Loveparade-Verfahren:Ende im Nichts

Bitter für die Hinterbliebenen: Der Strafprozess ist oft ein untaugliches Mittel, um Katastrophen aufzuarbeiten.

Von WOLFGANG JANISCH

Zum Schluss war es das Virus, das dem Love-Parade-Prozess ein Ende gesetzt hat. Es ist ein frustrierendes Ende, für die Opfer und Angehörigen muss es so aussehen, als sei zur Duisburger Katastrophe von 2010 noch das Unglück der Pandemie von 2020 gekommen und habe die Aufarbeitung scheitern lassen. Die Antwort auf ihr großes Leid lautet jetzt: Das Verfahren wird wegen "geringer Schuld" eingestellt.

Aber wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Der Prozess ist nicht an Corona gescheitert. Gewiss wäre es denkbar gewesen, gegen die drei verbleibenden Angeklagten noch zu einem Urteil wegen fahrlässiger Tötung zu kommen. Vielleicht hätte man in einer früheren Phase auch andere Beteiligte vor Gericht bringen können, etwa die Polizisten, die mit einer Sperre an der falschen Stelle die Sache noch schlimmer machten. Aber die Aussage der Richter wäre dieselbe gewesen: Die Angeklagten waren kleine Rädchen im großen Räderwerk aus Fehlern und Versäumnissen. Die geringe Schuld vieler Beteiligter summierte sich zu einem fatalen Ergebnis. Es brachte 21 Menschen den Tod, die an einem unbeschwerten Tag das Leben feiern wollten.

Nein, gescheitert ist der Prozess daran, dass es schlicht keinen Paragrafen für kollektives Versagen gibt - und auch nicht geben kann. Bestraft werden Angeklagte wegen ihrer individuellen Schuld, nicht wegen der brutalen Folgen, die selbst ein kleiner Fehler nach sich ziehen kann. So ist unser Strafrecht konstruiert. Das Landgericht Duisburg hat eine beispiellose Anstrengung unternommen, um den Erwartungen der Opfer und der Angehörigen gerecht zu werden. Aber am Ende konnten die Richter das Versagen nur noch in einer Reihe von Spiegelstrichen zusammenfassen: ungeeigneter Veranstaltungsort, unkoordinierte Steuerung, gestörte Kommunikation. An einem Ort hätte man nicht öffnen, am anderen nicht schließen dürfen. An vielen Stellen haben viele Menschen etwas falsch gemacht. Daraus wurde ein großes Unglück, aber kein großes Verbrechen.

So zeigt das Love-Parade-Verfahren, was man bereits in anderen Fällen erleben musste. Der Strafprozess ist ein schwieriges und oft untaugliches Instrument, um Katastrophen aufzuarbeiten. Das Zugunglück von Eschede 1998: Zu beklagen waren 101 Tote wegen eines fehlerhaften Radreifens, der Prozess wurde eingestellt. Die abgestürzte Schwebebahn in Wuppertal 2003: fünf Tote, eine Bewährungsstrafe, die übrigen Verfahren eingestellt. Der Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall 2006 mit 15 Todesopfern: Ein Statiker bekam Bewährung, aber die Ursache waren Ignoranz und Schlamperei - Fehler reihte sich an Fehler. Das Versagen von Organisationen, die das moderne Leben prägen, ist mit den Mitteln des Strafrechts schwer zu greifen.

Man sollte deshalb die Hoffnungen in solche Prozesse dämpfen, die im Zeichen des Opferschutzes inzwischen ins Unermessliche gewachsen sind. Man darf niemanden mit seinem Leid alleinlassen. Aber es gilt, andere Formen der Aufarbeitung zu finden. Opferentschädigung und Schmerzensgeld sind hier wichtig und durchaus noch ausbaufähig. Oder man richtet eine Untersuchungskommission ein, wie es einer der Opferanwälte vorgeschlagen hat - eine Instanz, die verbindlich die Wahrheit festhält. Das könnte für die Betroffenen wichtiger sein als ein Strafprozess, der im Nichts endet.

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