Lübcke-Prozess:Rechtsanwalt schwer belastet

Lesezeit: 3 min

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst im Oberlandesgericht Frankfurt. (Foto: picture alliance/dpa)

Der Ex-Verteidiger des Hauptangeklagten soll Stephan Ernst zur Falschaussage bewogen haben.

Von Anika Blatz, Frankfurt

Dieser 16. Verhandlungstag im Prozess um den Mord an Walter Lübcke beginnt ungewöhnlich: Ein Rechtsanwalt tritt in den Zeugenstand. Dass ein Mandant seinen eigenen Rechtsbeistand von der Schweigepflicht entbindet, um in einem Prozess auszusagen, kommt höchst selten vor. Vernommen wird Mustafa Kaplan, neben Jörg Hardies einer der beiden derzeitigen Anwälte des wegen Mordes angeklagten Stephan Ernst. In begrenztem Umfang hatte Ernst seinen Anwalt von dessen Schweigepflicht entbunden, damit dieser über ein Gespräch mit Frank Hannig aussagen kann. Hannig war bis Ende Juli noch Pflichtverteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst. Was der Anwalt aussagt, offenbart Ungeheuerliches: Hannig soll dem Gericht bewusst einen unwahren Tathergang aufgetischt haben, indem er seinen Mandanten zu einer Falschaussage bewogen habe.

Kaplan berichtet in seiner Aussage von einem Gespräch am Morgen des 3. Juli. In diesem Gespräch habe Hannig zu ihm gesagt, "dass die Version vom Januar/Februar 2020 seine Erfindung gewesen ist". Er meint damit die zweite von insgesamt drei Versionen zum Tathergang, die Ernst seit seiner Verhaftung im Juni 2019 schilderte. Zuerst hatte der mutmaßliche Schütze Stephan Ernst gesagt, er habe die Tat alleine begangen. Diese Aussage widerrief er kurze Zeit später und gab an, sein Freund Markus H. sei der Schütze gewesen, jedoch habe sich der Schuss versehentlich gelöst. Diese zweite Version änderte er in der dritten und bislang letzten Variante dahingehend ab, dass er und H. die Tat gemeinsam geplant und durchgeführt hätten.

Hannig habe gesagt: In einem Strafverfahren darf man lügen

Im Laufe des Verfahrens hatte der Angeklagte Stephan Ernst bereits erklärt, dass Hannig ihn dazu überredet habe, H. die Verantwortung für den Schuss zuzuschieben, um eine Aussage von H. zu erzwingen, der bis dahin keine Angaben gemacht hatte. Sein Anwalt Kaplan bestätigt das nun. Ob Hannig gesagt habe, welche Elemente der Aussage er erfunden habe, will der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel wissen. Dass H. geschossen habe und sich der Schuss versehentlich gelöst haben soll, sei der erfundene Teil, dass H. am Tatort war, hingegen nicht, entgegnet Kaplan. "Natürlich", antwortet Kaplan auf die Frage Sagebiels, ob er Hannig nach seinen Gründen gefragt habe. "In einem Strafverfahren darf gelogen werden", habe Hannig ihm geantwortet. Tatsächlich ist es so, dass der Angeklagte das darf, die Verteidigung allerdings nicht. Hannig war auf Antrag Kaplans abberufen worden, nachdem er mehrere Beweisanträge ohne Rücksprache mit seinem Mandanten und Co-Verteidiger gestellt hatte - darunter auch einen, der "krumme Geschäfte" Lübckes mit der Photovoltaik-Firma seiner Söhne andeutete.

Und noch ein weiterer Anwalt kommt zu Wort: Der in der rechtsextremen Szene bekannte Dirk Waldschmidt, Ernsts ehemaliger Verteidiger, wird angehört. Der Grund: Ernst hatte vor Gericht ausgesagt, auch sein erstes Geständnis, wonach er alleine am Tatort gewesen sei, sei vorgegeben gewesen. Waldschmidt habe ihm und seiner Familie finanzielle Unterstützung versprochen, wenn er im Gegenzug Markus H. nicht mit der Sache in Verbindung bringe.

Ein Vorwurf, den auch Ernsts Ehefrau vorbrachte. Waldschmidt habe sie angerufen und gesagt, sie solle sich keine Sorgen um finanzielle Fragen machen, die "Kameraden" würden sich darum kümmern, sagte sie vor Gericht. Waldschmidt hingegen behauptet, Ernst habe ihm bei seinem ersten Besuch in der Untersuchungshaft im Juni 2019 gesagt, er habe mit der Sache nichts zu tun, sei komplett unschuldig. Von Ernsts Geständnis, von dem er aus dem Radio erfahren haben will, sei er komplett überrascht gewesen: "Das hat mich aus allen Wolken geholt."

Doch die entscheidenden Antworten bleibt Waldschmidt dem Gericht schuldig - vorerst. Als Richter Sagebiel wissen will, ob er mit Herrn oder Frau Ernst über finanzielle Sorgen gesprochen habe, geben er und sein Beistand an, die Antworten seien nicht von der Schweigepflichtentbindung gedeckt, da auch mit Frau Ernst ein Mandatsverhältnis bestanden habe. Eine neue Information für das Gericht. Sagebiel unterbricht die Vernehmung und lädt Waldschmidt für den 3. November erneut. Bis dahin will man die Schweigepflichtentbindung besorgen: "Wir haben dazu noch einige Fragen, die wir klären müssen," sagt er.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: