Braunkohletagebau in NRW:Polizei entfernt Barrikaden in Lützerath

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Noch hat die Räumung des Dorfs nicht begonnen, doch die Stimmung zwischen Demonstrierenden und den Einsatzkräften wird zunehmend aggressiv.

Von Oliver Klasen

Die Kampfplätze der Klimabewegung werden stets mit Verniedlichungsform bezeichnet. Der Dannenröder Wald in Hessen, der einer Autobahn weichen soll und 2020 geräumt wurde, wurde unter den Aktivistinnen und Aktivisten nur "Danni" genannt. Der Hambacher Forst, für den das Land NRW 2018 den teuersten Polizeieinsatz in seiner Geschichte anordnete, heißt "Hambi". Und das Dorf Lützerath, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, das jetzt vor der Räumung steht, weil es, genau wie der Hambacher Forst, dem Braunkohletagebau im Wege steht, firmiert in der Szene unter "Lützi" beziehungsweise auf Twitter unter dem Hashtag #luetzilebt oder #luetzibleibt.

Die Situation in Lützerath ist in diesen Stunden aufgeheizt, denn noch in dieser Woche dürfte es zur Räumung kommen. Am Montagabend ist die letzte juristische Hürde gefallen, das Oberverwaltungsgericht Münster hat eine Beschwerde von Klimaaktivisten letztinstanzlich abgelehnt. Die Polizei darf also anrücken und die Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Dorf entfernen, zur Not mit unmittelbarem Zwang.

Viele Aktivisten in Lützerath sind vermummt und einige schmieren sich Glitzer auf die aufgerauten Fingerkuppen, um ihre Identifizierung zu erschweren. (Foto: Oliver Berg/DPA)

Am Dienstagmorgen hat sie bereits mit der Entfernung von Barrikaden begonnen, die die Aktivisten errichtet hatten, um die Zufahrt zum Dorf zu blockieren. Um 12.30 Uhr meldeten die Klimaaktivisten über ihren Twitterkanal, dass sämtliche Barrikaden auf der Brachfläche vor dem Dorf inzwischen geräumt seien. Man werde sich aber weiter mit Menschenketten und Sitzblockaden gegen die Räumung des Dorfes wehren.

Die Räumung selbst werde am Dienstag aber noch nicht beginnen, das lässt die Polizei per Lautsprecher durchsagen: "Die Polizei fordert Sie noch einmal auf, Ihre Blockaden sofort zu verlassen." Außerdem appelliert die Einsatzleitung, ebenfalls über Lautsprecher: "Greifen Sie die Polizei-Einsatzkräfte nicht an!" Damit könne man sich strafbar machen.

Der Ton zwischen Aktivisten und der Polizei ist bereits am Montag spürbar aggressiver geworden. Mehrere Hundert, zum Teil vermummte Aktivisten hatten nach einem Konzert eine Sitzblockade errichtet, bei der sich einige Beteiligte etwa einen halben Meter tief in die Erde eingruben. In sozialen Medien verbreiten Klimaschützer Videos, die zeigen, wie Polizisten einzelne Demonstranten attackieren und versuchen, eine Menschenkette zurückzudrängen. Ein Video, das ein Vertreter einer Journalistengewerkschaft veröffentlicht hat, zeigt auch, wie ein Fotograf von einem Polizisten attackiert wird. Auf der anderen Seite sind Videos zu sehen, die zeigen, wie ein Aktivist den Außenspiegel eines Polizeiwagens zerstört.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Bei dem Versuch der Polizei, Blockaden aufzulösen, kommt es auch am Dienstag vereinzelt zu Handgreiflichkeiten, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. In mehreren Reihen stemmten sich Aktivisten gegen die Einsatzkräfte, es werde geschubst und gebrüllt. Ein Aktivist mit Blut im Gesicht habe gesagt, er sei an der Nase verletzt worden, als er von seiner Sitzblockade weggetragen worden sei. Mit einer Hebebühne habe die Polizei zwei Aktivisten von einem sogenannten Monopod, einer Art Hochsitz, heruntergeholt.

"Die Polizei ist jetzt massiv vorgerückt und hat massiv gedrückt", sagte Johanna Inkermann von der Initiative "Lützerath lebt". "Wir lassen uns aber nicht wegdrängen. Es ist eine extrem dynamische Situation."

Die Polizei entfernt einen Aktivisten mit Hilfe einer Hebebühne von einem Holzpfahl. (Foto: Oliver Berg/DPA)

Die ursprünglichen Bewohner des Dorfes Lützerath sind längst ausgezogen, der Energiekonzern RWE hat sie ausbezahlt. Seit Monaten, teilweise sogar seit zwei Jahren, harren einige Aktivisten aber weiter in Lützerath aus und halten die sechs noch stehenden Häuser sowie die Zufahrtswege zum Dorf besetzt. "Es geht darum, dass wir die Zufahrt zu Lützi versperren", sagte eine Aktivistin der dpa.

RWE will die unter Lützerath liegende Braunkohle abbaggern - dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz abgerissen werden. Der Abriss ist Teil eines Kompromisses, den die schwarz-grüne Landesregierung mit RWE ausgehandelt hat. Er sieht vor, dass der Kohleausstieg im Rheinischen Revier von 2038 auf 2030 vorgezogen wird. Fünf Dörfer, die eigentlich dem Braunkohletagebau weichen sollten, werden nicht abgebaggert. Lützerath allerdings schon.

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Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) kritisierten insbesondere die Grünen für diesen Kompromiss. FFF-Sprecherin Luisa Neubauer, die selbst Grünen-Mitglied ist, bezeichnet die Vereinbarung als bewussten Bruch der Pariser Klimaziele, die auf eine Begrenzung der Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius über dem langjährigen Temperaturmittel ausgerichtet sind. Dass infolge des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise die Kohle in Deutschland eine Renaissance erlebt, halten die Klimaaktivisten für einen Verrat an den Zielen ihrer Bewegung. Auch bei den Grünen rumort es angesichts der schmerzhaften Kompromisse.

Hinzu kommt, dass der Kohleabbau unter Lützerath nur mit einem gigantischen Polizeieinsatz durchgesetzt werden kann, der noch dazu von einem Polizeipräsidenten mit grünem Parteibuch koordiniert wird, Dirk Weinspach aus Aachen. Weinspach sagte auf einer Pressekonferenz am Montag, seine Kollegen und er gingen den Einsatz professionell an und seien gut vorbereitet. Neben verbarrikadierten Wohnhäusern, die geräumt werden müssten, gebe es rund 25 Baumhäuser, aus denen Protestierende technisch aufwendig, aber dennoch sicher herausgeholt werden müssten. Die Polizei wolle dabei deeskalierend vorgehen, so Weinspach. Allerdings sei ihm klar, dass es unter den Protestierenden eine kleine Gruppe gebe, die gewaltbereit sei.

Die Polizei stellt sich auf einen Einsatz von vier Wochen Dauer ein und rechnet mit "vielfältigen Widerstandsformen", wie es Weinspach ausdrückt. Dass diese sich nicht nur am Dorf Lützerath zeigen, wurde am Dienstag ebenfalls deutlich. Aus Protest gegen die Haltung der Grünen zur Räumung des Dorfes hat ein Düsseldorfer Bündnis 250 Kilo Braunkohle-Briketts vor der Zentrale der Landespartei gekippt.

Seit Monaten harren Dutzende Klimaschützer in Lützerath aus, um die Räumung doch noch zu verhindern. (Foto: Günter Passage/Imago)

Klimaaktivistin Neubauer macht der Polizei in Lützerath schwere Vorwürfe. Sie sehe "ganz viel friedlichen Protest", die Polizeistrategie sei hingegen "nicht besonders friedlich" und offenbar darauf ausgerichtet, "immer mehr Polizeikräfte dahin zu holen", sagte Neubauer im Deutschlandfunk. Den Protestierenden stehe das Recht zu, für Klimagerechtigkeit einzustehen.

Allerdings räumt die Fridays-for-Future-Sprecherin in dem Interview indirekt ein, dass es wohl sehr schwer wird, die Räumung und anschließende Abbaggerung des Dorfes zu verhindern. Allerdings werde der Kompromiss für die Regierung "zumindest politisch sehr, sehr teuer" und die Räumung könne durch die Blockade erheblich hinausgezögert werden.

Auch den RWE-Konzern greift Neubauer an. Dieser sei der "dreckigste Konzern Europas" und verdiene sich mit der Kohle unter Lützerath "dumm und dusselig". Es gehe nicht um die Zukunft eines einzelnen Dorfes, sondern um die "Lebensgrundlagen weltweit". Auch ihre eigene Partei kritisiert die Klimaaktivistin: Die Grünen hätten ökologische Grenzen ziehen und verteidigen müssen. "In diesem Fall haben sie das nicht gemacht."

Mit Material der Nachrichtenagenturen

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