Luther-Preis-Kandidat Pussy Riot:"Opfersein ist kein Verdienst"

Alle zwei Jahre ehren die deutschen Lutherstädte Menschen, die mutig ihre Stimme erheben wie einst der Reformator. Auf der Liste der Nominierten steht auch die russische Punkband Pussy Riot - das sorgt für heftige Diskussionen. In diesem Jahr müssen nicht nur die Preisträger, sondern auch die Juroren unerschrocken sein.

Matthias Drobinski

Martin Luther also ist das Vorbild, wie er 1521 in Worms vor Kaiser Karl V. stand und, obwohl das seinen Tod bedeuten konnte, sagte: "Ich kann und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen." Wer mutig seine Stimme erhebt wie einst der Reformator und standhaft ist vor den Mächtigen, den wollen die 16 deutschen Lutherstädte ehren. Alle zwei Jahre verleihen sie den Preis "Das unerschrockene Wort", der Preisträger bekommt 10.000 Euro und eine schöne Feier.

Der erste war 1996 der Bürgerrechtler Richard Schröder, es folgte der Theologe Hans Küng; zuletzt war der regierungskritische russische Journalist Dmitrij Muratow dran. Allesamt waren dies verdiente, anerkannte Menschen, und wenn die Preisträger bekannt gegeben wurden, blieb die Öffentlichkeit ebenfalls unerschrocken und lobte freundlich die Entscheidung.

Diesmal aber gibt es Ärger. An diesem Samstag soll die Jury in der Lutherstadt Eisleben über den Preisträger des Jahres 2013 entscheiden. Und nominiert ist die russische Punkband "Pussy Riot" - jene Frauen also, die am 21. Februar leicht bekleidet und mit Strickmützen über dem Kopf 41 Sekunden lang vor der Ikonen-Wand der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale einen wilden Tanz aufführten und sangen: "Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin" - und dafür zwei Jahre Lagerhaft erhielten.

Bloß nicht, sagt der erste Luther-Preisträger Richard Schröder. Ja, die Strafe gegen die jungen Frauen sei ungerecht, aber: "Dieses 'Punk-Gebet' ist erst einmal eine pubertäre Geschmacklosigkeit", schreibt er; die Band habe religiöse Gefühle verletzt und sich dafür ja auch inzwischen entschuldigt. Pussy Riot verdiene Mitgefühl und Beistand - aber keinen Preis, denn: "Opfersein ist kein Verdienst, Opfersein adelt nicht."

Verletzung religiösen Raums verdient keine Belohnung

Ähnlich sieht das eine Reihe von Kirchenvertretern. Auf der am Mittwoch zu Ende gegangenen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Timmendorferstrand mahnten sie: Die Preisvergabe vergrätze die orthodoxe Kirche, und überhaupt dürfe die Verletzung eines religiösen Raums nicht belohnt werden.

Weil aber Synoden-Präses Katrin Göring-Eckardt das anders sieht, gab es ein bisschen Streit auf der sonst sehr harmonischen Versammlung. Der Satz des Band-Mitglieds Nadja Tolokonnikowa: "Das Christentum, wie ich es verstehe, unterstützt die Suche nach der Wahrheit", der sei, so Göring-Eckardt, doch ziemlich luthergemäß und preiswürdig. Auch Margot Käßmann, die EKD-Lutherbotschafterin, der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge, der CDU-Politiker Heiner Geißler und Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europa-Parlaments, fänden es gut, wenn die Band geehrt würde. Denn, so lautet ihr Argument: Zivilcourage könne auch einmal bedeuten, um der Wahrheit willen die Regeln des Anstands zu verletzen. So halt, wie Luther in Worms dem Kaiser ins Angesicht widersprach.

Die Stadt Wittenberg jedenfalls hält trotz der Proteste fest an ihrem Vorschlag, Pussy Riot zu ehren. Konkurrenz gibt es allerdings auch: Der DDR-Bürgerrechtler Michael Beleites ist ebenso nominiert wie die Gastronomen-Initiative "Keine Bedienung für Nazis". Egal, für wen sie sich entscheiden: Auch die Juroren müssen diesmal unerschrocken sein.

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