Machtkampf in der Linken:Im Staub der Strömungshengste

In den vergangenen Wochen haben Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch die Linke durch ihren Führungsstreit an den Rand des Abgrundes geführt. Auf dem Parteitag in Göttingen muss die Partei beweisen, dass sie die Balance hält. Ansonsten drohen Absturz und Spaltung. Vielleicht bereits an diesem Wochenende.

Von Thorsten Denkler, Göttingen

Bevor es richtig losgeht, werden die Genossen der Linken mit einem Flötenkonzert vom Band bedudelt. Hier, in der Lokhalle direkt am Göttinger Hauptbahnhof, kommen sie an diesem Wochenende zu ihrem Parteitag zusammen. Die Musik klingt nach einem entspannten Picknick auf einer schattigen Sommerwiese. Der Kontrast zu dem, was die knapp 600 Delegierten der Linken zu erwarten haben, könnte nicht größer sein.

Die Linke - Bundesparteitag

Oskar Lafontaine auf dem Linke-Parteitag in Göttingen: Mission "Bartsch verhindern".

(Foto: dpa)

Als wenn die Partei den aktuellen Zustand nicht wahrhaben will, hat sie als Motto des Parteitags die Formel "Solidarisch, gerecht, demokratisch, friedlich" gewählt. Tatsächlich geht es intern seit Wochen darum, zu taktieren und zu vergrätzen, zu demütigen und zu verletzen. Die Partei ist in ihrer schwersten Krise. Einige sagen, sie stehe vor der Spaltung, wenn es am heutigen Samstag schief läuft. Optimisten sind bereits zufrieden damit, wenn die Partei morgen in dieser Form noch existiert - denn dann kann es nur noch aufwärts gehen.

Die Linke braucht eine neue Spitze. Eine Doppelspitze, um genau zu sein. Zwei Frauen, oder eine Frau und ein Mann. An Bewerbern mangelt es nicht: Zehn Kandidaten stellen sich zur Wahl, sechs davon werden gute bis mäßige Chancen eingeräumt, gewählt zu werden. Alles dreht sich aber im Kern um die Frage, ob der ehemalige Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sich durchsetzen kann, oder das Frauen-Duo Katja Kipping und Kathrina Schwabedissen triumphiert. Oder ob - auch das ist möglich -noch jemand anders wie Kai aus der Kiste springt.

Bartsch hat mächtige Feinde. Oskar Lafontaine und Noch-Parteichef Klaus Ernst werden wohl alles tun, um einen Erfolg von Bartsch zu verhindern. Dahinter steht ein formidabler Streit der Strömungen. Ost gegen West, Reformer gegen Beton-Linke.

Lange Beratungen im Internecity-Hotel

Schwabedissen aus Nordrhein-Westfalen und Kipping aus Sachsen gelten als wählbar. Die Ausstrahlung der beiden halten allerdings selbst Wohlwollende gelinde gesagt für ausbaufähig. Im Frauenplenum am gestrigen Freitag mussten sich beide vorhalten lassen, ihre Kandidaturen seien "unpolitisch". Eine andere Rednerin sagte, es gehe eben nicht darum, dass zwei "Strömungshengste" aufeinander zurasten und deshalb nun zwei Frauen kandidieren müssten. Das Problem der Frauen in der Linken liege vielmehr darin, dass selbst die Frauen sich nicht für eine feministische Politik einsetzten.

Zumindest haben die beiden Strömungshengste Lafontaine und Bartsch in ihrem Kampf gegeneinander offenbar so viel Staub aufgewirbelt, dass manchen Delegierten jetzt die Orientierung fehle, wie ein Frau unumwunden feststellt.

Lange saßen im Intercity-Hotel am Freitagabend noch die Strategen zusammen und berieten, wie sie die jeweils anderen ausstechen können. Dass Oskar Lafontaine doch noch antritt gilt als ausgeschlossen. Dafür sorgt seine Lebensgefährtin und Rosa-Luxemburg-Double Sahra Wagenknecht für Unruhe. Bis jetzt hat sie ihre Kandidatur nicht erklärt. Aber auch nicht ihre Nicht-Kandidatur. Sie könnte am Abend, wenn die neue Parteispitze gewählt wird, noch für eine Überraschung sorgen.

Tritt Sahra Wagenknecht doch noch an?

Die Szenarien hängen auch mit dem Wahlmodus zusammen: Im ersten Wahlgang dürfen nur Frauen gewählt werden, in der zweiten Runde dürfen Männer und Frauen antreten. Möglich ist, dass Wagenknecht abwartet, ob sich eine Kandidatin sofort durchsetzt, oder es eine Art Patt gibt.

In dem Fall könnte auf Antrag die Wahl neu angesetzt werden, um die Stichwahl zu verhindern. Nun könnte Wagenknecht antreten - und womöglich gewinnen. Das würde die Delegierten unter Druck setzen, den zweiten Vorsitz nicht mit Dietmar Bartsch zu besetzen. Alle wissen: Die beiden können sich nicht ausstehen.

Das zweite Szenario: Im ersten Wahlgang wird eine Reformer-Frau gewählt. Im gemischten Wahlgang tritt dann Wagenknecht als Alternative zum Reformer Bartsch an. Ausgang offen.

Auch Klaus Ernst besteht darauf, sich noch nicht entschieden zu haben, ob er antritt. Wenn ein "bestimmte Konstellation" eintrete werde er kandidieren, sagt er nebulös. Auch sein Ziel dürfte im Moment einzig sein: Bartsch verhindern. Aber selbst wenn Wagenknecht sich nicht mehr einmischt wissen alle: Die Frau will mehr. Sie will die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013 um danach Gregor Gysi als Fraktionschef zu beerben. Wird Bartsch nicht Parteivorsitzender dürfte ihr das kaum einer streitig machen können.

Außer Gysi vielleicht. Der jetzige Fraktionschef ist der Flügelstreitereien zwar überdrüssig. Aber um Wagenknecht zu verhindern, könnte er noch einmal seine ganzen Kräfte aufbieten. Auch wenn die Partei diesen Parteitag überlebt ist der nächste Streit bereits programmiert.

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