Fernab der Heimat weilt Guido Westerwelle in diesen Tagen: In Peking eröffnet er in seiner Funktion als Außenminister die bisher umfangreichste Schau deutscher Museen im Ausland. Titel der Schau: "Die Kunst der Aufklärung".
Eine Aufklärung ganz anderer Art versuchen inzwischen Parteifreunde des FDP-Chefs in Berlin zu forcieren: Es geht um die Zukunft der arg lädierten Partei und damit auch um den Verbleib Westerwelles im Vorsitz.
Während Westerwelle in China ist, hat die Personaldebatte an Intensität zugekommen, so dass die Parteioberen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung den angedachten Zeitplan möglicherweise verwerfen: Die FDP-Spitze erwägt demnach, die Entscheidung über ihre künftige Führungsmannschaft und damit das Schicksal Westerwelles bereits am kommenden Montag zu fällen. Es sei denkbar, dass das Parteipräsidium schon am 4. April und nicht, wie bislang geplant, am 11. April über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung berate, heißt es aus Parteikreisen. Es gebe genügend Zeit für ausführliche Diskussionen, die Sitzung am Montag sei auf drei Stunden angesetzt.
In FDP-Führungskreisen hieß es, die Frage müsse so schnell wie möglich gelöst werden, denn die anhaltende innerparteiliche Diskussion erschwere inzwischen die Arbeit der FDP-Minister im Kabinett und destabilisiere so die schwarz-gelbe Bundesregierung. Westerwelle sei bereit, seinen Vorsitze auf dem Bundesparteitag in Rostock im Mai abzugeben, wenn sich ein geeigneter Nachfolger fände. Er wolle aber auf alle Fälle Außenminister bleiben. Ob es tatsächlich zu einem Führungswechsel in der Partei und Neubesetzungen von Ministerposten kommt, war nach Aussagen führender FDP-Politiker aber völlig offen.
Ein weiteres starkes Indiz für den bevorstehenden Machtverlust Westerwelles ist die veränderte Haltung von Birgit Homburger: Die FDP-Fraktionschefin im Bundestag, die auch Vorsitzende des einflussreichen baden-württembergischen Landesverbandes ist, rückte öffentlich von Westerwelle ab. "Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, sowohl inhaltlich wie personell", sagte Homburger der Rheinischen Post. Und, wohl um Missverständnisse zu vermeiden, fügte sie hinzu: Wenn sie von "alles" spreche, meine sie damit selbstverständlich auch den Parteivorsitzenden. Homburger, die nach der Wahlniederlage im Südwesten von Parteifreunden angegriffen worden war, machte unmissverständlich klar, dass sie ihre Posten nicht freiwillig räumen wird. Weder als FDP-Landeschefin noch als Fraktionsvorsitzende im Bundestag stehe sie als "Bauernopfer" für einen Verbleib Westerwelles an der Parteispitze zur Verfügung.
Noch weiter ging der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg. Hans-Ulrich Rülke forderte Westerwelle indirekt zum Rückzug auf: "Ich gehe davon aus, dass Guido Westerwelle am Montag in der Präsidiumssitzung die richtigen Schlussfolgerungen aus der Gesamtsituation zieht", sagte Rülke der dpa.
Leutheusser-Schnarrenberger erhöht Druck auf Westerwelle
Bemerkenswert ist der Umstand, dass Homburger auch offen den bisher von vielen Spitzenliberalen als künftigen Parteichef genannten Christian Lindner kritisiert. Homburger distanzierte sich von der Forderung des FDP-Generalsekretärs, die acht im Rahmen des Moratoriums stillgelegten Atommeiler nicht wieder ans Netz gehen zu lassen. "Das kann, muss aber nicht das Ergebnis sein", so Homburger. Lindner habe lediglich in der laufenden Debatte seine Position formuliert. Homburger forderte, die Diskussion müsse viel gründlicher geführt werden. "Mit mir wird es auf keinen Fall eine Lösung geben, bei der wir Strom aus unsichereren ausländischen Kernkraftwerken importieren", sagte sie.
Noch deutlicher äußerte sich der ebenfalls aus dem Südwesten stammende frühere stellvertretende Parteichef Walter Döring bei Spiegel Online. Er nannte Lindners Atomschwenk "Kokolores" und "Ausdruck von Planlosigkeit". Auch mögliche Ambitionen des Generalsekretärs auf den Vorsitz kommentierte Döring kritisch: "Wenn (...) Lindner glaubt, er würde in der Sänfte ins Amt des Parteichefs getragen, dann täuscht sich der junge Mann." Döring stärkte Westerwelle den Rücken: "Guido hat als einziger die Statur, den Laden noch halbwegs zusammenzuhalten".
Anders klang die bayerische FDP-Landeschefin und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie erhöhte noch einmal den Druck auf Westerwelle. Er habe "ein gutes Gespür für die Lage der Partei. Da gibt es ein erhebliches Grummeln an der Basis", sagte die bayerische FDP-Vorsitzende dem Münchner Merkur. "Keiner sollte an seinem Posten kleben." Es gehe ihren Angaben zufolge aber um mehrere Positionen auf der Führungsebene: "Wir machen es uns zu leicht, wenn wir einen Sündenbock oder ein Bauernopfer suchen, dem man alles zuschiebt." Die Ministerin forderte zugleich ein "faires" Prozedere beim Führungswechsel in der Partei. Auf die Frage, ob Westerwelle auch als Außenminister in Frage stehe, sagte sie: "Nein, wir reden jetzt nur über die Erneuerung der Parteispitze." Zu Aufforderungen, selbst als FDP-Bundesvorsitzende anzutreten, sagte die Ministerin: "Ich mache meinen Job und spekuliere nicht."
Machtkampf in der FDP:Westerwelles Gegner und ihre Gründe
Sie sticheln gegen die Bundesspitze, fordern eine personelle "Inventur" und sind dem Parteichef nicht gerade wohlgesonnen: Guido Westerwelles Widersacher in der FDP. Die SZ erklärt ihre Motive.
Eine Spitzenkraft der Freidemokraten hatte bereits an diesem Donnerstag ihren Rückzug angekündigt: Cornelia Pieper kündigte an, nicht mehr zur Wahl als stellvertretende Bundesvorsitzende anzutreten. Sie verzichte auch auf eine weitere Amtszeit als FDP-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, sagte Pieper der Mitteldeutschen Zeitung. Sie wolle sich künftig auf ihre Arbeit als Staatsministerin im Auswärtigen Amt konzentrieren. Gleichwohl werde sie aber für den Bundesvorstand kandidieren. Zum Thema Westerwelle sagte sie, sie halte ihn für alternativlos. "Aber das entscheidet zunächst einmal er persönlich und dann der Parteitag."
In der öffentlichen Wahrnehmung ist Guido Westerwelle ohnehin der Schuldige an der FDP-Krise. In einer im Handelsblatt veröffentlichten Forsa-Erhebung nannten 65 Prozent aller Befragten den Vizekanzler als Hauptverantwortlichen. Nur 21 Prozent weisen die Verantwortung Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zu. 17 Prozent nennen Gesundheitsminister Philipp Rösler.
Alarmierend für die FDP dürfte eine andere Zahl in der Umfrage sein: Demnach lehnen die Wähler die rasanten Kurswechsel der Partei in wichtigen Politikfeldern ab. Die Ankündigung von FDP-Generalsekretär Lindner, die sieben ältesten Atomreaktoren sofort abschalten zu wollen, halten demnach gerade einmal 18 Prozent für glaubwürdig und richtig. Die erdrückende Mehrheit von 72 Prozent der Befragten kommt dagegen zu dem Urteil, die grüne Kehrtwende der Liberalen in der Energiepolitik sei wenig glaubwürdig und falsch.
Wenig erfolgversprechend erscheint auch der Versuch, Wirtschaftsminister Brüderle durch Gesundheitsminister Rösler zu ersetzen: Gerade einmal 14 Prozent sehen in Rösler den besseren Wirtschaftsminister, 27 Prozent halten an Brüderle fest. Allerdings meint die große Mehrheit von 59 Prozent, dass keiner der beiden der richtige Mann für das Amt ist.
Selbst Westerwelles Freund aus Jugendtagen scheint hoffnungslos
Das aktuelle ZDF-Politbarometer zeigt auch keine Besserung der Lage aus FDP-Sicht: Die Freidemokraten müssten mit fünf Prozent um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Auch das Politbarometer berichtet, dass die Mehrheit der Bürger mit einem Rückzug Westerwelles rechnet. 55 Prozent glauben nicht, dass der Außenminister nach dem FDP-Parteitag im Mai noch Vorsitzender der Liberalen sein wird. 36 halten es dagegen für wahrscheinlich, dass er sich bis dahin im Amt halten kann und dann bestätigt wird, wie die Befragung der Forschungsgruppe Wahlen ergab.
Trotz der prekären Lage gibt es nach wie vor Westerwelle-Fürsprecher im Parteivorstand wie den sächsischen FDP-Vorsitzenden Holger Zastrow. "Ich vertraue auf Guido Westerwelle", sagte Zastrow im Deutschlandfunk. Dieser habe in den vergangenen Jahren immer das richtige Gespür entwickelt und die FDP "vom Mief", eine Klientelpartei zu sein, befreit. Im Moment laufe es zwar nicht gut, räumte Zastrow ein. Westerwelle habe aber die "Chance verdient", auch ein Konzept für die kommenden Jahre zu entwickeln.
Zastrow bleibt eine der wenigen Ausnahmen, denn selbst alte Weggefährten wie Martin Zeil zaudern, sich zu dem angezählten Vorsitzenden zu bekennen. Zeil ist bayerischer Vize-Ministerpräsident und gründete vor vielen Jahren gemeinsam mit Westerwelle die Jungen Liberalen; seitdem verbindet beide eine persönliche Freundschaft. Vor ein paar Monaten noch warb Zeil dafür, die Probleme der Freidemokraten "nicht bei einer Person abzuladen". Solche Sätze sagt Zeil in diesen Tagen nicht mehr. Die SZ zitiert ihn nun mit dem Satz: "Alle Positionen sind auf dem Prüfstand."