Süddeutsche Zeitung

Führungsstreit bei den Linken:Schluss mit Harmonie

Die Sehnsucht nach Einheit währte nicht lange: In der Linken ist der Streit um den Parteivorsitz voll entbrannt. Lötzsch kündigt an, wieder kandidieren zu wollen - Ko-Chef Ernst reagiert verärgert. Als einziger behaupten kann sich Gregor Gysi: Er bleibt alleiniger Fraktionsvorsitzender.

Daniel Brössler

Nur zwei Tage, nachdem die Linke ihr neues Grundsatzprogramm verabschiedet hat, ist der Machtkampf um die Führung der Partei voll entbrannt. Die Vorsitzende Gesine Lötzsch teilte am Dienstag in Berlin mit: "Ich trete beim nächsten Bundesparteitag als Parteivorsitzende wieder an. Damit will ich das Katz-und-Maus-Spiel beenden."

Ihr Ko-Vorsitzender Klaus Ernst lehnte hingegen eine Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt ab. "Ich respektiere die Entscheidung von Gesine Lötzsch. Ich selbst werde mich, wie angekündigt, zu gegebener Zeit äußern", sagte Ernst der Süddeutschen Zeitung. Mit ihrer Ankündigung stemmt sich Lötzsch gegen Bestrebungen in Teilen der Partei, möglichst bald eine neue Führung zu wählen. Viele in der Partei geben Lötzsch und Ernst eine erhebliche Mitschuld an den zuletzt schlechten Wahlergebnissen und Umfragewerten der Linken.

Die Parteilinke Sahra Wagenknecht hat unterdessen am Dienstag die Kandidatur für den Fraktionsvorsitz neben Gregor Gysi aufgegeben. Gysi schlug sie im Gegenzug für das neu zu schaffende Amt der ersten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden vor. Die frauenpolitische Sprecherin Cornelia Möhring soll gleichberechtigt neben Wagenknecht in dieses Amt gewählt werden. Die Fraktion stimmte dieser Lösung mit großer Mehrheit zu.

Formell in Kraft bleibt zwar ein Beschluss, dass es eine Doppelspitze mit mindestens einer Frau geben soll. Dieser wird aber nicht umgesetzt. Gysi hatte signalisiert, dass er keine Fraktionschefin neben sich wünscht. Als "einfache" Stellvertreter sind außerdem die Abgeordneten Dietmar Bartsch und Ulrich Maurer im Gespräch. Die neue Fraktionsspitze wird am 8. November gewählt.

Wagenknecht und Bartsch werden immer wieder auch als mögliche Vorsitzende der Partei genannt. Beide haben aber bisher keine Bereitschaft erkennen lassen.

Lötzsch: mehr Transparenz bei der Wahl der Parteiführung

Als ein Argument für ihre erneute Kandidatur nannte Lötzsch den Verlauf des Parteitages in Erfurt, auf dem 96,9 Prozent der Delegierten einem neuen Grundsatzprogramm zugestimmt hatten. "Die meisten Probleme wurden schon vor dem Parteitag in langen Sitzungen des Parteivorstandes gelöst. Dass das gelungen ist, ist auch ein Verdienst von Klaus Ernst und mir", sagte sie. "Wer jetzt alte Debatten über die Parteispitze wieder aufwärmt, schadet der Partei und missachtet das Votum des Parteitags."

Ernst ließ hingegen Unmut über Lötzschs Timing durchblicken. "Das Signal von Erfurt war klar. Die Basis will, dass wir jetzt Politik machen", sagte er. "Im Interesse der Partei liegt es nun, unser Programm in den Vordergrund zu stellen." Lötzsch wiederum sieht ihren Schritt als Beitrag zur Transparenz. "Ich möchte denen Mut machen, die als Parteivorsitzende kandidieren wollen und immer noch zögern. Wir brauchen jetzt Klarheit für die Mitgliedschaft, damit wir uns wieder den drängenden Problemen der Menschen widmen können", sagte sie.

Über Parteivorsitzende solle "in Zukunft nicht mehr in Hinterzimmern entschieden werden, sondern auf der offenen Bühne des Parteitages". Nachdem sich der Mitbegründer Oskar Lafontaine 2010 vom Parteivorsitz zurückgezogen hatte, war die derzeitige Führung in einer informellen Krisensitzung nach Proporzgesichtspunkten zusammengestellt worden; Fraktionschef Gysi hatte die Sitzung geleitet.

Lötzsch war wegen umstrittener Äußerungen zu Kommunismus und Mauer in diesem Jahr stark in die Kritik geraten, und ihr Ko-Vorsitzender Ernst stand zeitweise wegen seiner Einkünfte und seines Lebensstils unter Rechtfertigungsdruck. Planmäßig soll erst im Juni ein Parteitag in Göttingen über den neuen Vorstand der Linken entscheiden. Ernst hat einen Mitgliederentscheid über die neue Führung ins Gespräch gebracht.

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SZ vom 26.10.2011/feko
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