Süddeutsche Zeitung

Macht der Konzerne:Die wahren Herrscher

Was die Tech-Giganten Amazon, Facebook und Google heute sind, waren die Trusts von Rockefeller, Carnegie und Vanderbilt im Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schon damals versuchte man meist vergeblich, die Macht der Konzerne zu begrenzen.

John D. Rockefeller war ein ungewöhnlich frommer Mann, ein lebendes Beispiel für die These von der protestantischen Ethik, die der Soziologe Max Weber 1904, kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, entwickelt hatte. Der irdische Erfolg, durch Askese befeuert, so geht Webers Erklärung für den amerikanischen Kapitalismus, gibt bereits einen Hinweis auf das weitere Schicksal im Jenseits. Und Rockefeller war erfolgreich: Lange vor Warren Buffett oder Bill Gates akkumulierte er eines der größten Vermögen der Weltgeschichte.

Amazon, Facebook und Google beherrschen den Markt heute, im "Gilded Age", im vergoldeten Zeitalter des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelang das einigen wenigen Unternehmern mit ihren Trusts: Andrew Carnegie, Marshall Field, Jay Gould, J. P. Morgan, Cornelius Vanderbilt, Leland Stanford und allen voran Rockefeller.

Geld war für Rockefeller eine Gottesgabe. Er arbeitete von früh bis spät, ging am Sonntag in die Kirche, gab den Armen und entledigte sich mit brutaler Gewalt der Konkurrenz. Bei seinem Tod 1937 verfügte er über ein Restvermögen von 1,4 Milliarden Dollar, nach heutiger Kaufkraft wären das je nach Umrechnung zwischen 30 und 340 Milliarden. Über sein weiteres Leben im Jenseits gibt es keine verlässlichen Angaben, doch hatte er sicherheitshalber für seinen irdischen Nachruhm gesorgt.

John D. Rockefeller war nicht nur einer der reichsten Männer der Weltgeschichte, er ist auch als Wohltäter in sie eingegangen, indem er einer schlichten Maxime folgte: "Meiner Meinung nach hat ein Mann die Pflicht, so viel Geld, wie es ehrlich überhaupt möglich ist zu verdienen, und dann so viel wie möglich herzuschenken." Diese Großzügigkeit beschränkte sich allerdings nicht auf Universitätsgründungen, Geld für medizinische Forschung und viele wohltätige Stiftungen, sondern er bedachte auch Anwälte und Politiker, die ihm sein Geld und seine Macht erhalten mussten. Eine Zeit lang habe er gar nicht versucht, Politiker zu bestechen, schreibt ein Biograf, "vielleicht, weil er nicht wusste, wie".

Rockefeller wusste aber, wie man Geld, wie man ungeheuer viel Geld verdient. Er war die unsichtbare Hand im Gilded Age, in diesem längst versunkenen Jahrhundertende, das dem Prediger Josiah Strong nicht ohne Grund als das wichtigste Jahrzehnt seit dem Erscheinen Christi galt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 nahm die Wirtschaft der Vereinigten Staaten einen ungeheuren Aufschwung. Der Westen wurde ein weiteres Mal erobert, diesmal mit der Dampfmaschine, und dann elektrifiziert. Das Bessemer-Verfahren ermöglichte die Eisenveredelung zum Stahl, den es für den Hochhausbau und die das ganze Land durchziehenden Eisenbahnen brauchte. Auch die Landwirtschaft wurde mechanisiert und industrialisiert, schon um den wachsenden Bedarf in den anschwellenden Städten zu bedienen. Öl war das Schmiermittel in diesem gewaltigsten Boom, den die USA je erlebten.

Der erste Ölboom in Pennsylvania 1859 machte einige Leute für kurze Zeit reich, aber Rockefeller verstand es, den Reichtum zu verstetigen und vor allem einen großen Teil davon für sich abzuleiten, indem er in Ölverarbeitung und den Transport von Öl investierte. 1870 gründete er in Cleveland die Standard Oil, einen Pool verschiedener Firmen, die sich alle der Ausbeutung dieses Rohstoffs verschrieben hatten. Rockefeller ist zur Stelle, wenn sich eine neue Quelle auftut, lässt das Rohöl in seine Fässer abfüllen und nach Osten zu seinen Raffinerien transportieren und schließlich an die Küste, wo der Bedarf unaufhaltsam wächst. Da er die größten Mengen garantieren kann, räumen ihm die Eisenbahngesellschaften erhebliche Rabatte ein. Einen Teil gibt er an die Verbraucher weiter und drängt damit die Konkurrenz aus dem Markt, die bei dieser Kalkulation nicht mithalten kann. Parallel lässt er schnell Pipelines verlegen und kauft das Land vorsichtshalber der Konkurrenz weg, damit sie nicht ihrerseits Rohre verlegen und damit seine bald monopolartige Stellung gefährden kann. Schließlich steigt er ins Finanzierungsgeschäft ein, in dem sich bereits J. P. Morgan betätigt, der mit seinen Eisenbahnen zu Geld gekommen ist.

In wenigen Jahren entstand so ein sich selbst fortzeugendes, vielköpfiges Monster. Ein Überblick über die vielfachen Verflechtungen zwischen Stahl, Eisenbahn, Versicherungen, Banken und der Ölindustrie war kaum mehr möglich. In einem zeitgenössischen Bericht ist die verwirrte Rede von der Standard Oil Company, der Standard Trust Company und "weiteren Firmen unter verschiedenen Namen, die sich im Eigentum der Standard befinden oder von ihr kontrolliert" werden. Der Rockefeller-Trust war schließlich zwanzig Mal so groß wie der nächstgrößere Konkurrent.

Für diesen durchschlagenden irdischen Erfolg war eine belastbare Verbindung zur Politik unerlässlich. Eine davon bildete Matthew S. Quay, der sich 1879 ein "Darlehen" von 15 000 Dollar erbat, das ihm bereitwillig gewährt wurde. Unter dem Decknamen "Black" blieb Quay 25 Jahre auf der Lohnliste Rockefellers, während er gleichzeitig Vorsitzender des National Republican Committee war und im Senat saß.

Schon den Zeitgenossen war diese Macht einiger weniger Magnaten unheimlich, sie wurden robber barons geschimpft, moderne Raubritter, aber es plagte sie deshalb kein schlechtes Gewissen. Bei seinem gottesfürchtigen Werk konnte sich Rockefeller keine Skrupel leisten. In einem einzigen Jahr übernahm er allein in Cleveland 22 von 26 Konkurrenten. Dass er nicht gleich alle auffraß, war auch wieder taktisch gedacht: So kann er immer darauf verweisen, dass ihre Existenz den Vorwurf widerlegte, Standard Oil verfüge über ein Monopol.

Nur höchst widerstrebend ließ sich Rockefeller vor Gericht oder einen Untersuchungsausschuss laden. Sein Trust sei zustande gekommen, weil er Fähigkeiten und Kapital zusammenführen wollte, um sein Unternehmen durch Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu vergrößern, sagte Rockefeller 1900 vor der Industriekommission aus und nutzte die Gelegenheit gleich zu einer Selbstdarstellung: "Während das Unternehmen größer wurde und im Inland wie im Ausland immer mehr Angestellte und mehr Kapital und neue Firmen dazukamen, ging es nur immer um eines, nämlich unser Geschäft zu erweitern, indem wir die besten und zugleich billigsten Artikel lieferten." Von den Arbeitern, die diesen schönen Erfolg ermöglichten, war aus Zeitgründen keine Rede.

Konkurrenz hätte das gute Geschäft nicht etwa belebt, sondern die Gewinne gesenkt, weil der Umsatz sich auf mehr Marktteilnehmer verteilt hätte. Deshalb wurde der Gegner, soweit er sich nicht den Trusts anschloss, nicht bloß bespitzelt, sondern notfalls auch sabotiert. 1887 musste John Rockefeller in Buffalo vor Gericht erscheinen. Im Verhandlungssaal wurde eine Drohung verlesen, die einer seiner Leute gegen den Chef eines kleinen Konkurrenzunternehmens ausgestoßen hatte: "Wir haben 75 Millionen und wir werden dich vernichten." Als das nichts half, wurde ein Mitarbeiter der fraglichen Firma bestochen, der dann den Brennkessel überhitzte, die Sicherungsklappe blockierte und eine Reihe von Explosionen herbeiführte, die beinah das gesamte Firmengelände in die Luft gejagt hätten.

Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung hatten sich dreihundert Trusts gebildet. Seit die Monopolisten den Markt unter sich aufgeteilt hatten, gab es Kritik an ihren Methoden. Der Volkswirtschaftler Werner Sombart sah in den Vereinigten Staaten die "bare Tendenz zum schrankenlosen Erwerbe" am Werk. Für den anfangs noch von Karl Marx beeinflussten Sombart wurde dabei "sinnlos Kapital auf Kapital getürmt: warum? Weil das Geschäft wächst".

Was für den Außenstehenden völlig unverständlich war, das war für Rockefeller, Morgan, Vanderbilt und Carnegie das tägliche Geschäft. Jede Form von Einflussnahme und Kontrolle war diesen Raubrittern zuwider. Gewerkschaften galten ihnen im Zweifel als Werkzeug des Teufels. Als 1892 die Arbeiter in Andrew Carnegies Stahlfabrik in Homestead bei Pittsburgh Lohnkürzungen und dafür längere Arbeitszeiten hinnehmen sollten und sich weigerten, wurden sie ausgesperrt. Carnegies Teilhaber Henry Clay Frick versuchte, die arbeitsrechtlichen Meinungsverschiedenheiten auf seine Weise zu klären: Er bestellte bei der Agentur Pinkerton einen schwerbewaffneten Stoßtrupp. Mehrere Menschen starben.

Google zerschlagen?

Die Forderung, die Tech-Giganten unserer Zeit - Amazon, Facebook, Google oder Apple - zu zerschlagen, ist nicht ganz neu. In der EU-Kommission gibt es dafür durchaus Sympathien. Die amerikanische Präsidentschaftsbewerberin Elizabeth Warren, die 2020 gegen Donald Trump antreten will, sprach sich Anfang März dafür aus, über eine Aufteilung großer Konzerne nachzudenken. Unternehmen ab einem gewissen Jahresumsatz könnten in einen Teil zerlegt werden, der sich um die Infrastruktur kümmert und einen zweiten Teil, der für die Inhalte zuständig ist. Warren und andere sind der Ansicht, dass die großen Plattformen, die über unsere Daten verfügen, viel zu mächtig geworden sind.

Mit den Jahren wurde der Widerstand gegen diese wirtschaftliche Allmachtpolitik immer stärker. Im Magazin McClure's verkündete deren Herausgeber: "Für die Allgemeinheit ist heute keine Frage interessanter, wichtiger und komplizierter als jene um den Trust." Der Abgeordnete James A. Garfield aus Ohio sprach davon, dass sich die Bundesbehörden mit der Standard Oil befassen sollten; 1890, unter der Präsidentschaft von Benjamin Harrison, dem Quay ins Amt verholfen hatte, wurde immerhin der Sherman Act beschlossen, ein Gesetz gegen die Übermacht der Monopole. Damit sollte ein "restraint of trade", die Behinderung oder Einschränkung des Handels und Warenverkehrs, verhindert werden. Es war so schwach formuliert, dass es im Kongress fast einstimmig angenommen wurde und folglich ohne größere Wirkung blieb. Ein überraschender Konjunktureinbruch erforderte ohnehin eine wirtschaftsfreundliche Politik, und der Supreme Court beeilte sich, den Sherman Act so auszulegen, dass es im Zweifel nicht die Monopole waren, die den Handel beeinträchtigten, sondern die Gewerkschaften.

Da Reichtum gottgefällig war, musste Kritik daran unweigerlich wie Blasphemie wirken. Das war die Stunde der Presse. Die große Zeit der Magnaten brachte auch die erste Blüte der Reportage. Journalisten prangerten die Missstände an, um die sich die Politik lange nicht kümmern wollte. Ida Tarbell schrieb über die Verhältnisse bei Standard Oil, Lincoln Steffens über die korrupten Städte und Upton Sinclair über die Fleischfabriken in Chicago. Für Steffens war diese amerikanische Wirtschaftswundergesellschaft korrupt bis ins Mark, denn sie hatte sich einem "Boss" unterworfen. "Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen einer korrupten Gewerkschaft, einer korrupten Bank und einer korrupten Parteizentrale", predigte er 1904 seinen Mitbürgern. "Keinen zwischen einem Gewerkschaftsboss wie Sam Parks, einem Bankenboss wie John D. Rockefeller, einem Eisenbahnboss wie J. P. Morgan und einem politischen Boss wie Matthew S. Quay. Der Boss ist keine politische, sondern eine amerikanische Institution, die ein befreites Volk hervorgebracht hat, das den Geist der Freiheit nicht kennt."

Zögernd nur folgte die Politik dieser moralischen Empörung. Theodore Roosevelt, der Gouverneur von New York und vergleichsweise unabhängig von wirtschaftlichen Interessen, wetterte gegen die "kriminelle Klasse der Reichen". Wegen Verstoßes gegen den Sherman Act begann der Justizminister tatsächlich mit einer Untersuchung der Northern Securities von J. P. Morgan. Roosevelt war inzwischen Präsident geworden und ließ anders als seine Vorgänger nicht mehr mit sich handeln. In seiner Präsidentschaft kam es zu sechzehn Zivil- und achtzehn Strafverfahren gegen die Konzerne.

Der entscheidende Angriff auf die Standard Oil gelang erst 1911. Mehr als zwei Jahrzehnte nach Verabschiedung des Sherman Act erging das erste nennenswerte Urteil gegen einen Trust. Standard Oil wurde in 34 Einzelunternehmen zerschlagen. Die Auflösung verfehlte allerdings ihren Zweck. Die Aktionäre der Dachgesellschaft bekamen Anteile an den verschiedenen Tochtergesellschaften zugesprochen. Damit entstand eine Interessengemeinschaft der neu formierten Einzelunternehmen, sodass sie weiter zusammenarbeiteten, ohne dass es einer gemeinsamen Leitung bedurfte. An der Börse fiel der Kurs, was Rockefeller nutzte, um die billigen Anteile aufzukaufen und noch reicher zu werden.

Glück hatte er auch, nämlich den Fortschritt auf seiner Seite. Die Nachfrage nach Petroleum ging zurück, als Thomas Edison die elektrische Birne erfand. Doch da war schon das Automobil bereit, und statt zu sinken, stieg der Bedarf an Öl nur immer weiter. Der Krieg in Europa steigerte den Umsatz zusätzlich. Niemand profitierte mehr von der Zerschlagung seines Konzerns als sein Gründer John Rockefeller.

Max Weber sah in der irdischen Erfolgsgeschichte Amerikas die "mechanisierte Versteinerung" kommen, außerdem "Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie zuvor erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben". Ein neuzeitlicher Raubritter wie Rockefeller, der in Webers Texten mehrmals auftaucht, hätte diese Charakterisierung nicht verstanden und schon gar nicht auf sich bezogen. Nicht anders als Andrew Carnegie hatte er doch ein Herz für die Armen, und auch J. P. Morgan war ein großer Wohltäter. Das Kulturleben an der amerikanischen Ostküste zehrt bis heute davon. Henry Clay Frick, der auf seine Stahlarbeiter schießen ließ, baute sich in New York ein elegantes Haus und legte sich eine exquisite Sammlung Alter Meister zu. Wer die Frick Collection an der Fifth Avenue nicht weit vom Trump Tower besucht, kann dort unter anderem drei kostbare Vermeers bewundern. Nach dem Willen des Erblassers dürfen sie das Haus nicht verlassen.

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SZ vom 06.04.2019/odg
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