Sonderwirtschaftszone:Macau, Chinas wohlerzogenere Tochter

People take a gondola ride inside the shopping mall of the Venetian Macao hotel and casino in Macau

Bunte Glitzerwelt für die vom Glücksspiel angelockten Touristen: In Macau hat man sogar ein bisschen Venedig nachgebaut.

(Foto: Jason Lee/Reuters)

Seit China der Sonderwirtschaftszone erlaubt hat, alles auf Kasinos zu setzen, gedeiht Portugals Ex-Kolonie. Rebellion wie im nahen Hongkong gibt es nicht, besorgt ist China dennoch.

Von Lea Deuber, Macau

Wer verstehen will, was Macau für ein Ort ist, dieser seltsame Zipfel Erde an der südchinesischen Küste, der muss eine Nacht im Kasino von Yves Chao verbringen. An einem Roulettetisch verspielt ein Mann aus Fujian gerade ein Vermögen. An der Bank stehen junge Chinesinnen und tauschen bündelweise rote Mao-Geldscheinchen. Die Halle mit dem runtergetretenen Teppich, das ist Yves Chaos Reich.

Die Mittfünfzigerin ist nicht die Chefin des Kasinos, aber nur noch ein, zwei Schritte davon entfernt. Ihr richtiger Name spielt keine Rolle, und so spricht sie etwas freier über das Geschäft in der chinesischen Sonderverwaltungszone, in der das Glücksspiel mit einem Jahresumsatz von rund 35 Milliarden Euro zur mit Abstand wichtigsten Branche gehört. Jeder sechste Einwohner arbeitet in der Industrie. Seit die zahlungskräftigen Gäste aus Festlandchina kommen, verspielen sie an Chaos Tischen häufig mehr als 20 Mal so viel wie früher.

Chao selbst saß nur wenige Male an einem Tisch - und verspielt nie mehr als 200 Macau-Pataca, umgerechnet 22 Euro. Glücksspiel, das ist in Macau verpönt. "Wir sind nicht stolz, ein Paradies für Spieler zu sein", sagt Chao. Aber Macau sei zu klein für eine andere wettbewerbsfähige Industrie. "Die Zentralregierung in Peking hat uns mit der Lizenz fürs Glückspiel enorm unterstützt."

Nur eine Stunde mit der Fähre entfernt vom beschaulichen Macau liegt die Finanzmetropole Hongkong. Seit dort die Menschen in den Häuserschluchten für ihre Freiheit kämpfen, steht plötzlich auch das benachbarte Spielerparadies im Fokus. Zwei Jahre nach Hongkong feiert die Region dieses Jahr den 20. Jahrestag der Übergabe der ehemaligen portugiesischen Kolonie, mit der damals die Zeit europäischer Kolonien in Asien endete. Macau ist nicht einmal halb so groß wie München und zählt weniger als eine Million Einwohner. Trotzdem scheint die Sorge in Peking groß zu sein, dass der Protest auch in die Glitzerwelt von Plastikchips und Palmen schwappen könnte. Dass das nächste Pulverfass zu entstehen droht, das im Geheimen das Komplott plant gegen Chinas Mächtige.

So nimmt sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping diese Woche gleich drei Tage Zeit, um den Ort zum Jahrestag zu besuchen. Peking will mit einem neuen Aktionsplan die Sonderverwaltungszone weniger abhängig machen vom süßen Gift des Glücksspiels. In Macao, an Yves Chaos Tischen, spürt man wie fast an keinem anderen Ort den Puls der Weltkonjunktur. Jede Krise, jeder Crash schlägt sich sofort in den Kasinokassen nieder. In den nächsten Jahren könnte Macaus Wirtschaft durch das sich abschwächende Wachstum Festlandchinas sogar schrumpfen. Deshalb will die Zentralregierung nun beispielsweise einen neuen Börsenplatz eröffnen. Das ist nicht nur ein Geschenk für die wohlerzogenere Tochter der zwei Ex-Kolonien. Es ist vor allem ein Schlag ins Gesicht der rebellischen Finanzmetropole Hongkong.

Die Kommunisten haben den Wohlstand gebracht. Vielen ist das mehr wert als Freiheit

Die Straßenschilder in Macau sind bis heute auch auf Portugiesisch beschriftet. Aber während die Briten bis zum letzten Tag in Hongkong regierten, hatten die Portugiesen bereits Jahrzehnte vor der Übergabe Schwierigkeiten, überhaupt Kontrolle über ihre Kolonie zu behalten. Lange vor 1999 regierte Peking de facto in Macau mit. Als Hongkong 1997 die Übergabe an Festlandchina feierte, galt die Stadt als der Ort mit der höchsten Rolls-Royce-Dichte. Am Wochenende traf man sich zum Pferderennen. Viele fühlten sich den verarmten Festlandchinesen überlegen.

In Macau war das anders, erzählt die Abgeordnete Lam Iok Fong, die im zahnlosen, nur teildemokratischen Parlament der Sonderverwaltungszone sitzt. Als sie klein war, arbeite Lam mit ihrer Schwester in einer Fabrik, die Cocktailschirmchen und Plastikblumen produzierte. Nicht einmal drei Prozent der Macauer hatten einen Schulabschluss. Die portugiesischen Kolonialherren hätten nie wirklich in die wirtschaftliche Entwicklung der Region investiert. Glücksspiel hat zwar eine lange Tradition in Macau, aber erst durch die lockereren Regeln für Kasinobetreiber, die China nach der Übergabe anordnete, ging es wirtschaftlich aufwärts. 1999 lag das Prokopfeinkommen bei rund 15 000 Dollar. Inzwischen ist es auf mehr als 112 000 Dollar gestiegen. Macao wurde mithilfe Pekings zum Las Vegas Asiens. Die Kommunisten haben Macau den Wohlstand gebracht.

Die chinesische Sonderverwaltungszone wird ähnlich regiert wie Hongkong. Es gilt das Prinzip ein Land, zwei Systeme. Das Internet ist frei, die Justiz weitestgehend unabhängig. Die Regierung wird zwar von pro-chinesischen Wahlmännern bestimmt, die nicht unabhängig sind, ansonsten gelten aber viele freiheitliche Grundrechte. Peking ist offiziell nur für Landesverteidigung und Außenpolitik zuständig.

Im Hintergrund drängt es aber längst auf mehr patriotische Erziehung, schärfere Sicherheitsgesetze und umfassendere digitale Überwachung. Seit der pro-demokratischen Regenschirm-Bewegung in Hongkong 2014 hat die Zentralregierung den Druck auch in Macau deutlich erhöht. Widerstand gibt es im satten Macau kaum. Zwar existieren ein, zwei pro-demokratische Parteien. Die Abgeordneten bezeichnen sich aber selbst als Minderheit.

Wenn man die Menschen in Macau fragen würde, ob sie mehr Freiheit und Autonomie wollten, würden viele dafür stimmen. Und mehr davon sei natürlich besser, sagt Abgeordnete Lam, die selbst eher dem pro-chinesischen Lager angehört. Die Mehrheit sei der Zentralregierung aber vor allem dankbar. Die Leute Macaus würden Initiativen wie die in Hongkong umstrittene Seebrücke, die Chinas südchinesische Metropolen Hongkong und Macau zu einem Wirtschaftszentrum verschmelzen sollen, nicht als Einfalltor sehen, sondern als Chance. Auch Glückspielmanagerin Yves Chao hat von diesen Chancen profitiert. Sie begann als junge Frau ohne Ausbildung als Croupière an einem der Tische in ihrem Kasino. Nun ist sie auf dem Weg nach ganz oben.

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