Machtkampf bei den Liberalen:FDP-Vorstand will Westerwelle stürzen

Offener Angriff auf Guido Westerwelle: FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis fordert den Vizekanzler auf, den Parteivorsitz an Generalsekretär Christian Lindner abzugeben.

Mit Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis wagt ein weiterer Kopf der FDP-Parteiführung den offenen Aufstand gegen den Bundesvorsitzenden und Außenminister Guido Westerwelle. Chatzimarkakis, der für die Liberalen im Europaparlament sitzt, forderte Generalsekretär Christian Lindner auf, das Amt des FDP-Parteichefs zu übernehmen. "Lindner traut sich gegen den Strich zu bürsten und die Wahrheit auszusprechen. Er kettet sich nicht sklavisch an die Union, wie es Westerwelle getan hat. Ich sehe ihn als natürlichen Nachfolger", erklärte Chatzimarkakis dem Stern.

FDP Pressekonferenz  -  Westerwelle

Seit langem umstritten: FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle

(Foto: dpa)

Chatzimarkakis verlangte, Westerwelle solle bereits vor dem offiziellen Parteitag im Mai seinen Rückzug vom Amt des Parteichefs ankündigen - und führte das desaströse Abschneiden der Freidemokraten bei den Landtagswahlen ins Feld: "Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen." Westerwelle habe die Doppelbelastung als Außenminister und Parteivorsitzender nicht überzeugend bewältigt.

Chatzimarkakis drohte, einen dritten Kandidaten für das Amt des Parteivorsitzenden ins Spiel zu bringen, sollte Westerwelle bis zum 11. April, dem entscheidenden Treffen der Parteiführung mit den Länderchefs, sein Amt noch nicht aufgegeben haben: "Falls Westerwelle Lindner nicht selbst einlädt, seine Nachfolge anzutreten, könnten Dritte als Kandidaten ins Spiel kommen. In der Partei brodelt es", sagt er. Chatzimarkakis ist Mitglied des "Dahrendorfkreises", einer Gruppe von Abgeordneten des Bundestags und des Europaparlaments, die für eine sozialliberale Ausrichtung der Partei stehen.

Auch der Vorsitzende der saarländischen FDP-Landtagsfraktion, Christian Schmitt, dringt auf personelle Konsequenzen nach den FDP-Wahldebakeln. Schmitt erneuerte in einem Gespräch mit der dpa seine Forderung nach einem Rücktritt des Bundesaußenministers Guido Westerwelle. Er sprach sich dafür aus, dass der FDP-Bundeschef stattdessen auch den Vorsitz der FDP-Bundestagsfraktion übernimmt. "Als Außenminister halte ich Westerwelle für ungeeignet. Er hat mich in den vergangenen eineinhalb Jahren als Außenminister nicht überzeugt", so Schmitt. Dagegen habe Westerwelle aber in der Opposition als Fraktionschef gute Arbeit geleistet. "Das wäre eine Maßnahme, der FDP schnell die Möglichkeit zu geben, dass sie ihre Inhalte in der Bundesregierung umsetzen kann."

Kubicki: Homburger für FDP-Fiasko im Südwesten verantwortlich

Wolfgang Kubicki, FDP-Vorstandsmitglied und Fraktionschef im Landtag Schleswig-Holsteins, übte im Stern heftige ebenso Kritik an der Führung der Freien Demokraten. Er warf seiner Partei vor, den Ernst der Lage nach den verlorenen Landtagswahlen nicht erkannt zu haben: "Das ist fast wie Kabarett", sagte er. Kubicki attestierte den Liberalen ein Glaubwürdigkeitsproblem und forderte einen Kurswechsel: "Es wird mit demselben Personal so nicht weitergehen. Köpfe transportieren Themen. Und wir brauchen neue Themen." Anders als Chatzimarkakis griff Kubicki eine andere Galionsfigur der Liberalen-Führung an: Die FDP-Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, machte Kubicki "an vorderster Linie mitverantwortlich" für die Wahlniederlage in Baden-Württemberg. Homburger sollte von ihrem Amt als Fraktionsvorsitzende zurücktreten. Kubicki sagte, er rechne ebenfalls damit, dass die stellvertretende Parteivorsitzende Cornelia Pieper beim Parteitag im Mai nicht wieder antrete: "Sie würde sich selbst keinen Gefallen damit tun und auf dem Parteitag wohl auch keine Mehrheit bekommen."

Kubicki glaubte, dass Parteichef Guido Westerwelle im Mai wieder für das Amt des FDP-Vorsitzenden kandidieren werde: "Wenn er antritt, wird er eine Mehrheit bekommen. Alles andere würde die FDP zerreißen." Westerwelle müsse allerdings seinen Führungsstil ändern: "Guido Westerwelle muss sich als Politiker neu erfinden."

Bahr und Leutheusser lassen Westerwelles Zukunft offen

Zuvor hatte das FDP-Vorstandsmitglied Daniel Bahr seine Partei in der Debatte über die künftige Führung zu mehr Anstand aufgerufen. Mit Blick auf die Rücktrittsforderungen gegen Westerwelle, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Fraktionschefin Birgit Homburger sagte Bahr der Welt: "Es tut der FDP gut, wenn wir diese Debatte mit Ruhe und Anstand führen - und nicht nur nach einem Schuldigen suchen." Westerwelle habe die Erfolge der FDP in den vergangenen Jahren erst ermöglicht, deshalb müsse die Debatte über die Konsequenzen aus den Niederlagen bei den Landtagswahlen jetzt unter seiner Führung stattfinden. Bahr ist Landesvorsitzender des mächtigen nordrhein-westfälischen FDP-Verbandes.

FDP NRW - Daniel Bahr

"Wir brauchen eine neue Aufstellung: inhaltlich, strategisch und personell" - Vorstandsmitglied Daniel Bahr

(Foto: dpa)

Ob der Parteichef seinen Posten behalten werde, ließ Bahr allerdings offen: "Wir gehen offen in die Beratungen. Klar ist: Es kann nicht so bleiben, wie es ist. Wir brauchen eine neue Aufstellung: inhaltlich, strategisch und personell."

Ähnlich äußerte sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die bayerische FDP-Chefin schließt einen Rückzug Westerwelles vom Bundesvorsitzenden nicht mehr aus. Die Frage, ob Westerwelle nach den Wahlniederlagen in Stuttgart und Mainz als Parteichef weitermachen könne, gehöre "in den Kreis unserer Gesamtüberlegungen für ein Personaltableau", sagte Leutheusser-Schnarrenberger der Passauer Neuen Presse. Es habe bisher keine ausdrücklichen Festlegungen in den Gremien gegeben, sagte die Politikerin: "Wir haben im Moment eine offene Situation. Wir müssen in den Gremien auch mit den Landesvorsitzenden beraten. Man ist nie gut beraten, handstreichartig am Tag nach den Wahlen ein angeblich fertiges Konzept zu präsentieren."

Die enttäuschenden Ergebnisse seien nicht an einzelnen Personen festzumachen. "Der FDP muss insgesamt personell und inhaltlich eine Neuausrichtung auf dem Bundesparteitag im Mai gelingen", sagte sie. "Wir müssen wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Derzeit billigt man sie uns nicht zu." Die Jüngeren sollten mehr Verantwortung in der Partei übernehmen.

Ex-Minister Baum sieht FDP in "Existenzkrise"

Der ehemalige stellvertretende FDP-Vorsitzende Gerhart Baum sieht seine Partei in einer "Existenzkrise". Der Bundesinnenminister a. D. diagnostizierte in der ARD einen "Vertrauensverlust bei den liberalen Wählern seit langem." Diese wanderten zu den Grünen ab. Baum warf Parteichef Guido Westerwelle vor, die Partei nicht neu orientiert zu haben. "Es ist nicht nur ein Problem Westerwelle, es ist auch ein Problem Westerwelle." Baum wollte sich nicht zur Zukunft Westerwelles als Parteichef festlegen. "Er muss sich jetzt überlegen: Was ist seine Rolle in der Gesamtpartei noch? Er hat seine Verdienste, aber was kann er noch dazu beitragen, um die Existenzkrise zu beenden? Das muss er ehrlich auch sich gegenüber sagen."

Bereits zuvor hatten Parteivorstandsmitglieder einen Verzicht Westerwelles auf den Vorsitz ins Spiel gebracht: Der Baden-Württemberger und Europaabgeordnete Michael Theurer etwa empfahl dem Vizekanzler in der Vorstandssitzung am Montag, "sich auf das Außenamt zu konzentrieren", sagte er am Montag zu sueddeutsche.de.

Parteivorstandsmitglied Alexander Pokorny ging sogar noch weiter. Der Berliner hat Westerwelle in der Sitzung gesagt, er glaube nicht, dass der noch die Kraft habe, das Ruder für die FDP herumzureißen. Die inhaltliche Aufstellung der Partei sei das eine. Glaubwürdigkeit aber sei eine Frage der Personen. Er hat Westerwelle deshalb gebeten, sich genau zu überlegen, ob er im Mai noch einmal antreten wolle. Danach habe ein große Stille im Rund geherrscht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: