Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in der Ukraine:Klitschkos Rückzug setzt Timoschenko unter Druck

Er kann nicht gewinnen, deshalb tritt Vitali Klitschko zur Seite. Der Oppositionspolitiker will Bürgermeister von Kiew, aber nicht Präsident der Ukraine werden. Seine Entscheidung ist uneitel und raffiniert. Sie sollte Julia Timoschenko zu denken geben.

Eine Analyse von Cathrin Kahlweit

Es war eine kluge Entscheidung, und eine uneitle dazu. Ein Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko hätte sich großer medialer Aufmerksamkeit sicher sein können und gewiss auch viel Beifall aus dem Westen bekommen. Aber hätte er auch gute Chancen auf einen Sieg gehabt?

Klitschko, Chef der Udar-Partei, Ex-Boxer, Lieblingspolitiker der europäischen Konservativen, lag in ersten Meinungsumfragen zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine bei knapp zehn Prozent. Zu wenig, um selbst zu gewinnen. Genug, um einem aussichtsreichen Kandidaten zu schaden.

Deshalb verkündete er am Samstag, er sei nunmehr ein Ex-Kandidat. Er wolle nicht mehr Staatschef, sondern Stadtchef werden und bewerbe sich um das Amt des Bürgermeisters von Kiew.

Poroschenkos Chancen massiv erhöht

In der Hauptstadt sind seine Chancen weitaus besser, hier hat er Erfahrung. Zweimal hat er schon für das Bürgermeisteramt kandidiert, wenn auch erfolglos. Dieses Amt ist nicht ganz so groß, so uferlos, so gefährlich, so gewaltig wie die Aufgabe, auf die er nun freiwillig verzichtet: die ganze Ukraine aus der politischen und ökonomischen Gefahrenzone zu bringen.

Vor allem hat Klitschko mit der Entscheidung einen klugen taktischen Zug gemacht, der dem Land dienen soll und schon deshalb ungewöhnlich ist für ukrainische Verhältnisse, wo Politik immer und zuallererst betrieben wurde, um den eigenen Vorteil zu mehren: Klitschko hat die Chancen des aussichtsreichsten Kandidaten, des Oligarchen, Schokoladenproduzenten, Parlamentsabgeordneten und Oppositionspolitikers Petro Poroschenko massiv erhöht.

Der liegt in aktuellen Umfragen bei 25 Prozent, weit vor Klitschko, und weit vor Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, die vor wenigen Tagen ihre Kandidatur offiziell verkündet hatte und bei etwa acht Prozent rangiert. Die einzige Chance für die demokratischen Kräfte, am 25. Mai zu gewinnen, sagte Klitschko zur Begründung, bestehe darin, jenen Kandidaten zu nominieren, der "die breiteste Unterstützung hat". Sein Ziel: keine Zersplitterung der Kräfte, an einem Strang ziehen, die Interessen bündeln.

Spezialeinheiten in der Schokoladenfabrik

Der Schritt ist damit auch ein indirekter Aufruf an die Rivalin Timoschenko: Wenn sie auch zurückzöge, wären Poroschenkos Chancen mehr als gut, sie wären hervorragend. "Lasst uns das Prinzip 'Zwei Ukrainer, drei Chefs' hintenan stellen", sagte Klitschko und kündigte seinerseits an, den Geschäftsmann und früheren Kurzzeit-Außenminister Poroschenko zu unterstützen.

Der hatte lange mit seiner Bewerbung gezögert. Erst am Freitag kündigte der Unternehmer an, Präsident werden zu wollen. Zuletzt hatte sich der ukrainische "Schokoladenkönig", der mit seiner Firma "Roshen" auch in Russland große Umsätze erwirtschaftete, vor allem um seine Fabriken in Russland gesorgt. Russische Spezialeinheiten hatten vor zwei Wochen eine Produktionsanlage von Roshen in Russland gestürmt, die Produktion lahmgelegt und offiziell nach illegalen Arbeitskräften gesucht. Zeitgleich waren Lastwagen mit Poroschenkos Produkten an der Grenze aufgehalten worden.

Der Unternehmer und unabhängige Abgeordnete führte das auf seine politische und finanzielle Unterstützung der demokratischen Opposition und jetzigen Regierung in der Ukraine zurück. Auf dem Gipfel von Vilnius hatte er für das Assoziierungsabkommen mit der EU plädiert, auf dem Maidan hatte er für den Volksaufstand gegen Janukowitsch geworben. Trotzdem gilt er den demokratischen Kräften als aussichtsreicher Kandidat - eben weil er mit Russen Geschäfte gemacht hat und im prorussischen Osten der Ukraine Stimmen holen könnte.

Die Reaktionen auf Klitschkos Schritt waren überwiegend positiv. Denn das mittlerweile fast schon unübersichtliche Feld von Präsidentschaftskandidaten - einige frühere Weggefährten von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch sind darunter, ein Kommunist, ein Rechtsextremist, eine oppositionelle Ärztin, ein ehemaliger Generalstaatsanwalt, ein jüdischer Verbandsvertreter - ist so zersplittert und voller wenig aussichtsreicher Bewerber, dass manch einer in Kiew schon frustriert von einem "politischen Zoo" sprach.

Gewaltige Aufgaben

Dabei sind warten gewaltige Aufgaben auf den neuen Staatschef: der drohende Krieg mit Russland, die Annexion der Krim, die Umsetzung radikaler Wirtschaftsreformen, die Befriedung des Ostens, die Bekämpfung radikaler Kräfte.

Auch Julia Timoschenko gilt in der Ukraine nicht gerade als politische Lichtgestalt. Sie war zwar jene Person, an der die EU die Kooperationsbereitschaft von Ex-Präsident Janukowitsch festgemacht hatte. Für Ihre Rehabilitierung hatten sich viele Politiker in Brüssel eingesetzt. Doch man hat ihr nicht vergessen, wie sie zu ihrem Vermögen kam und wie sie - im Dauerzwist mit Ex-Präsident Viktor Juschtschenko - die Hoffnungen der Orangenen Revolution untergrub.

Zwar sagte Timoschenko bei ihrer Bewerbungsrede Mitte vergangener Woche, sie werde und könne den Kampf gegen Wladimir Putin aufnehmen, brauche dafür aber "die ganze Macht". Eben das stößt in der Ukraine zunehmend auf Skepsis. Auch in ihrer eigenen Partei, Batkiwschtschyna, waren zuletzt Stimmen laut geworden, die dafür geworben hatten, Timoschenko nicht allein antreten zu lassen, sondern einen zweiten Kandidaten ins Rennen zu schicken. Zu gering werden ihre Siegeschancen eingeschätzt.

Der Schritt von Vitali Klitschko vom Samstag hat nun auch auf sie den Druck erhöht, sich im Sinne der gemeinsamen Sache aus dem Rennen zurückzuziehen.

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