Macht-Verteilung in Iran:"Die Revolutionsgarden bestimmen alles"

In Iran herrschen die Hardliner - ihnen muss sich offenbar sogar der geistliche Führer Chamenei beugen.

Rudolph Chimelli

Irans geistlicher Führer, Ayatollah Ali Chamenei, hat Regimegegnern mit einer "harten Antwort" gedroht. In seiner ersten Freitagspredigt in der Teheraner Universität, seit er im Juni die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bestätigt hatte, sagte Chamenei: "Wer dem System Widerstand leistet und das Schwert gegen das System zieht, dem werden wir entgegentreten."

Macht-Verteilung in Iran: Irans geistlicher Führer Chamenei muss laut seinem Neffen mit den Revolutionsgarden zusammenarbeiten, wenn er nicht seine Stellung als oberster Führer verlieren will.

Irans geistlicher Führer Chamenei muss laut seinem Neffen mit den Revolutionsgarden zusammenarbeiten, wenn er nicht seine Stellung als oberster Führer verlieren will.

(Foto: Foto: dpa)

Meinungsverschiedenheiten sollten nicht zu Konflikten führen. Es sei die Politik des Regimes, mit der Mehrheit zu arbeiten. "Wenn aber Gruppen der Opposition Ideen hegen, welche die Sicherheit der Nation und die Grundsätze der Herrschaft gefährden, werden wir gegen sie Front machen."

Die vom Fernsehen übertragene Predigt war mit Spannung erwartet worden, denn sie gilt als richtungsweisend für den Kurs des Regimes. Wer indessen von Chamenei erhofft hatte, er werde die Furcht vor der sich verschärfenden Repression besänftigen, wurde enttäuscht. Zwar rief er das Volk dazu auf, am nächsten Freitag wie jedes Jahr den "Jerusalem-Tag" durch Demonstrationen für Palästina zu begehen. Aber er warnte davor, diese Gelegenheit dafür zu nutzen, um Zwietracht zu sähen. Wegen des Risikos, dass jede Ansammlung von Menschen in eine regimefeindliche Demonstration umschlagen kann, hatten viele mit einer Absage der Jerusalem-Kundgebungen gerechnet.

"Übelwollende Haltung"

Auch in der Außenpolitik warnte der geistliche Führer vor jeder Art von Kompromiss, "der die Rechte der Nation betrifft, ob in atomaren oder anderen Fragen". Dies würde den Niedergang einleiten, denn wenn immer die Iraner zurückgewichen seien, habe "der Feind" noch mehr verlangt. Das jüngste Vorschlagspaket Teherans zur Atomfrage ging auf die westliche Forderung nach Einstellung der Uran-Anreicherung nicht ein, sondern enthält statt dessen die Forderung nach weltweiter nuklearer Abrüstung.

Den Regierungen der USA und Großbritanniens warf Chamenei vor, sie hätten seit 200 Jahren eine "übelwollende Haltung" zu Iran. Die Menge der Gläubigen antwortete nicht nur mit den üblichen Sprechchören "Tod Amerika! Tod Israel", sondern mit der Bekundung persönlicher Loyalität. "Wir sind hier, weil wir unseren Führer lieben. Wir spüren die Hand Gottes zu unseren Häuptern, Chamenei ist unser Führer", lauteten die Parolen. Anwesend waren Ahmadinedschad, der sich nach der Bestätigung seines Kabinetts durch das Parlament gestärkt fühlt, Parlamentspräsident Ali Laridschani und dessen Bruder, der neue Chef der Justiz, Sadegh Laridschani.

Über die politische Gewichtsverteilung innerhalb des Regimes urteilte Chameneis in Paris lebender Neffe Mahmud Tehrani, die Macht seines Onkels sei nicht mehr so groß. "Alles bestimmen die Revolutionsgarden, und Ali Chamenei ist gezwungen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn er nicht seine Stellung als oberster Führer verlieren will", sagte Tehrani in einem Gespräch mit Radio Liberty. "Er ist entweder ein Spielzeug in den Händen Ahmadinedschads, des (radikalen) Ayatollahs Mesbah Jasdi und der Revolutionsgarden, oder er ist an ihren Verbrechen beteiligt." Tehrani ist der Sohn einer Schwester Chameneis.

Keine Angst vor Verhaftung

Zwei der unterlegenen Präsidentschaftskandidaten haben sich am Vorabend der Freitagspredigt pessimistisch zur Lage geäußert. Mir Hussein Mussawi nannte die jüngsten Verhaftungen führender Reform-Anhänger "ein düsteres Zeichen für noch schrecklichere Dinge, die kommen werden". Mehdi Karrubi sagte der Los Angeles Times: "Ich gehe nicht in den Untergrund. Ich handle öffentlich und sichtbar. Sogar wenn ich verhaftet werde, ins Gefängnis komme und entlassen werde, kehre ich sofort zu öffentlicher Aktion zurück." Er fühle sich verpflichtet, die Rechte des Volkes zu verteidigen, denn er wolle künftigen Generationen zeigen, dass jemand aus dem klerikalen Establishment zu seinen Grundsätzen gestanden habe.

Steigender Druck auf die Opposition

Täglich mehren sich die Anzeichen steigenden Drucks auf die Opposition. In der Zeitung Keyhan, die dem geistlichen Führer nahe steht, erneuerten mehrere konservative Abgeordnete die Forderung, Mussawi, Karrubi und den ehemaligen Reform-Präsidenten Mohammed Chatami zu verhaften. "Sie zeigen durch ihr Verhalten, dass sie ihre Gegnerschaft zum System nicht aufgeben werden", wird der Abgeordnete Hadi Moghadassi zitiert. Wenn man sie nicht vor Gericht stelle, würden sie darin ein Zeichen von Schwäche sehen.

Zugleich hat der Parlamentsausschuss zur Untersuchung von Folter, Vergewaltigung und Mord, begangen an verhafteten Demonstranten oder Regimegegnern im Gefängnis von Kahrisak, seine Kompetenzen an ein Militärgericht weitergegeben. Der Abgeordnete Farhad Tadschari sagte zu Reportern, die Vorwürfe seien deshalb beim jüngsten Treffen von Parlamentariern mit dem Teheraner Staatsanwalt nicht erörtert worden. Dieser neue Staatsanwalt, Abbas Dschaafar Doulatabadi, ernannt von Sadegh Laridschani, hatte den berüchtigten Saied Mortasawi abgelöst, der mehr als hundert Zeitungen schloss und in dessen Verhören die iranisch-kanadische Photographin Sahra Kasemi ums Leben kam.

Erhoffte Wendung trat nicht ein

Die erhoffte Wendung zu mehr Rechtsstaatlichkeit trat indessen nicht ein: Der neue Mann stellte sofort die Durchsuchungs- und Haftbefehle aus, die Mussawi und Karrubi zu ihrer pessimistischen Einschätzung der Lage veranlassten. Auch Sadegh Laridschani, der zunächst die Freilassung von Häftlingen verlangt hatte, weicht zurück. Er beschuldigt jetzt die Oppositionsführer, indem sie von Wahlbetrug sprächen, hätten sie "dem islamischen System großen Schaden zugefügt".

Die neuesten Enthüllungen über Gräuel in der Haft stammen von Hamid Resa Dschalaiepur, einem Führungs-Mitglied der Beteiligungsfront von Ex-Präsident Chatami. Sein Vater, der seit bald drei Monaten sitzt, habe 37 Tage in einer kleinen Zelle nahe einem Maschinenraum bei Hitze und Rauch verbracht, so dass sogar die Wächter protestiert hätten. Während die Verhörbeamten den Häftling auf den Kopf schlugen, hätten sie seine Mutter, seine Frau und seine Schwester mit üblen sexuellen Ausdrücken beschimpft. "In welchem anderen islamischen Land geht man im Ramadan so mit den Leuten um?" fragt Dschalaiepur.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: