Süddeutsche Zeitung

Machtfrage in der Krim-Krise:Feilschen um Legitimität

Ist die neue Regierung in Kiew rechtmäßig? Russland sagt nein und wirft der Opposition Vertragsbruch vor. Die wiederum hält den ukrainischen Ex-Präsidenten Janukowitsch für gesetzlich abgewählt. Und das Volk?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Schon kurz nach dem Machtwechsel in der Ukraine hatte Russlands Premier Dmitrij Medwedjew klargemacht, was er von den neuen Leuten hält: "Falls sich Menschen, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, wird die Arbeit mit ihnen schwierig sein."

Präsident Wladimir Putin formulierte das nun elaborierter: Die Übernahme der Macht durch die Opposition sei ein "verfassungswidriger Umsturz" gewesen, Präsident Viktor Janukowitsch sei, obwohl er keine "politische Zukunft" habe, nach wie vor der gewählte Präsident seines Landes.

Im Wesentlichen sind es folgende Argumente, die Moskau anführt: Die Opposition sei vertragsbrüchig geworden, weil sie den - mit Hilfe der EU ausgehandelten - Kompromiss vom 21. Februar, der die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, eine Verfassungsreform bis September und Neuwahlen bis Dezember vorsah, nicht umgesetzt habe. Zudem sei die Absetzung von Janukowitsch, die Einsetzung eines Übergangspräsidenten sowie die Rückkehr zur Verfassung von 2004 illegal. Unrechtmäßig sei auch die Freilassung von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko und das Außerkraftsetzen des Sprachengesetzes von 2012, das Russisch als zweite Amtssprache installiert hatte.

Ob das Vorgehen der Opposition in der Ukraine nach den Gewaltausbrüchen Mitte Februar verfassungsgemäß war - darüber wird in der Ukraine selbst heftig diskutiert. Doch auch Skeptiker sprechen von einer akuten Notlage und verweisen ihrerseits empört auf das völkerrechtswidrige Vorgehen der Russen, das durch die Entwicklung in Kiew keinesfalls zu rechtfertigen sei.

"Die Regierung wurde vom Parlament ernannt. Und die Regierung, die de facto das Land regiert, gilt. Selbst wenn diese illegitim wäre, hätte Russland nicht das Recht zu intervenieren", sagt Gro Nystuen von der Universität Uppsala. Deshalb sieht der Westen - anders als Moskau - in der neuen Führung seinen Gesprächspartner und verweist darauf, dass es Janukowitsch gewesen sei, der Gewalt gegen sein Volk befahl und demokratische Regeln missachtete.

Aber wie argumentiert die neue ukrainische Regierung selbst? Im Parlament, das die treibende Kraft des Machtwechsels war, wird - ebenso wie im Innen- und Justizministerium sowie bei der Zentralen Wahlkommission - die neue Legitimität folgendermaßen begründet:

Den Kompromiss zwischen Opposition und Präsident, der vom deutschen und polnischen Außenminister bezeugt wurde, stellte zuerst Russland in Frage - um jetzt ausgerechnet auf diese Abmachung zu pochen. Ein widersprüchliches Verhalten. Moskaus Emissär hatte mit der Begründung die Unterschrift verweigert, es seien zu viele Fragen offen.

Janukowitsch habe sich "widerrechtliche Vollmachten" angeeignet

Wenige Stunden nach Abschluss der Vereinbarung, argumentiert Andrij Magera, Vize-Chef der Zentralen Wahlkommission, habe sich Janukowitsch, wie auch einige Regierungsmitglieder, unerwartet abgesetzt. Janukowitsch habe so auch seine Zusage, innerhalb von 48 Stunden das Gesetz über die Rückkehr zur Verfassung von 2004 zu unterschreiben (das vom Parlament mit 386 von 450 Stimmen angenommen worden war) nicht eingehalten.

Die formale Begründung im Parlament, das den Präsidenten daraufhin mit Zweidrittelmehrheit für abgesetzt erklärte, lautete, dieser übe "sein Amt nicht aus" und habe sich "widerrechtlich Vollmachten" angeeignet. Man habe sich gezwungen gesehen, das von Janukowitsch durch seine überstürzte Flucht hinterlassene Machtvakuum zu füllen. Da aber Übergangspräsident und Übergangsregierung keine dauerhafte Legitimität besäßen, setze man Neuwahlen für den 25. Mai an. Diesem Plan schloss sich auch die Partei der Regionen an, die bis dahin hinter dem Präsidenten gestanden hatte. Sie verurteilte dessen Flucht und "verbrecherische Erlasse".

Der Vertreter der Wahlkommission erläutert auch, warum es legitim sei, dass das Parlament die Rückkehr zur Verfassung von 2004 beschloss: 2010 habe das Verfassungsgericht diese gekippt und das Grundgesetz von 1996 wieder installiert. Da aber schon dieser Beschluss wegen formaler Fehler nicht gesetzeskonform gewesen sei, habe die Verfassung von 2004 nie ihre Gültigkeit verloren.

Was Julia Timoschenko angeht, so hatte es vor ihrer Freilassung immer geheißen, dafür sei ein kompliziertes Prozedere nötig. Faktisch wurde sie vom Parlament amnestiert. Der entsprechende Artikel im Strafgesetzbuch wurde geändert, so dass die Taten, für die sie verurteilt wurde, nicht mehr strafbar waren. Am Dienstag wurde sie vollständig rehabilitiert. Was wiederum die russische Sprache angeht: Übergangspräsident Turtschinow hat das Gesetz, mit dem die Regelung von 2012 abgeschafft werden sollte, nie unterschrieben.

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SZ vom 06.03.2014/fie
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