Süddeutsche Zeitung

Luftangriffe in Afghanistan:Blankes Kriegsrecht

Lesezeit: 3 min

Der Angriff auf die Tanklaster sollte Taliban töten. Wenn aber "zur Selbstverteidigung" jeder Gegner getötet werden darf, der gefährlich sein könnte, verabschiedet man sich aus dem Isaf-Mandat.

Heribert Prantl

Hat die Bundeswehr zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gezielt Gegner getötet beziehungsweise deren Tötung veranlasst, weil man sie für Feinde gehalten hat?

Die Feinde befanden sich nicht im Angriff auf Soldaten. Die Feinde wurden auch nicht getötet, weil sie dabei waren, einen Angriff unmittelbar vorzubereiten. Sie wurden nach jüngsten Erkenntnissen allein deswegen getötet, weil man sie für Feinde hielt - weil man sie den Taliban zurechnete, weil man Taliban-Führer unter ihnen erkannt zu haben glaubte.

Sie wurden also als Gegner identifiziert - und offensichtlich deswegen, nicht wegen einer aktuellen Gefährdungssituation, wurde ein Angriffsbefehl an die US-Bomber gegeben.

Was darf die Bundeswehr?

Bei der rechtlichen Beurteilung ist zu unterscheiden. Erstens: Darf die Bundeswehr in Afghanistan gezielt töten oder die gezielte Tötung von Gegnern veranlassen, wenn aktuell keine Verteidigungssituation besteht? Diese Frage scheint sich nun beim Bombardement von Kundus zu stellen. Zweitens: Wenn die Bundeswehr das darf, darf sie dann in Kauf nehmen, dass bei dieser Tötung des Gegners zwangsläufig auch mehr oder weniger Zivilisten zu Tode kommen?

Schon die Antwort auf die erste Frage ist klar: Sie darf es nicht; eine solche Aktion ist rechtlich nicht gedeckt. Sie könnte womöglich gedeckt sein vom allgemeinen Kriegsrecht, dieses wird aber vom Mandat der Soldaten eingeschränkt. Und wenn schon die gezielte Tötung rechtswidrig ist, dann ist die Inkaufnahme ziviler Opfer im Rahmen dieser Aktion doppelt rechtswidrig.

Selbst bei erlaubten Militäraktionen ist die Inkaufnahme von zivilen Opfern genau zu prüfen. Nach Paragraph 11 Absatz 1 Nummer 3 Völkerstrafgesetzbuch kommt es auf die Verhältnismäßigkeit an: "Wer mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht", wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.

Vernichtung des Gegners als vorrangiges Ziel

Wäre die Anordnung einer Quasi-Exekution echter oder vermeintlicher Taliban für die Bundeswehr eine zulässige militärische Aktion? Mit "Aufbausicherung", wie die deutsche Politik bislang das Ziel des Einsatzes umschrieben hat, hat eine solche Frage sicher nichts zu tun; gezielte Tötung von Gegnern ist kein Teil von Aufbausicherung.

Es handelt sich auch nicht um eine zulässige Polizeiaktion. Die gezielte Tötung von Menschen im Rahmen polizeilichen Handelns ist nur als finaler Rettungs- oder Todesschuss etwa bei Geiselnahme möglich.

Bei der gezielten Tötung handelt es sich also um eine Maßnahme im Rahmen der militärischen Terrorbekämpfung. Gezielte Tötung von Gegnern ist Krieg. Wer sich freilich zur Rechtfertigung der Tötung auf "Krieg" beruft, verabschiedet sich aus dem UN-Mandat für Isaf und plädiert für die Vernichtung des Gegners als vorrangiges Ziel.

Die Bundeswehr ist in Afghanistan Teil der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe Isaf; der Einsatz basiert auf einem UN-Mandat und soll die legale afghanische Regierung (deren Legitimität durch Wahlfälschungen beschädigt ist) dabei unterstützen, die Bevölkerung zu schützen und ein sicheres Umfeld für Aufbauhelfer zu schaffen.

Am 16.Oktober hat der Bundestag zum siebten Mal den Einsatz genehmigt. Diese Genehmigung erfolgte in Kenntnis der Neufassung der "Taschenkarte für Bundeswehrsoldaten", im Juli herausgegeben vom Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Die Taschenkarte enthält Einsatzregeln; sie sind die Konkretisierung und Kurzfassung der Nato-geheimen "Rules of Engagement".

Die Taschenkarten-Regeln waren in der öffentlichen Diskussion unter der Überschrift zusammengefasst worden, die Soldaten dürften jetzt "schneller schießen", wenn sie selber angegriffen werden. "Angriffe gegen militärische und zivile Angehörige von Isaf und Nato" dürfen die Soldaten "jederzeit" verhindern, heißt es in der Taschenkarte. Tötung zur Vorbeugung ist auf Basis der Taschenkarte nicht möglich. Die Selbstverteidigungsvorschriften würden sonst weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr ausgedehnt werden.

Eintauchen in blankes Kriegsrecht

Militärs glauben, dass gezielte präventive Maßnahmen (die gleichwohl verhältnismäßig sein müssen) zu den "geeigneten Maßnahmen" des Selbstschutzes gehören. Indes: Wenn zum Selbstschutz jeder Gegner getötet wird, der demnächst gefährlich werden könnte, bedeutet das: Enthemmung militärischer Gewalt, Verabschiedung aus dem Isaf-Mandat und Eintauchen in blankes Kriegsrecht.

Die Taschenkarten-Regeln waren in der öffentlichen Diskussion unter der Überschrift zusammengefasst worden, die Soldaten dürften jetzt "schneller schießen", wenn sie selber angegriffen werden. "Angriffe gegen militärische und zivile Angehörige von Isaf und Nato" dürfen die Soldaten "jederzeit" verhindern, heißt es in der Taschenkarte. Tötung zur Vorbeugung ist auf Basis der Taschenkarte nicht möglich. Die Selbstverteidigungsvorschriften würden sonst weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr ausgedehnt werden.

Militärs glauben, dass gezielte präventive Maßnahmen (die gleichwohl verhältnismäßig sein müssen) zu den "geeigneten Maßnahmen" des Selbstschutzes gehören. Indes: Wenn zum Selbstschutz jeder Gegner getötet wird, der demnächst gefährlich werden könnte, bedeutet das: Enthemmung militärischer Gewalt, Verabschiedung aus dem Isaf-Mandat und Eintauchen in blankes Kriegsrecht.

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