Mögliche Einstellung des Loveparade-Prozesses:Katastrophe nach der Katastrophe

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Die Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade-Katastrophe in Duisburg (Foto: dpa)

Die Justiz will das Loveparade-Strafverfahren einstellen. Zu behaupten, dass kein öffentliches Interesse mehr besteht, wäre eine Lüge. Das wurde schon einmal behauptet - damals ging es um Contergan.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Justiz resigniert, sie will das Strafverfahren in Sachen Loveparade einstellen. Darf sie einfach so aufhören, mitten in der Verhandlung? Aufhören ohne ein Ende der Beweisaufnahme, ohne Urteil, ohne Feststellung von Schuld oder Unschuld? Darf das Gericht die Aufklärung einfach abbrechen - weil die Sache nun schon so lang, 13 Monate nämlich, dauert? Darf man das den Hinterbliebenen der 21 Menschen zumuten, die bei der Loveparade 2010 in Duisburg zu Tode gekommen sind? Darf man das den 650 Menschen zumuten, die dort verletzt worden sind? Darf die Justiz vor dem Urteil davonlaufen? Darf sie sich einfach trollen und sagen, sie habe sich da bereits zu viel zugemutet? Es wäre dies eine neue Katastrophe; eine Katastrophe nach der Katastrophe.

Das Gesetz gibt die Möglichkeit zur Einstellung eines Verfahrens, "wenn kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht" oder wenn eine Geldauflage geeignet ist, "das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen". Aber: Es wäre eine Lüge, hier so etwas zu behaupten. Das Loveparade-Unglück hat die Menschen erschüttert, es bewegt sie immer noch. Weltweit wurde darüber berichtet, es wurden Gesetze und Verwaltungsvorschriften geändert, es wurden Politiker abgewählt, es wurden Stiftungen für die Opfer gegründet. Es wurde Aufklärung versprochen, beteuert und beschworen. Gilt das nicht mehr? Kein öffentliches Interesse? Das wäre die Vergewaltigung des Gesetzeswortlauts. Das wäre eine Lüge.

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13 Monate läuft das Verfahren und es hat sich gezeigt, dass Pannen und Planungsfehler zu der Massenpanik beigetragen haben. Dass die Verhandlung nun ohne Urteil zu Ende gehen könnte, können die Familien der Toten nicht verstehen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Es wäre nicht die erste; diese Lüge hat gerade Jubiläum. Der Contergan-Strafprozess, der vor 50 Jahren eröffnet wurde, kam genau auf diese Weise zu Ende: kein öffentliches Interesse mehr an der Verfolgung - angeblich; also Einstellung. Contergan, das Beruhigungsmittel für Schwangere, hatte furchtbare Nebenwirkungen gehabt: Es kam zu Missbildungen bei Neugeborenen. Der Prozess wurde wegen angeblich fehlenden öffentlichen Interesses und wegen "Geringfügigkeit" eingestellt; an dieser Geringfügigkeit leiden noch heute Tausende Menschen. Der Fall war und ist exemplarisch. Die Justiz ist weder sensibel noch akribisch bei der strafrechtlichen Bewältigung solcher Katastrophen.

Die Opfer haben - wenn Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht sich einig sind - keine Möglichkeit, eine Einstellung mangels öffentlichen Interesses zu verhindern. Auch nach dem Brand des Düsseldorfer Flughafens 1996 wurden die Strafakten mit dieser Begründung und ohne Urteil geschlossen. Nach der Zugkatastrophe von Eschede im Jahr 1998 war das genauso. Es ist, als würde die Justiz nach einiger Zeit überdrüssig, in der Komplexität der Katastrophe nach Fahrlässigkeiten zu suchen. Überdruss ist aber kein Einstellungsgrund.

Es geht um Aufklärung, so gut es nur geht, nicht um Aufklärung, wenn und solange man mag. Es geht darum, mit Sorgfalt den strafrechtlichen Kern einer Katastrophe herauszuschälen. Wenn dieser Kern sich dann im Lauf des Prozesses wirklich als klein herausstellt, wenn die strafrechtliche Schuld sich wirklich in komplexen Abläufen zerkrümelt - dann müsste das Gericht die Angeklagten freisprechen. Das müsste es dann sorgfältig begründen. Wie auch immer: Es gibt den Anspruch auf ein Urteil, sei es Schuldspruch oder Freispruch. Die Justiz hat kein Recht, sich davor zu drücken.

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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