Kampf um Lützerath:Das Klima wird rauer

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Polizisten reißen in Lützerath Baumhäuser der Anti-Kohle-Aktivisten ab. Auch Bäume werden am Donnerstag bereits gefällt. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Nach ersten, schnellen Erfolgen trifft die Polizei in Lützerath auf den harten Kern der Demonstranten. Einige von ihnen haben sich in einem Tunnelsystem unter dem Ort verschanzt.

Von Jana Stegemann und Christian Wernicke, Lützerath

Es ist sechs Minuten nach zwölf, als der Polizist das erste Mal ans Fenster klopft. Der Beamte ist ein "Höhenretter", also Spezialist für Einsätze wie diesen: eine unbekannte Zahl von Baumhausbewohnern, die zehn Meter über dem Boden in einer Bretterhütte wohnen, gegen ihren Willen und unversehrt auf den Boden der Realität zu holen. Und damit etwas voranzutreiben, wogegen die Klimakämpfer da ihr Leben einsetzen - die Zerstörung von "Lützi", den Vormarsch der Braunkohle-Bagger.

Seit mehr als zwei Stunden läuft dieser Einsatz am Ostrand des Weilers. Hier stehen hohe Buchen - und im Geäst haben die Aktivisten seit Sommer 2020 mehr als ein Dutzend Baumhäuser gepflanzt. Die "Reihenhaus-Siedlung" haben die Besetzer diesen Teil des Protestdorfes getauft, und zu einem der besseren Objekte wollen die Polizisten nun mithilfe von zwei Hebebühnen vordringen: "Haus Größenwahn" heiße der Verschlag mit Ofen und Glasfenster, erzählt eine Camp-Bewohnerin - wegen des großen Transparents an der Seite, das signalisiere, was die Regierung riskiere mit der Kohle: "Dies ist keine Waldrodung", steht da, "dies ist 'ne Weltrodung."

Luisa Neubauer und ein Greenpeace-Vorstand werden von Polizisten umstellt

Es ist Tag zwei der Räumung, es beginnt ihr härterer Teil. Nicht nur wegen des Dauerregens und des Windes, der am Donnerstag übers flache Land fegt. Das Klima wird rauer: Am Rande einer Demonstration mehrerer Hundert Teilnehmer kommt es gegen Mittag zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei. Mindestens ein Polizist soll Pfefferspray eingesetzt haben. Auf einem Foto, das auf Twitter veröffentlicht wird, ist der Moment zu sehen. Der Protestzug ist am Morgen im benachbarten Keyenberg losgezogen; das ist etwa 3,5 Kilometer von Lützerath entfernt. Auch die "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser werden von Polizisten umstellt. Neubauer wird später weggetragen. Ein Sprecher der Polizei Aachen sagt, plötzlich hätten mehr als 200 Menschen Richtung Tagebauabbruchkante in Lützerath gedrängt; dort geht es 30 Meter in die Tiefe. Man habe reagieren müssen, um die Demonstranten nicht zu gefährden.

Zudem geben die Besetzer und Besetzerinnen aus dem Protestcamp am Nachmittag bekannt, dass sich ein Tunnelsystem unter Lützerath befinden würde, in dem Menschen ausharrten. Davon posten sie ein Video. Von "unterirdischen Bodenstrukturen" spricht am Abend Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach im Sender WDR. In mindestens einer davon seien "Menschen drin, die müssen geborgen werden." Die Situation für die Aktivisten unter der Erde sei nicht ungefährlich, man wisse nicht, wie stabil diese Gänge seien und wie es um die Luftzufuhr bestellt sei. Im Moment komme die Polizei nicht an die Aktivisten heran. Spezialkräfte des Tagebau-Betreibers RWE und des Technischem Hilfswerk kümmerten sich nun darum, "wie die Rettung in geeigneter Weise vorgenommen werden kann", sagt Weinspach.

Auch wird bekannt, dass Aktivistinnen und Aktivisten die Parteizentrale der Grünen in Düsseldorf besetzen. Sie fordern von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) ein Moratorium für die Räumung. In Flensburg wird das Regionalbüro von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) besetzt.

In Lützerath werfen vermummte Aktivisten am Morgen Flaschen und Bengalos, Äpfel und Orangen auf die Polzisten. Die Beamten ziehen sich zurück, erst am Nachmittag werden sie wiederkommen. Nach Sonnenaufgang haben sie schon den früheren Hof von Eckardt Heukamp geräumt, die Heimat des letzten Bauern im Dorf. Knapp fünfzig Menschen hatten sich dort seit Dienstagnacht verbarrikadiert. Donnerstag gegen zehn Uhr ziehen alle Besetzer friedlich ab.

So weit sind die Bewohner von "Haus Größenwahn" noch lang nicht. Seit zehn Uhr mühen sich die Höhenretter, näher ranzukommen. Vor dem Baumhaus hängen blaue Netze, und in denen turnen zwei Kletterer in weißen Maleranzügen. Die Aktivisten sind achtsam, sichern sich mit Karabinern. Aber wenn die "Höhenretter" eines der Netze oder das Seil hinüber zum nächsten Baumhaus kappen würden, könnte einer der jungen Männer abstürzen.

Die Höhenretter holen sechs Besetzer aus dem "Haus Größenwahn"

Also Vorsicht. Die Beamten auf den Hebebühnen schneiden Äste ab, tasten sich langsam vor. Die Aktivisten müssen immer höher klettern, schließlich stehen sie auf der schmalen Veranda des Baumhauses - und seilen sich ab hinüber ins Protestdorf. Es ist weniger eine Flucht als ein Stellungswechsel: Das sechs Meter hohe Holzgestell, auf dem die zwei Männer sich nun einnisten, werden die Polizisten dann drei Stunden später räumen.

Vor "Haus Größenwahn" räumt ein Bagger im Auftrag von RWE, dem Energiekonzern, die Straße frei: Schwere Stahlbarrikaden, die Holzbeine umgestürzter Tripods, Gestrüpp, die Netze - alles wird von einem Trecker mit Anhänger weggeschleppt. Ein Polizist erzählt, dass die Aktivisten zwar vorsichtig seien - aber manche Klimakämpfer seien miserabel ausgerüstet, und mehrere junge Menschen habe man "im Stadium gefährlicher Erschöpfung" runterholen müssen.

Inzwischen steht der erste Höhenretter auf einem Balken des Baumhauses. Die Tür ist verrammelt, aber nach zehn Minuten mit Hammer und Stemmeisen fallen Holz- und Schaumstoffplatten vom Baum. Die sechs Besetzer leisten keinerlei Widerstand. Einzeln werden sie samt Schlafsack und Reisekoffer nach unten gebracht. Eine Frau ist am Fuß verletzt, sie wird weggetragen. Es dämmert. Am Freitag folgt Tag drei der Räumung.

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