Kolonialismus:Ein Zahn kehrt zurück

Kolonialismus: Die Zeremonie zur Übergabe der erhaltenen sterblichen Reste von Patrice Lumumba, im Beisein von dreien seiner Kinder, im Hof des Egmont-Palastes in Brüssel am Montag.

Die Zeremonie zur Übergabe der erhaltenen sterblichen Reste von Patrice Lumumba, im Beisein von dreien seiner Kinder, im Hof des Egmont-Palastes in Brüssel am Montag.

(Foto: Olivier Matthys/AP)

Die wenigen Überreste von Patrice Lumumba werden mehr als sechzig Jahre nach seiner Ermordung in die Demokratische Republik Kongo übergeführt. Der belgische Ministerpräsident bedauert die Rolle seines Landes bei der Hinrichtung des Unabhängigkeitshelden.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Sie haben die Flagge der Demokratischen Republik Kongo über den Sarg gelegt, im Innenhof des Egmont-Palastes in Brüssel stehen am Montagmorgen die Soldaten Spalier, eine Kapelle spielt die Nationalhymne des Kongo, und auf einem Bildschirm ist das Bild von Patrice Émery Lumumba zu sehen, der vor 61 Jahren ermordet, in den Jahrzehnten seitdem aber nie begraben wurde. Weil lange nichts da war, was man beisetzen hätte können. Jetzt gibt es zumindest seinen Zahn, der in dem großen Sarg liegt, in einer kleinen handgefertigten Schachtel mit weißem Bezug.

Vor dem Sarg stehen Jean-Michel Sama Lukonde, der Premierminister des Kongo, und sein belgischer Kollege Alexander De Croo. Dieser sagt in einer kleinen Ansprache: "Ich möchte mich hier, in Anwesenheit seiner Familie, meinerseits für die Art und Weise entschuldigen, in der die belgische Regierung die Entscheidung, dem Leben des ersten Premierministers des Landes ein Ende zu setzen, beeinflusst hat." Es ist ein Satz, den die Nachkommen von Lumumba so noch nie gehört haben, auf den sie lange warten mussten.

Lumumba war der erste Ministerpräsident des gerade eigenständig gewordenen Kongo, eines geschundenen Landes von der Größe Westeuropas, das Belgien sich untertan gemacht hatte, erst war es der Privatbesitz des Königs, dann eine Kolonie, bis zu zehn Millionen Menschen sollen ums Leben gekommen sein in dieser Zeit, ermordet, versklavt, verhungert. Wer auf den Plantagen nicht spurte, dem wurden die Hände abgehackt. Im Jahr 1960 wurde der Kongo in die Unabhängigkeit entlassen, unabhängig sollte er aber nicht sein. Zu wertvoll waren seine Rohstoffe für Europa: Kautschuk, Elfenbein, Uran, Gold, Diamanten, Edelhölzer und Kupfer.

Als der belgische König das Land feierlich entließ, sprach er von "zivilisatorischen Verdiensten" der Kolonialherrschaft. Lumumba stand nicht auf der Rednerliste, erteilte sich dann einfach selbst das Wort und sagte unter anderem: "Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren." Dem König fiel das Gesicht zusammen. Als Lumumba später auch noch von Verstaatlichung sprach und sich an die Sowjetunion wandte, weil er vom Westen nicht die erhoffte Hilfe bekam, war sein Schicksal besiegelt.

Der belgische König wusste damals von den Mordplänen - und tat nichts

Der belgische König wusste von Plänen zu seiner Ermordung und tat nichts; die CIA befahl ihren Mitarbeitern, für die Entsorgung des neuen Ministerpräsidenten zu sorgen, der einen ganz anderen Kongo wollte, einen, dessen Reichtümer allen Kongolesen zugutekommen sollten. Nach nur drei Monaten im Amt wurde Lumumba abgesetzt. Er floh, wurde gefangen genommen und in die abtrünnige und rohstoffreiche Provinz Katanga entführt, wo er - unter Aufsicht belgischer Offiziere - erschossen wurde. Ein paar Tage später gruben zwei belgische Kolonialpolizisten Lumumbas Leiche aus dem provisorischen Grab aus, fuhren mit ihr tief in den Busch, zerkleinerten sie und lösten sie in Säure auf.

Einer der beiden, Gérard Soete, nahm sich zwei Zähne und einen Fingerknochen als Andenken mit. Als er im Jahr 2000 starb, hinterließ zumindest einen Zahn seiner Tochter, die ihn stolz Journalisten zeigte. Die belgische Justiz störte das lange wenig, erst als der Journalist Ludo De Witte die Herausgabe des Zahnes gerichtlich einforderte, wurden sie aktiv. Lange lag der Zahn in einem Tresor der obersten Justizbehörde, die ihn wohl am liebsten möglichst unauffällig an die Familie zurückgegeben hätte.

Kolonialismus: Belgiens Premier Alexander De Croo sprach in seiner Ansprache eine Entschuldigung aus.

Belgiens Premier Alexander De Croo sprach in seiner Ansprache eine Entschuldigung aus.

(Foto: Nicolas Maeterlinck/AFP)

Doch vor allem die Tochter Juliana Lumumba wollte eine Beisetzung, einen Abschied, wie er einem Ministerpräsidenten zustehe. "Er ist für den Kongo gestorben, er verdient eine würdevolle und angemessene Beerdigung, viel ist nicht übrig geblieben von meinem Vater, wir möchten ihn aber endlich heimholen in sein Land", hatte Juliana Lumumba der Süddeutschen Zeitung Ende 2021 in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa gesagt. Jetzt ist es so weit.

Am Montag steht sie links neben dem Sarg, mit zweien ihrer Brüder. Schwarze Anzüge und ein dunkles Kleid. Seit Jahrzehnten haben sie um diesen Tag gekämpft. Immer wieder sind sie vertröstet worden und enttäuscht. Schon oft wurde die Rückgabe angekündigt und dann verschoben, zuletzt vom kongolesischen Staat. Erst war es Corona, dann wurde ein geplantes Mausoleum nicht fertig, dann fehlte das Geld. Manche vermuteten, dass der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi gar kein so großes Interesse haben könnte an der Rückkehr; sein Vater, ein bekannter Politiker, gehörte zu jenem Teil der Elite, die es damals für keine schlechte Idee hielt, Lumumba aus dem Weg zu räumen.

In Kinshasa soll er nun beigesetzt werden, in einem neuen Mausoleum

Die Ermordung Lumumbas wurde in beiden Ländern lange nicht wirklich aufgearbeitet. In Belgien läuft immer noch ein Ermittlungsverfahren, zehn der einstmals zwölf Verdächtigen sind mittlerweile nicht mehr am Leben. In Kinshasa sucht man selbst im ganz neuen Nationalmuseum sehr lange, bis man etwas über Lumumba erfährt. Die Unabhängigkeit wird auf einer Schautafel in wenigen Zeilen abgefertigt, nicht einmal sein Name ist richtig geschrieben, nur "Patrice Emery" heißt er da, ein Mann ohne Nachnamen.

Bei etwa zwanzig Jahren liegt das Durchschnittsalter im Kongo, viele junge Leute wissen wenig bis nichts über den Unabhängigkeitshelden Lumumba. Was die Tochter ändern will. Von Brüssel aus fliegt sie mit den Überresten ihres Vaters nach Hause, zu einer Abschiedsreise durch das Land, in seinen Heimatort, in Städte, in denen er lange gearbeitet hat. Dorthin, wo er starb. In der Hauptstadt schließlich soll er beigesetzt werden, in einem neuen Mausoleum, auf dessen Dach gerade die bereits bestehende Statue des Unabhängigkeitshelden gesetzt wurde. An der Baustelle hängen noch die Banner chinesischer Firmen, der Botschafter Pekings verbreitet die Bilder, offenbar ist seine Regierung bei der Finanzierung eingesprungen.

Hat Belgien nichts bezahlt? Von den Kindern Lumumbas ist dazu kein kritisches Wort zu hören. Sie sagen: Die Rückkehr des Vaters könne der Anfang der Versöhnung sein.

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