Luftschlag bei Kundus:Bundeswehr wollte Taliban töten

Neue Erkenntnisse über den Luftschlag von Kundus: Anders als bislang behauptet, hatte der Angriff nicht primär zwei Tanklastzüge zum Ziel, sondern sollte eine große Gruppe von Taliban und ihre Anführer treffen. Der deutsche Kommandeur Oberst Klein "wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge", heißt es im Isaf-Untersuchungsbericht.

Stefan Kornelius

Der Luftschlag von Kundus zielte - anders als bisher behauptet - nicht auf zwei Tanklastzüge, sondern sollte eine große Gruppe von Taliban und ihre Anführer treffen. Das geht aus dem offiziellen Untersuchungsbericht der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) hervor. "Er wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge", heißt es in dem geheim gehaltenen Bericht über den deutschen Oberst Georg Klein, der den Luftschlag anforderte.

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Afghanische Polizisten stehen neben einem der zwei nahe Kundus von Nato-Flugzeugen zerstörten Tanklaster.

(Foto: Archivfoto: ddp)

Aus dem Isaf-Bericht gehen die vermuteten Opferzahlen hervor, die damit erstmals offiziell bestätigt sind: Von mehr als hundert Toten ist die Rede, darunter 60 bis 80 Taliban-Kämpfer und 30 bis 40 getötete oder verletzte Zivilisten. Die Debatte über das Bombardement vom 4.September hatte sich zunächst lange um eine mögliche Bedrohung durch die Tankfahrzeuge gedreht.

Nun lässt der Untersuchungsbericht des Isaf-Kommandeurs Stanley McChrystal das zentrale Motiv für den Luftschlag in einem anderen Licht erscheinen. Demnach hatte der deutsche Kommandeur, Oberst Georg Klein, immer die Absicht, nicht die Tanklastwagen zu zerstören, sondern die Ansammlung von Taliban zu bekämpfen. Offenbar macht Oberst Klein auch in dem von ihm selbst verfassten Bericht keinen Hehl aus seiner Absicht. Nach Informationen der SZ schreibt er, er habe die Taliban "vernichten" wollen.

Im Video: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat bei seinem überraschenden Besuch in Afghanistan eine umfassende Aufklärung des umstrittenen Luftangriffs bei Kundus zugesichert. Weitere Videos finden Sie hier

Mit dieser Information erscheint die Debatte hinfällig, ob es Alternativen zu dem Bombardement gegeben hätte, etwa durch warnende Überflüge der Bomber. Laut dem Isaf-Bericht waren in der fraglichen Nacht 60 bis 80 Taliban aus dem Aliabad-Distrikt und ihre Anführer zu den Tanklastzügen geeilt. Die Anführer hätten ihre Leute sogar vor einem möglichen Bombardement gewarnt, "aber niemand schenkte dem Beachtung".

Der Isaf-Bericht behandelt die Lage vor dem Bombardement. Er kommt zu dem Schluss, dass dem deutschen Kommandeur nach Wochen mit Gefechten und Überfällen der Taliban der Moment günstig erschienen sein müsse, die Rebellen-Gruppe bei den Tanklastzügen anzugreifen. Zu einem Zeitpunkt in der Nacht habe ein Informant vor Ort den Einsatzstab wissen lassen, dass sich ausschließlich Taliban, Sympathisanten oder Familienmitglieder auf der Sandbank im Kundus-Fluss aufhielten. Der Bericht stellt aber ebenso fest, dass der deutsche Oberst gegen Einsatzregeln und Direktiven der Isaf verstoßen habe.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums lehnte es am Freitag auf die Frage nach den Motiven für den Angriff ab, "auf Spekulationen oder Schnipsel zu reagieren, seien sie richtig oder falsch". Es sei nun Aufgabe des Untersuchungsausschusses, die Umstände des Bombardements zu klären.

"Hier besteht ein berechtigter Aufklärungsbedarf des Deutschen Bundestages", sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei einem Truppenbesuch in Afghanistan am Freitag. Dennoch dürfe der Untersuchungsausschuss nicht die Soldaten diskreditieren, sondern müsse zu mehr Rechtssicherheit beitragen. Begleitet wurde zu Guttenberg von Verteidigungspolitikern der Bundestagsparteien. Afghanistan sei "nicht mit militärischen Mitteln zu gewinnen", hatte der Minister am Vorabend im ZDF eingeräumt.

Derweil müssen die Vereinten Nationen einen neuen Vertreter für Afghanistan suchen. Der norwegische Diplomat Kai Eide gab bekannt, er habe Generalsekretär Ban Ki Moon gebeten, er solle sich für kommenden März um einen Nachfolger zu bemühen. Dann läuft Eides Zweijahresvertrag aus.

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