Ihor Kolomojskij ist als Gouverneur von Dnjepopetrowsk zurückgetreten. Was auf den ersten Blick wie eine banale Personalie klingt, ist womöglich nur der erste Höhepunkt in einem Machtkampf, der die Ukraine stärker destabilisieren könnte als alle politischen Auseinandersetzungen seit dem Regierungswechsel in Kiew vor einem Jahr.
Denn Kolomojskij ist nicht irgendwer, und der öffentlich ausgetragene Streit zwischen dem mächtigen Oligarchen einerseits und Parlament, Regierung und Präsident andererseits dominiert die Schlagzeilen seit Tagen. Was wie das Ende eines internen Krieges um die Vormacht im Energiesektor aussieht, könnte sich zu einem realen Kampf um die Vormacht in jenem Teil des ukrainischen Ostens entwicklen, der noch nicht regiert wird von pro-russischen Separatisten.
Vergangene Woche beschloss das Parlament in Kiew ohne Gegenstimme ein Gesetz, mit dem das Quorum bei Gesellschafterversammlungen in staatlich kontrollierten Unternehmen von 60 auf 51 Prozent reduziert wird. Nicht von ungefähr lief das Gesetz in der Werchowna Rada auch unter "Lex UkrNafta", denn in diesem Unternehmen kontrollierte Multimilliardär Kolomojskij mit seiner bisherigen Sperrminorität von 43 Prozent alle Managemententscheidungen. Von nun an reichen dem Staat seine 51 Prozent der Anteile, um sich aus der ökonomischen Umklammerung des Oligarchen zu befreien.
Bewaffnete Trupps vor der Konzernzentrale
Nach der Abstimmung am vergangenen Freitag marschierten im Auftrag des Oligarchen vor der Konzernzentrale von UkrNafta und deren Tochterunternehmen UkrTransNafta bewaffnete Trupps auf, die Eingänge blockierten, Büros besetzten und herbeigeeilte Abgeordnete verprügelten. In der Nacht erschien Kolomojskij selbst auf der Bildfläche und stieß, wie auch später bei einem Interview in seinem eigenen Fernsehsender, Flüche und Drohungen gegen die Regierung aus.
Diese reagierte hochnervös. Denn der Mann aus Dnjepropetrowsk ist mit seiner Bankenkette "Privatbank" und zahlreichen Firmenbeteiligungen nicht nur seit langem einer der mächtigsten Unternehmer im Land, der unter Kabarettisten zu Janukowitsch-Zeiten - neben den Oligarchen Rinat Achmetow und Dmitro Firtasch - als "dreiköpfiger Drache" firmierte. Vor allem aber hatte Kolomojskij, der als brutal und skrupellos gilt, im Südosten des Landes für Ruhe gesorgt.
Nach dem Regimewechsel als Gouverneur von Dnjepropetrowsk zur Stabilisierung der Lage eingesetzt, finanzierte er mit seinem Geld Freiwilligen-Bataillone, die vor allem in der Region um Mariupol an der sensiblen Südflanke auf dem Weg zur Krim die vorrückenden Separatisten-Truppen bekämpften. Pro-russische Abspaltungsbewegungen in seinem eigenen Machtbereich unterdrückte er, und auch die volatilen Nachbarbezirke Saporoschija und Odessa, die auf der Landkarte "Neurusslands" auftauchen, wurden von Handlangern Kolomojskijs kontrolliert - und weitgehend ruhig gehalten.
Drohungen von beiden Seiten
Nun aber, nach dem Showdown in Kiew, könnte sich das blitzartig ändern. In der Nacht zum Mittwoch traf sich Präsident Petro Poroschenko mit dem Gouverneur, der nach Angaben der Präsidialkanzlei ein Rücktrittsangebot auf den Tisch legte, das der Präsident umgehend annahm. Vorausgegangen war die Drohung Kolomojskijs, er könne jederzeit mit ein paar tausend Mann in das Regierungsviertel einrücken. Die Regierung konterte mit einem Ultimatum zur Räumung der von Milizen besetzten Konzernzentralen und der Ankündigung des Präsidenten, man werde "Privatarmeen" nicht dulden und alle Milizen und Freiwilligen-Bataillone umgehend restlos in die Armee-Strukturen integrieren.
Was aber am Dienstag wie ein Burgfrieden aussah, bereitet den Verantwortlichen in Kiew große Sorgen. Aus der Präsidialverwaltung ist zu hören, Kolomojskij habe ein "massives Risiko" dargestellt und mit seinen Unternehmen quasi-mafiöse Strukturen aufgebaut. Er habe riesige Profite aus Staatsunternehmen abgeschöpft und große Teile der besonders korruptionsanfälligen Energiebranche kontrolliert.
Der Mann, der gern als einer bezeichnet wird, der "zu reich" sei, "um bestechlich zu sein", habe damit die aktuellen Bemühungen, die Macht der Oligarchen zugunsten von mehr Rechtsstaatlichkeit und Transparenz zurückzudrängen, aktiv torpediert. Aus Protest gegen den Umgang mit dem Oligarchen traten mehrere Abgeordnete aus der Regierungskoalition aus, die in der Rada offensichtlich die Interessen des potenten Unternehmers aus Dnjepropetrowsk wahrgenommen hatten.
Sicherheitskräfte verschwunden?
"Natürlich soll dieses Land endlich nicht von Oligarchen, sondern vom Recht regiert werden", sagt ein hochrangiger Kiewer Beamter. Aber es sei riskant, das gerade jetzt durchzusetzen: "Kolomojskij hat aus eigener Tasche Leute finanziert, die gegen die Russen kämpfen, er hat sich den Separatisten in den Weg gestellt." Jetzt, da er aus dem Amt gedrängt worden sei, werde er sich rächen; "Unruhestifter" würden ermutigt.
Tatsächlich: In Odessa, wo ein Günstling Kolomojskijs Gouverneur ist, sollen bereits am Mittwochmorgen die Sicherheitskräfte, die gemeinsam mit der Polizei patrouillierten, verschwunden sein. Was als Sieg staatlicher Strukturen gesehen werden kann, betrachten viele Ukrainer als ersten Racheakt des Oligarchen.