Autoritarismus:Donald Erdoğan bedroht die Demokratie

-

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Politik in Manier eines Sultans

(Foto: AFP)

Ein gefährlicher Cäsarismus hat die Demokratien des Westens gepackt, die Sehnsucht nach Instinkt-Typen wie Trump oder Erdoğan ist stark. Dabei lebt kluge Politik nicht von der Stärke eines Herrschers.

Kommentar von Stefan Kornelius

Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump sind sich vermutlich nie begegnet. Gut möglich, dass die beiden eine schlechte Meinung voneinander haben. In einem Sonnensystem kann es nur eine Sonne geben.

Gleichwohl teilen Trump und Erdoğan mehr, als die demokratische Welt ertragen kann: den erratischen Stil, einen umfassenden Machtanspruch, geringen Respekt vor Institutionen, einen nicht zu überbietenden demagogischen Trieb und paranoides Misstrauen. Trump und Erdoğan sind Instinkt-Typen mit schnellem Reflex.

Vielleicht wird man in ein paar Jahren sagen, dass den westlichen Demokraten dieser Instinkt abhandengekommen war. Vielleicht werden die Historiker feststellen, dass der Kollaps einer Werteordnung exakt um den 8. Mai 2016 besonders gut zu beobachten war, wieder ein 8. Mai also, an dem die Weltgeschichte schon einmal eine Zäsur setzte und der Menschheit die Chance gab, eine neue Ordnung zu schaffen. Das war vor 71 Jahren.

Kluge Politik lebt nicht von der Stärke eines Herrschers, sondern vom Ausgleich

Diese Ordnung nennt man gemeinhin Pax Americana, den amerikanischen Frieden, weil es die USA waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein internationales System schufen, das auf Recht und Regeln basieren sollte, auf dem Ausgleich von Interessen und dem Kompromiss. Weil dies keine Übung in Uneigennützigkeit war, beanspruchte Amerika die Führung in diesem System für sich selbst.

Nicht die ganze Welt konnte sich dieser Idee beugen, auch die USA sind ihr nicht immer treu geblieben. Aber wenigstens wurde eine bemerkenswert große Gruppe von Staaten infiziert von den demokratischen und liberalen Idealen und der Erkenntnis, dass Macht nie umfassend oder gar totalitär sein kann, wenn sie von Dauer sein soll. Die Europäische Union hat diese Erkenntnis in ihre Verträge übersetzt.

Der Feind dieses Systems ist der Extremismus, und Extremisten teilen die Schwäche, dass sie nie wissen, wann sie genug haben. So erlebte der demokratische Westen in den vergangenen Monaten eine schockierende und gefährliche Verdichtung von Extremismus, von geiferndem, verschlingendem Populismus - ein Selbstbetrug, der eigentlich Stärke vorgaukelt, der aber in Zerstörung enden kann.

Trumps Botschaft ist nur ein Gefühl

Die USA und die Türkei stehen exemplarisch für diese Überforderung. Eine sehr alte und eine sehr junge Demokratie rutschen in eine möglicherweise existenzielle Bewährungsprobe.

Trump ist der Demagoge, der die Destruktion im Parteiensystem eiskalt ausnutzt und das Land in Geiselhaft nimmt, dessen Narzissmus und Bauchgefühl die perfekte Mischung bilden, um eine politisch entmündigte und weltabgewandte Wählerschicht zu hypnotisieren. Er reduziert seine Botschaft auf ein Gefühl, er gibt die perfekte Antwort auf die weitverbreitete Angst vor dem amerikanischen Abstieg: "Make America great again."

Wie? Mit wem? Zu welchem Preis? Die dümmlich provokanten Antworten des Bewerbers haben viele Wähler abgeschreckt, die Republikaner gespalten, das Land polarisiert, die Verbündeten in Angst und Schrecken versetzt und in der Welt eine begründete Sorge vor dem 8. November 2016 ausgelöst. Trumps Plutokraten-Populismus, die Vermählung von Maul und Moneten, verspricht Erfolg, weil sie vom Dreiklang aus Radikalität, Stärke und Simplizität lebt.

Den USA droht die Machtübernahme eines Größenwahnsinnigen

Trump, sollte er denn gewählt werden, ist die größte Bedrohung für Amerikas Demokratie, deren Gründer die Machtfülle des Präsidenten zwar einkalkuliert hatten - freilich immer gezähmt durch eine Portion Verantwortungsbewusstsein. Das aber steht nicht auf dem Stimmzettel. So droht dem Land die Machtübernahme eines Größenwahnsinnigen und mithin ein gefährlicher Cäsarismus.

Dieser Cäsarismus hat auch den türkischen Präsidenten gepackt, der nicht ruhen wird, ehe sein Ideal eines osmanischen Präsidialsystems verwirklicht ist, das in Wahrheit nach den Regeln eines autokratischen Sultanats 3.0 funktionieren soll. Wer auch immer Hoffnung in den Reformer Erdoğan investiert hat, sieht nun das Resultat ungebremster Machtgier. Die Hoffnung auf eine pluralistische, demokratische Türkei schwindet mit jedem inhaftierten Journalisten, mit jedem Sicherheitsgesetz im Parlament, mit jeder Willkür-Reaktion auf die berechtigte Bitte der EU nach Kooperation.

Trump und Erdoğan - das sind nicht die Gruselexponate einer Freak-Show, aus der man nach Belieben ins wahre Leben zurückzappen könnte. Sie sind Protagonisten jener Selbstzerstörung, die den demokratischen Westen insgesamt gepackt hat. In Deutschland krakeelen AfD oder Pegida durch die Straßen; in Großbritannien verspricht Boris Johnson das Heil durch die Abwendung von den Freunden; die Orbáns oder Kaczyńskis missbrauchen Europa kalt lächelnd als Selbstbedienungsladen, während sie das System demontieren.

Demokratie braucht Geduld

Alle profitieren sie von der Sehnsucht ihrer Wähler nach Einfachheit, Überschaubarkeit, der heilen Welt: Landlust für Demokraten, denen das Leben da draußen zu anstrengend geworden ist, garniert mit ein bisschen autoritärer Härte, weil die ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Was für eine Geschichtsvergessenheit, was für ein gefährlicher Irrsinn.

Vielleicht ist es die Demokratie selbst, die das trügerische Gefühl ewiger Stabilität vermittelt hat. Vielleicht ist es diese Staatsform, die zur Bräsigkeit und Überheblichkeit verleitet, weil man die Verantwortung auch bequem an ein paar Politiker delegieren kann, die den Laden schon am Laufen halten werden.

Demokratie, einmal verabreicht - für immer im Programm, wie eine Polio-Schutzimpfung? Die Vorstellung ist verlockend, aber falsch. Aufklärung ist flüchtig wie das Geschichtswissen. Demokratie ist empfindlich wie eine Mimose. Sie muss erarbeitet und erklärt werden, sie ist anstrengend und braucht Geduld. Ihre Schlüsseltugend ist die Kompromissfähigkeit. Und dieser Zwang zum Kompromiss erfordert noch mehr Verständnis für eine komplexe und verwobene Welt.

Donald Erdoğan rechnet mit der Erschöpfung der Demokraten. Es wird Zeit, ihn zu widerlegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: