Süddeutsche Zeitung

Machtkampf in Bukarest:Rumänischer Präsident verhindert erste muslimische EU-Regierungschefin

Staatschef Johannis lehnt die Kandidatin der Sozialdemokraten für das Premiersamt ab. Nun droht ihm die Amtsenthebung.

Von Florian Hassel

Rumäniens Präsident Klaus Johannis hat die von der größten Partei des Landes vorgeschlagene Kandidatin für das Amt der Regierungschefin abgelehnt. Das EU-Land steckt damit in einer Krise mit ungewissem Ausgang. Die Sozialdemokraten (PSD), Nachfolgepartei der Kommunisten, hatten am 11. Dezember die Parlamentswahl deutlich gewonnen und die politisch nicht profilierte Sevil Shhaideh als Regierungschefin vorgeschlagen.

Johannis sagte, er habe "sorgfältig alle Für und Wider abgewogen und mich entschieden, den Vorschlag nicht anzunehmen. Deswegen fordere ich die PSD und den Koalitionspartner Alde auf, einen neuen Vorschlag zu machen." Der Präsident begründete seine Entscheidung nicht. Mutmaßlicher Hintergrund sind die zu geringe politische Eigenständigkeit sowie umstrittene Kontakte des Mannes von Sevil Shhaideh.

PSD-Chef Dragnea schloss aus, einen anderen Kandidaten vorzuschlagen. "Wer garantiert uns, dass ein anderer Vorschlag akzeptiert wird?" Dragnea beschuldigte den Präsidenten zudem, verfassungswidrig zu handeln und schloss eine Klage vor dem Verfassungsgericht oder ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten nicht aus. "Es ist klar, dass der Präsident die Verfassung verletzt", sagte er.

Tatsächlich aber ist Artikel 103 der rumänischen Verfassung in der Frage der Nominierung eines Regierungschefs nicht eindeutig. Der Präsident muss nach einer Parlamentswahl einen Wahlsieger konsultieren, der - allein oder in einer Koalition - über eine absolute Mehrheit verfügt. Er kann dann bei seiner Nominierung dem Vorschlag des Wahlgewinners folgen. Die Verfassung legt indes nicht fest, dass der Präsident jedem oder dem ersten Vorschlag folgen muss.

Johannis hatte mehrmals bekräftigt, er werde dem Parlament dem Gesetz folgend nur einen Kandidaten ohne Vorstrafen oder andere juristische oder schwerwiegende Probleme als Regierungschef zur Abstimmung stellen. Dies schloss die gesamte Führungsspitze des Wahlgewinners PSD, Nachfolgepartei der rumänischen Kommunisten, aus: Der langjährige Ministerpräsident Victor Ponta ist der Geldwäsche und Steuerhinterziehung angeklagt und steht vor Gericht. Parteichef Liviu Dragnea wurde im Mai 2016 vom Obersten Gericht wegen Wahlfälschung rechtskräftig zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Wahlsieger PSD schlug deshalb die zuvor skandalfreie Sevil Shhaideh als Regierungschefin vor: Die 52 Jahre alte Computertechnikerin war als erste für dieses Amt vorgeschlagene Frau, als Muslimin und Angehörige der Minderheit in Rumänien lebender Tataren eine überraschende Wahl. Shhaideh ist weitgehend unbekannt. Ihre hervorstechende Qualität war mangels eigenständiger politischer Erfahrung offenbar ihre Loyalität zu PSD-Parteichef Dragnea - 2011 war er auch Trauzeuge bei ihrer Hochzeit.

Rumäniens Opposition kritisierte nach der Nominierung Shhaidehs, sie werde "Dragneas Marionette" sein. Dragnea selber nährte solche Befürchtungen, indem er verkündete, er werde Shhaideh austauschen, wenn "sie müde ist".

Ehemann mit guten Kontakten nach Damaskus

Anlass zu Bedenken gibt auch ihr Ehemann. Akram Shhaideh, ein syrischer Geschäftsmann, der 2010 nach Rumänien zog, hatte dem Assad-Regime 20 Jahre im Landwirtschaftsministerium gedient. Dem rumänischen Investigativdienst Rise Project zufolge postete Shhaideh auf seinem Facebook-Konto etliche Mitteilungen, die ihn als enthusiastischen Unterstützer von Syriens Diktator Baschar al-Assad ausweisen.

Der weitere Fortgang ist ungewiss: Die PSD kann nun einen anderen Kandidaten vorschlagen, Johannis seinerseits kann dem Parlament einen Kandidaten seiner Wahl vorschlagen. Die Postkommunisten verfügen mit ihrem Koalitionspartner über die Mehrheit im Parlament - ohne ihre Zustimmung kann kein Kandidat Regierungschef werden. Schlägt der Präsident dem Parlament innerhalb von 60 Tagen zwei Mal einen Regierungschef vor, der im Parlament keine Mehrheit findet, löst der Präsident nach Artikel 89 der Verfassung das Parlament auf und schreibt Neuwahlen aus.

Die PSD hat allerdings ihrerseits auch Druckmittel: Mit ihrer Mehrheit im Parlament könnte sie ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten. Eine andere Möglichkeit: Die PSD klagt vor dem Verfassungsgericht darauf, dass Johannis einen von der PSD nominierten Kandidaten als Regierungschef vorschlägt.

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SZ vom 28.12.2016/odg
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