Loveparade in Duisburg:Schicksal? Schuld!

Das Sterben in Duisburg war nicht unausweichlich. Die Katastrophe setzt sich zusammen aus Untätigkeiten und Fahrlässigkeiten und hat deshalb eine kriminelle Dimension. Die Justiz ist in der Pflicht, die Schuldfrage zu klären - auch wenn sie kompliziert ist.

Heribert Prantl

In vielen Klagen über das furchtbare Unglück in Duisburg kommt das Wort "tragisch" vor. Es ist das falsche Wort. Ein tragisches Ereignis ist ein schicksalhaftes und unausweichliches Ereignis. Das Sterben in Duisburg war aber nicht unausweichlich. Dort sind junge Menschen nicht zwangsläufig einem tödlichen Schicksal verfallen, das von nichts und niemandem aufgehalten werden konnte. Die Katastrophe war nicht Ergebnis höherer Gewalt; sie war vermeidbar. Sie ist das Produkt einer Summe von Fehlentscheidungen, deren erste es war, diese Veranstaltung an einem objektiv ungeeigneten Ort zu planen und zu genehmigen. Es gibt eine ganze Kette von Entscheidungen, Nichtentscheidungen, Ungereimheiten und Vorwürfen.

At Least 20 Die After Stampede At Love Parade

Der Tunnel, in dem es zur Katastrophe kam: Das Sterben in Duisburg war nicht unausweichlich.

(Foto: getty)

In dieser Kette zeigt jeder auf den anderen: Die Politiker zeigen auf die Veranstalter, die Veranstalter auf die Polizei, die Polizei zeigt zurück auf die Veranstalter. Und der angebliche Sachverständige spricht von angeblichen Zwangsläufigkeiten. Das ist nicht tragisch, sondern widerlich.

Der Katastrophe von Duisburg folgt also eine Art Entschuldungs- und Abwiegelei-Katastrophe der daran Beteiligten. Nun muss man nicht unbedingt erwarten, dass diese sich öffentlich an die Brust klopfen und ihre Schuld bekennen. Aber sie könnten wenigstens den Mund halten und die Prüfung der Schuldfrage der dafür berufenen Institution überlassen - der Justiz.

Die Katastrophe von Duisburg setzt sich zusammen aus Untätigkeiten und Fahrlässigkeiten, sie hat deshalb eine kriminelle Dimension. Diese gilt es auszuloten und am Paragraphen 222 des Strafgesetzbuches zu messen. Es geht um fahrlässige Tötung: "Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Sie haben "es" nicht gewollt, sie können aber etwas dafür

Natürlich beteuert jeder fahrlässige Straftäter entsetzt, dass er das Furchtbare "nicht gewollt" habe; das ist auch wirklich so. Und darin besteht ja das Wesen des Fahrlässigkeitsdelikts: Dem Täter, der einen zurechenbaren Fehler gemacht hat, werden die tödlichen Folgen dieses Fehlers zugerechnet: dem Arzt, der übermüdet operiert hat, genauso wie dem Politiker, der aus falscher Liebe zur Heimat rechtliche Bedenken gegen eine Großveranstaltung unterdrückte. Sie haben "es" nicht gewollt, sie können aber etwas dafür.

Schuld sei "die falsche Kategorie" - so hat vor einiger Zeit der damalige thüringische Ministerpräsident Althaus gesagt, als ihm die fahrlässige Tötung einer Skifahrerin angelastet wurde. Schuld war und ist die richtige Kategorie, weil sein "Fall" genauso wenig Zufall war wie die Katastrophe von Duisburg.

Der Tod wurde durch Sorglosigkeit, Leichtsinn und Pflichtwidrigkeit heraufbeschworen - und genau darin besteht die Fahrlässigkeitsschuld; diese Schuld lädt auf sich, wer die mögliche und gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Diese Schuld ergibt sich aus einer schlichten Abwägung: Was wäre geschehen, wenn sich der Beschuldigte richtig verhalten hätte?

Das klingt nach einer eher leichten juristischen Aufgabe. Sie ist aber nicht leicht, zumal dann nicht, wenn sich das Fehlverhalten zahlreicher Beteiligter addiert und potenziert. Das Strafrecht kann hier keine Sammelschuld bilden und diese dann jedem irgendwie am Unglück Beteiligten zurechnen; es muss den individuellen Schuldanteil feststellen. Nur bei bestimmten vorsätzlichen Kapitaldelikten, bei den Mordtaten von RAF-Terroristen, ist die Rechtsprechung davon abgewichen: Sie hat die Tatbeiträge einzelner Angeklagter gar nicht lang geprüft, sondern schlicht festgestellt, dass sie alle den mörderischen Erfolg gewollt hätten. Bei Fahrlässigkeitsdelikten geht das so nicht.

Irgendjemand muss doch schuld sein!

Bislang ist die Justiz an der strafrechtlichen Bewältigung von Katastrophen gescheitert: Sowohl nach dem Brand des Flughafens in Düsseldorf im Jahr 1996 als auch nach der Zugkatastrophe von Eschede im Jahr 1998 schlossen die Strafgerichte die Akten ohne Urteil - ohne Freispruch, ohne Verurteilung. In beiden Fällen wurden die Strafverfahren nach langer Verhandlung gegen Zahlung von Geldbußen eingestellt. Und in beiden Fällen hatte die Justiz ohnehin nur die eher unteren Chargen ins Visier genommen. Zurück blieben die Hinterbliebenen; sie haben lebenslang.

Die Hinterbliebenen des Unglücks von Duisburg fragen: Irgendjemand muss doch schuld sein! Die Justiz kann diese Frage nicht einfach als "naiv" und mit dem Hinweis auf die "Komplexität des Geschehens" abtun. Die Justiz ist dafür da, ein komplexes Geschehen zu entwirren, es klar zu bewerten und auch, so gut es geht, für Genugtuung zu sorgen. Es geht nicht, dass sie sich regelmäßig vor diesen Aufgaben drückt, indem sie die Verfahren gegen Geldbuße einstellt. Mit dem Anspruch auf Rechtsgewährung ist das nicht in Einklang zu bringen. Die Justiz hat also die strafrechtliche Verantwortung zu klären.

Die politische Verantwortung besteht unabhängig davon: Sie ist eine Haftung für fremdes Tun, für Fehler, die andere gemacht haben; sie mündet in den Rücktritt des Politikers. Auch die Übernahme von solcher politischer Verantwortung kann für Genugtuung sorgen. Diese Genugtuung ist ein Oberbürgermeister den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig.

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