Machtkampf im Libanon:Salomonische Lösung durch die Armee

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Die libanesische Armee nimmt Beschlüsse der Regierung zurück und bewegt die Hisbollah so zum Abzug. Die radikale Miliz bekommt, was sie will und beweist ihre Stärke. Dennoch hat die angeschlagene Regierung Siniora ihren Kopf fürs Erste gerettet.

Tomas Avenarius, Beirut

Ein bisschen sah es aus, als würde da einer die Trauerrede auf seiner eigenen Beerdigung halten. Im schwarzen Anzug, mit dunkler Krawatte, mit blasser Haut und Leichenbittermiene wandte sich Libanon Regierungschef an das eigene Volk: "Ihr Libanesen! Ihr Libanesen in Beirut, in Saida, in Tripolis, in Aschrafije! Das was geschehen ist, war ein bewaffneter Umsturzversuch gegen die gewählte Regierung! Ein Coup!" Viel mehr als die Feststellung der Tatsachen und hilfloser Appelle an die Adresse seiner Gegner hatte Siniora nicht anzubieten: Die Hisbollah solle ihre Kämpfer aus der Hauptstadt abziehen, wo sie inzwischen den gesamten Westteil kontrolliert. Sie solle endlich zurückfinden zu Dialog und Partnerschaft, im Interesse des Landes. Kurz: sie solle ihren gerade mit Blut und Gewalt errungenen Vorteil aufgeben und zurückfinden an den politischen Verhandlungstisch.

Die libanesische Armee sorgte mit Zuckerbrot und Peitsche für den Rückzug der Hisbollah (Foto: Foto: dpa)

Drei Tage hatte es gedauert nach dem Sturm der Hisbollah auf die libanesische Hauptstadt, bis der angeschlagene Regierungschef sich dem Volk am Samstag überhaupt zeigte - übers Fernsehen. Eingeschlossen in seinem Regierungspalast mit Mitgliedern seines Kabinetts, vermittelte der grauhaarige Siniora den Eindruck, dass er weder die Kontrolle ausübt über sein Land noch dass er die Sicherheit seiner Bürger garantieren kann. Neben dem Rednerpodium saßen sechs seiner Minister: Auch sie wirkten resigniert, verbreiteten wenig kämpferischen Elan und hörten der über weite Strecken in fast kläglichem Tonfall angeschlagenen Rede ungerührt zu: Vier Tage nach dem Überraschungsschlag der oppositionellen Hisbollah-Miliz schien die prowestliche libanesische Regierung vor einem ziemlich klar absehbaren Ende zu stehen.

Der Westen braucht die Regierung Siniora

Das hätte Folgen, für den Libanon und für den Nahen Osten. Die Kämpfe zwischen der bestens bewaffneten Hisbollah und den überraschend schlecht organisierten Anhängern der Regierung hatten nicht nur etwa 30 Tote gefordert. Sie könnten vor allem die innerlibanesische Machtbalance nachhaltig verändern. Und das massiv zu Gunsten der Opposition. Die Opposition gruppiert sich um die radikal-islamische Hisbollah-Miliz, einem offenen Parteigänger des Iran und Syriens. Andersherum gesagt: Die Niederlage des prowestlichen Siniora war ein Schlag ins Kontor des Westens.

Denn der sieht im Libanon eines der Spiel- und Schlachtfelder, auf denen er den nuklearen Ambitionen des Iran entgegentritt. Ohne die Regierung Siniora geht dem Westen der Zugriff auf den Libanon voraussichtlich weitgehend verloren, gewinnen der Iran und Syrien erhebliche Vorteile im großen strategischen Spiel um Irans hegemoniale und atomare Ambitionen.

Der Anlass für den offenen Krieg zwischen der sich seit eineinhalb Jahren streitenden libanesischen Regierung und der Opposition war, von außen und einem nicht-libanesischen Standpunkt betrachtet, nichtig. Sinioras Regierung hatte angekündigt, Teile der militärischen Infrastruktur der Hisbollah ausschalten zu wollen. Die Hisbollah hat seit Jahren ein geheimes landesweites Telefonnetz, mit dem die sich als anti-israelische Widerstandskraft verstehende Miliz sich auf den Verteidigungsfall gegen Israel vorbereitet. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte daher von einer "Kriegserklärung der Regierung" gesprochen: Siniora wolle die Schiitenmiliz, die doch das gesamte Land vor dem israelischen Nachbarn schütze, "im Auftrag Israels und der USA" entwaffnen.

Auch dass die Regierung den der Hisbollah nahestehende Sicherheitschef des Beiruter Flughafens absetzen will, stört Nasrallah. Die Folge: Der schiitische Geistliche setzte seine Kämpfer in Bewegung, eroberte den Westteil Beiruts im Handstreich und droht nun der Regierung: Nur wenn der Kabinettsbeschluss gegen das geheime Kommunikationssystem der Hisbollah annulliert wird und wenn der Hisbollah-Mann weiter für die Sicherheit des Flughafens verantwortlich bleibt, zieht die Miliz ihre Kämpfer zurück, gibt sie die Straßen und den blockierten Beiruter Flughafen wieder frei.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die libanesische Armee den Konflitk mit Mut und Entschlossenheit fürs Erste löste.

Wie hilflos die libanesische Regierung angesichts solcher Erpressung reagierte, zeigt sich an der Begegnung mit einem von Sinioras treuesten Weggefährten. Sport- und Jugendminister Ahmed Fatfat hatte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung gerade Durchhalteparolen ausgegeben: "Eher tritt diese Regierung zurück, als das wir unsere Beschlüsse wiederrufen. Die Staatsmacht kann doch nicht einknicken vor der Gewaltandrohung einer Miliz".

Noch während Fatfat im Regierungspalast Stärke predigte, klingelte bereits sein Telefon. Der Minister musste hören, dass seine Zweitwohnung in der Innenstadt im selben Moment von Hisbollah-Anhängern geplündert und zerstört wurde. Sein Anruf bei einem hohen Offizier der Sicherheitskräfte wirkte ebenso erfolg- wie hilflos; Fatfat blieb nichts, als seiner Ehefrau kurz darauf am Telefon einzugestehen, dass "Verbrecher" sein Eigentum gerade zerstörten.

Das sagte ziemlich viel über die libanesische Armee: Sie hielt sich bisher strikt aus dem Streit zwischen Regierung und Opposition heraus. Sie mischte sich nicht ein in einen Konflikt, dessen Linien entlang der Religionsgruppen verlaufen: Die Hisbollah besteht aus muslimischen Schiiten, die Regierung wird von muslimischen Sunniten, Drusen und Christen getragen. Kurz: Jeder Streit zwischen Regierung und Opposition läuft Gefahr, sofort zum Kampf zwischen den im Libanon der Selbstdefinition dienenden Religionsgruppen zu führen.

Das aber schmeckt schnell nach Bürgerkrieg. Und einen solchen hatte der Libanon schon zweimal: einmal in den fünfziger Jahren und dann - weit schlimmer - von 1975 bis 1989. Die heutige Armee setzt sich aus Angehörigen aller Religionen zusammen - und droht daher im Konfliktfall zwischen Schiiten, Sunniten, Drusen und Christen ebenfalls sofort zerrissen zu werden.

Und doch waren es diese scheinbar schwachen Streitkräfte, die sich unmittelbar nach Sinioras Rede einschaltete und Mut und Entschlossenheit zeigte. Die Armee stellte der Hisbollah ein Ultimatum: Bis Sonntag müssten alle Kämpfer von den Milizen - und das ist vor allem die Hisbollah - abgezogen werden. Und das landesweit. Ansonsten würde die Armee die Kämpfer festnehmen; im Fall des Widerstands würde sofort geschossen.

Außerdem forderte die Armeeführung, dass alle Straßen des Landes bis zum selben Zeitpunkt freigegeben werden müssten und die Blockade des Flughafens einzustellen sei.

Im Gegenzug sagten die Generäle der Hisbollah aber ausdrücklich zu, dass diese ihr Telefonnetz behalten dürfe - als Schutz gegen einen Angriff der Israelis. Auch der umstrittene Sicherheitschef am Flughafen könne bleiben. Damit machte sie also die Beschlüsse der Regierung rückgängig.

So, wie es aussieht, scheint die Hisbollah also den Konflikt gewonnen und ihre Stärke bewiesen zu haben: Sie kann ihre militärische Infrastruktur behalten, obwohl diese die Souveränität und das Gewaltmonopol des Staats eindeutig in Frage stellt. Hisbollah-Chef Nasrallah hat keinen Grund mehr, mit der Macht seiner Kämpfer zu drohen. Aber auch die angeschlagene Regierung Siniora hätte noch einmal Zeit gewonnen und fürs Erste ihren Kopf gerettet.

Das Vorgehen der Armee könnte also genau die salomonische Lösung sein, auf die der Libanon wartet und die beiden Seiten helfen könnte, das Gesicht in einem endlos verfahrenen Konflikt zu wahren. Der eigentliche Streit aber wäre, so steht zu befürchten, nur gesichtswahrend für alle Parteien vertagt worden. Was wiederum sehr typisch wäre für den Libanon.

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