Süddeutsche Zeitung

Bundespräsident zu Fall Lübcke:Steinmeier: "Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit"

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Von Nico Fried, Susanne Höll und Ronen Steinke

Es ist vorerst nur ein Verdacht, aber er erschreckt die Republik: Der Mord am nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat möglicherweise einen rechtsextremistischen Hintergrund. Nachdem der Generalbundesanwalt am Montag die Ermittlungen an sich gezogen hatte, meldete sich sogar der Bundespräsident zu Wort. Frank-Walter Steinmeier sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die vollständige Aufklärung des Todes des Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, hat jetzt oberste Priorität. Beispiele aus der jüngeren deutschen Geschichte zeigen, wie wichtig es ist, jede einzelne Tat zeitnah und vor allem umfassend aufzuklären." Letzteres war unverkennbar eine Anspielung auf die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), die erst nach Jahren fehlgeleiteter Ermittlungen aufgeklärt worden war.

Steinmeier hatte sich schon wenige Tage nach dem Mord an Lübcke zu den Reaktionen im Netz geäußert und sie als "zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig" bezeichnet. Gegenüber der SZ stellte das Staatsoberhaupt nun einen Zusammenhang zwischen Hass und Hetze im Internet und tödlichen Verbrechen her: "Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit", sagte der Bundespräsident. "Die Verächtlichmachung eines Menschen, der einer Gewalttat zum Opfer gefallen ist, darf uns nicht nur empören. Sondern sie fordert uns heraus, alle Mittel des Rechtsstaats zu nutzen, um Herabwürdigung und Gewalt auch in den Sozialen Medien zu ahnden." Polizei und Staatsanwaltschaften müssten so ausgestattet werden, "dass sie Hass und Hetze im Netz der Anonymität entreißen und konsequent verfolgen können".

Steinmeier bekräftigte frühere Aussagen, dass auch die Plattformbetreiber Verantwortung für strafbares Verhalten in ihren Medien trügen. Er würdigte ausdrücklich den vierten bundesweiten Aktionstag gegen strafbare Hasspostings, den am 6. Juni Polizistinnen und Polizisten in 13 Bundesländern veranstaltet hatten. Dieser sei "ein wichtiges Zeichen des wehrhaften Rechtsstaates und ein klares Signal, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist" gewesen, so der Bundespräsident.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat von "bedrückenden Nachrichten" gesprochen. Nach Gesprächen mit Arbeitnehmervertretern auf Schloss Meseberg in Brandenburg sagte Merkel, allen Verdachtsmomenten müsse jetzt intensiv nachgegangen werden. "Deshalb ist es sehr richtig und wichtig, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hat, dass alle Hintergründe aufgeklärt werden und zwar schnellstmöglich." Sie hoffe, dass man bald umfassende Klarheit habe und dann die abschließenden Bewertungen vornehmen könne. "Heute ist ein Tag, an dem wir alle in Gedanken bei der Familie und den Freunden von Walter Lübcke sind", sagte Merkel.

An den NSU fühlt sich nach dem Mord an Lübcke und angesichts des Verdachts der Ermittler über die Hintergründe auch Justizministerin Katarina Barley erinnert. Sie sagte der SZ: "2011 endeten die Morde des NSU. Wenn wir jetzt nach Kassel schauen, erinnern wir uns natürlich an Halit Yozgat, das neunte Todesopfer des NSU." Es sei eine Lehre aus der Mordserie des NSU gewesen, "dass rechtsextremistische Motive sehr viel früher und intensiver geprüft werden und die Bundesanwaltschaft Ermittlungen auch bei Einzeltaten frühzeitig an sich ziehen kann", so Barley. Innenminister Horst Seehofer sprach von einem "Alarmzeichen". Mit politischen Bewertungen wollte er sich gegenüber der SZ vorläufig zurückhalten. Es sei jetzt zunächst "die Stunde der Ermittler: zügig und richtig".

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