Luftangriffe in Afghanistan:Bombardements mit fatalen Folgen

Die jüngsten Angriffe der Nato mit Dutzenden Toten führen den Krieg in Afghanistan in eine neue Dimension. Erstmals hat ein von der Bundeswehr angeforderter Lufteinsatz so schwere Folgen. Nicht nur die Grünen dringen auf schnelle und umfassende Aufklärung - wichtige Fragen sind noch offen.

Peter Blechschmidt, Berlin

Was ist an zwei gekaperten Tanklastwagen so wichtig, dass man sie kurzerhand in die Luft jagt und dabei Dutzende Tote in Kauf nimmt? Diese Frage beschäftigt das politische Berlin.

Afghanistan: Nach Luftangriff; Reuters

Bei dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff der Nato-Truppe Isaf auf zwei von Taliban entführte Tanklastwagen sind in Nordafghanistan Dutzende Menschen getötet worden.

(Foto: Foto: Reuters)

Das Verteidigungsministerium blieb am Freitag eine plausible Antwort schuldig. Zu Spekulationen äußere man sich nicht, erklärte der stellvertretende Ministeriumssprecher, Kapitän zur See Christian Dienst, mit großer Standfestigkeit auf hartnäckige Fragen in der Bundespressekonferenz.

Auch Dienst weiß, dass die Spekulationen umso mehr ins Kraut schießen, je weniger Fakten bekannt sind. Aber die Möglichkeiten der "Erkenntnisgewinnung" in Afghanistan könne man nun mal nicht mit mitteleuropäischen Maßstäben messen, belehrte der Kapitän die Fragesteller.

Bombardiert aus der Luft

Gesicherte Erkenntnisse gab es bis zum Freitagnachmittag nicht sehr viele. So viel schien festzustehen: In der Nacht zuvor, gegen 1.50 Uhr Ortszeit, hatten Aufständische, im Militärjargon Opposing Militant Forces (OMF) genannt, an einer als offiziellem Checkpoint getarnten Straßensperre sieben Kilometer südwestlich von Kundus zwei Tanklastzüge gekapert und in ihre Gewalt gebracht.

Sie fuhren damit in Richtung des als Taliban-Hochburg geltenden Distrikts Chahar Darreh. Dabei mussten sie den Kundus-Fluss überqueren. Auf einer Sandbank im Fluss blieben die Laster stecken. Dort wurden die Kämpfer dann mit ihrer Beute von zwei Flugzeugen der amerikanischen Luftwaffe bombardiert. Die Tanker explodierten und brannten aus, mehr als 50 Aufständische, so die Bundeswehr, wurden getötet. "Unbeteiligte" Zivilisten, so das Verteidigungsministerium, kamen nach den bisherigen Erkenntnissen nicht zu Schaden.

Das las sich in Berichten der großen Nachrichtenagenturen, die in der Gegend meist örtliche Mitarbeiter haben, ganz anders. Darin war von 40, teilweise auch von 200 zivilen Toten die Rede. Quellen der Agenturreporter waren unter anderem der Provinzgouverneur, örtliche Polizeistellen und natürlich Sprecher der Taliban. Wieweit deren Informationen auf gesicherten Tatsachen beruhen oder, was bei Angaben der Taliban immer unterstellt werden muss, Propagandazwecken dienen, lässt sich in kurzer Zeit kaum verifizieren.

Augenzeugen berichteten nach Angaben von Deutschlandradio Kultur von Dorfbewohnern, die versucht hätten, sich Benzin von den Tanklastwagen abzuzapfen. Möglicherweise hätten die Taliban die Menschen dazu sogar aufgefordert. Demnach sei es aus Sicht der Einheimischen keine Frage, dass bei dem Angriff auch Unbeteiligte umgekommen seien.

Nach Darstellung eines Talibansprechers hätten die Taliban die Menschen sogar vor einem Luftangriff gewarnt, diese hätten sich aber nicht wegschicken lassen.

Offene Fragen

Der Vorgang wirft also Fragen auf, vor allem die nach den Gründen, die den Bundeswehrkommandeur Oberst Georg Klein in Kundus bewogen haben, die Luftunterstützung (Close Air Support) der Amerikaner nicht nur anzufordern, sondern dann auch den Befehl zum Bombenabwurf zu geben.

So viel immerhin teilte Kapitän Dienst in Berlin mit: Das "Lagebild" habe eindeutig erkennen lassen, dass sich im Umfeld der gestrandeten Tanklaster nur bewaffnete Aufständische, nicht aber "Unbeteiligte" aufgehalten hätten. Deshalb könne man davon ausgehen, dass für "Zivilisten" keine Gefahr bestanden habe. Wäre es anders gewesen, hätte Oberst Klein den Angriffsbefehl nicht gegeben.

"Tiefes Vertrauen"

Dies steht im Einklang mit einer neuen Anordnung des Kommandeurs der Internationalen Schutztruppe Isaf, des US-Generals Stanley McChrystal, dass beim Einsatz von Waffen oder Bomben stärker als bisher auf den Schutz der Zivilbevölkerung zu achten sei. Oberst Klein gilt in der Bundeswehr als besonnener Truppenführer. Klein sei kein "Hasardeur", sagte Ministeriumssprecher Christian Dienst.

Er habe "tiefes Vertrauen", dass Klein eine "wohl abgewogene Entscheidung" getroffen habe. Dafür spricht auch, dass Klein sich der Tatsache bewusst gewesen sein muss, welche Debatten sein Befehl in Deutschland auslösen würde. Da er dies in Kauf genommen hat, spricht viel dafür, dass er sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein muss.

Nachdenklich stimmt schließlich, wenn die Angaben denn korrekt sind, die kurze Zeitspanne zwischen der Kaperung der Lastwagen um 1.50 Uhr und ihrer Zerstörung um 2.30 Ortszeit. Es gibt Spekulationen, dass die Entführer schon länger im Visier der Isaf waren. Das würde bedeuten, dass bereits der Überfall beobachtet wurde, und es würde erklären, warum die Fahrzeuge so schnell aufgespürt werden konnten.

Wie dies möglich war, wollte Dienst im Einzelnen nicht preisgeben. Möglicherweise waren unbemannte Aufklärungsdrohnen im Einsatz. Die knappe Zeit spricht schließlich gegen die Version von den Zivilisten als Spritdieben, denn dass mitten in der Nacht Bewohner eines zwei Kilometer entfernten Dorfes so schnell herbeieilen könnten, ist eher unwahrscheinlich.

Weitere Fragen sind offen: So sollen nach Berichten aus der Region die Entführer die zivilen Fahrer der Tanklaster gegen eigene Leute ausgetauscht haben. Zwei der Fahrer sollen sogar von den Taliban geköpft worden sein. Unter den Kidnappern soll ein ranghoher Taliban-Führer gewesen sein. Das wiederum würde in das Bild passen, dass die Gruppe bereits seit längerem unter Beobachtung stand. Es wäre auch ein weiterer Grund für das entschlossene Vorgehen gegen die Gruppe der OMF.

Die Obleute des Verteidigungsausschusses im Bundestag haben am Freitag eine 16 Zeilen lange Information des Verteidigungsministeriums erhalten, deren Dürftigkeit, so der Grüne Winfried Nachtwei, in "krassem Widerspruch" zu dem bisher größten und opferreichsten Lufteinsatz im Norden Afghanistans stehe. Nicht nur Nachtwei verlangt "schnelle und glaubwürdige Aufklärung".

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