eishockey spielen". Dass die Berater und politischen Freunde von Putin und Medwedjew jeweils mehr zu verlieren haben als die Protagonisten selber, könnte zu der schnellen Entscheidung beigetragen haben. Die Dumawahl im Dezember erst noch abzuwarten, galt wegen der mäßigen Umfrageergebnisse vor allem im Putin-Lager offensichtlich als ein zu großes Risiko.

Dass es diese Strömungen gibt, wurde an diesem Sonntag deutlich. Finanzminister Alexej Kudrin, zugleich Vizepremier, kündigte überraschend deutlich seinen Rücktritt aus dem Kabinett an. Die Meinungsunterschiede zu Medwedjew seien "nicht zu überbrücken", sagte er.

Ein Riss zwischen Präsident und Premier ist hingegen nicht zu erkennen. Putin und Medwedjew kennen sich viele Jahre, sind einander bestens vertraut, das haben sie immer wieder betont. Beide kennen sich schon aus gemeinsamen Zeiten in der St. Petersburger Stadtverwaltung, Putin machte als Kremlchef Medwedjew zum Leiter der Präsidialadministration, setzte ihn als Aufsichtsratschef von Gazprom ein und berief ihn als stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Im Moskauer Machtnetz ist Medwedjew schon seit langem ein wichtiger Faden. Und so, wie Boris Jelzin sich einst den damaligen Geheimdienstchef Putin als Nachfolger aussuchte, so genau schaute auch Putin auf seinen Nachfolger. Es sollte ja nur für vier Jahre sein. Putin brauchte einen loyalen, zugleich schwachen Präsidenten - eine lahme Ente.

Wie viele Ambitionen Medwedjew auch nachgesagt wurden, doch noch einmal selber für die Präsidentschaft zu kandidieren: Er muss Co-Autor des Putinschen Vier-Jahres- Plans gewesen sein, der nach zwei Perioden im Kreml und der jetzigen Auszeit im nächsten Frühjahr wieder in die Präsidentschaft mündet. Medwedjew selber hat die Verlängerung der Amtszeit auf sechs Jahre verkündet, in Russland geschieht nichts zufällig. Bis 2024 könnte Putin also das Land führen. Welcher Platz da langfristig für Medwedjew bleibt, weiß niemand. Es wird auch davon abhängen, ob Russland tatsächlich zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt wird, wie Putin dies in seiner Parteitagsrede angekündigt hat.

Manche zweifeln offenbar daran. Wie der Mann aus der Wolgastadt Saratow, der am Wochenende zum Parteitag kam. Er wollte seinen Namen nicht sagen, denn das, was er durchblicken ließ, ist nicht das, was auf der Jubelveranstaltung beschlossen wurde. Er hält Medwedjew für einen schwachen Präsidenten und Putin für einen starken. Und doch sähe er irgendeinen anderen wohl noch lieber. Den anderen aber, das ist jetzt klar, den gibt es nicht.

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SZ vom 26.9.2011/aho
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