Open-Skies-Abkommen:Der Himmel könnte sich schließen

Beobachtungsflüge 'Open Skies'

Mission "Offener Himmel": Abzeichen am Arm eines Crew-Mitglieds des neuen Überwachungsfliegers der Bundeswehr.

(Foto: Christian Charisius/picture alliance/dpa)

Der Open-Skies-Vertrag zur gegenseitigen Luftüberwachung könnte bald Geschichte sein: Nach dem Austritt der USA droht Russland, das Abkommen zu kündigen - der Vertrag wäre dann praktisch wertlos.

Von Paul-Anton Krüger und Georg Mascolo

Im Juni 2019 stellte die Bundeswehr einen umgebauten Airbus A319 in Dienst. Der weiß lackierte Flieger mit der Deutschlandflagge am Rumpf trägt an der Unterseite vier runde Fenster. Durch sie können Kameras, Videokameras und Infrarotsensoren hochauflösende Bilder aufnehmen. Ein "ganz besonderes Instrument der Rüstungskontrolle, aber vor allem auch der Vertrauensbildung in Zeiten großer sicherheitspolitischer Herausforderungen", nannte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Maschine, die als "weltweit modernste Beobachtungsplattform" für Aufklärungsflüge nach dem "Open-Skies"-Vertrag dient.

Mit dem Vertrauen scheint es indes nicht mehr weit her zu sein: Nach dem im Mai von Präsident Donald Trump verkündeten und am 22. November wirksam gewordenen Rückzug der USA aus dem Abkommen, droht nun auch Russland mit der Kündigung. Das hat das russische Außenministerium nach Informationen der Süddeutschen Zeitung mit Datum vom 22. Dezember den verbliebenen anderen 32 Vertragsstaaten mitgeteilt. Anlässlich des US-Rückzugs hatte Außenminister Heiko Maas das Abkommen noch als "wichtigen Bestandteil der europäischen Rüstungskontrollarchitektur" gewürdigt. Nach einer Kündigung Russlands wäre es praktisch wertlos.

Der Vertrag erlaubt, grob gesagt, Nato-Staaten pro Jahr eine bestimmte Zahl unbewaffneter Überwachungsflüge über Russland und Belarus. Diese dürfen umgekehrt Nato-Staaten beobachten; auch andere OSZE-Mitglieder sind noch beteiligt. Das soll Transparenz über Truppenstärken, Stationierungsorte und dergleichen gewährleisten und so Spannungen vorbeugen. Auch ließen sich die Flüge nutzen, um die Einhaltung von Abrüstungsverträgen zu kontrollieren und in Krisen wie etwa der Invasion der Krim durch Russland Lagebilder zu gewinnen. Abgeschlossen wurde das Abkommen 1992, in Kraft trat es schließlich 2002 - und in wenigen Monaten könnte es Geschichte sein.

Denn nun fordert Moskau ultimativ schriftliche Garantien, dass die Vertragsstaaten die gewonnenen Aufklärungsdaten nicht mit den USA teilen. Und dass Russland militärische Einrichtungen der USA in diesen Staaten unbeschränkt überfliegen und dokumentieren darf. Sollten diese Zusagen nicht bis 1. Januar 2021 vorliegen, werde sich "die Russische Föderation gezwungen sehen, das Verfahren zum Rückzug aus dem Vertrag einzuleiten".

Mehrere Außenminister weisen das russische Ultimatum zurück

Das Weiße Haus warf Moskau vor, bei seinen Flügen Ziel-Informationen über kritische Infrastrukturen in den USA zu sammeln, um seine Waffen darauf auszurichten. Allerdings werden alle Flüge gemeinsam geplant. Die Routen werden mit 72 Stunden Vorlauf abgestimmt, es sind Beobachter des überflogenen Landes mit an Bord. Zugleich begrenze der Kreml widerrechtlich Überflüge über das russische Territorium, namentlich über Kaliningrad, an der Grenze zu Georgien oder während eines Manövers 2019.

Der designierte US-Präsident Joe Biden hat den Rückzug der USA ebenso verurteilt wie viele europäische Staaten. Außenminister Maas monierte "Schwierigkeiten bei der Umsetzung" auf Seiten Russlands. Die meisten Europäer sahen darin aber keinen Grund für eine Kündigung, auch weil sich längst nicht alle wie Washington über Satelliten die bisher bei den Flügen gewonnenen Informationen verschaffen können. Biden ging aber nicht so weit anzukündigen, er werde die USA in das Abkommen zurückführen. Umstritten ist, ob eine neue Ratifizierung durch den Senat mit Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre, die als unwahrscheinlich gilt.

Die beiden von den USA bisher für Überwachungsflüge genutzten, in den 1960er-Jahren gebauten Boeing OC-135B sollen außer Dienst gestellt werden. Dem modernen deutschen Airbus A319 OH könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen. In einem gemeinsamen Antwortschreiben an den russischen Außenminister Sergej Lawrow weisen Maas, sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian und 14 weitere Außenminister das Ultimatum zurück.

Sie verweisen auf die Beratungskommission des Vertrages, die sich auf Russlands Initiative bereits mit dem Thema befasse und am 25. Januar wieder tagen soll. Es gehe schon aus dem Vertrag hervor, dass Aufklärungsdaten zwar allen Vertragsparteien zur Verfügung stehen, nicht aber Staaten, die ihm nicht angehörten. Aus US-Militärquellen heißt es, man habe die Zusage, dass die Europäer Washington vor geplanten Überflügen von US-Stützpunkten informieren. Russland bleibt Belege für seine Vorwürfe schuldig, die USA wollten solche Überflüge künftig verhindern.

Die Außenminister zeigen sich jedenfalls "erstaunt" über Moskaus Ansinnen, dem Lawrow jüngst in Interviews noch Nachdruck verlieh. Man sei zwar bereit, eine Sondersitzung der Beratungskommission einzuberufen. "Wir sind der Ansicht, dass die in Ihrer Verbalnote formulierte neue Bedingung eine Präferenz von Ihrer Seite als eine Notwendigkeit widerspiegelt", heißt es nach Informationen der SZ im Antwortschreiben vom 30. Dezember. Das liest sich, als fürchte man in Berlin, Paris und anderswo, dass Russland einen Vorwand schaffen will, um sich ebenfalls aus dem Vertrag zurückzuziehen.

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