Süddeutsche Zeitung

Ausschreitungen in der dritten Nacht:Chaos und Randale auf Londons Straßen

Lesezeit: 3 min

Ein brennendes Möbelhaus in Croydon, Flammen und Gewalt in Hackney, Ausschreitungen in Lewisham, Peckham und anderen Londoner Stadtteilen. Auch am dritten Tag nach Beginn der Krawalle liefern sich Randalierer Straßenschlachten mit der Polizei. Die scheint hilflos angesichts des Ausmaßes der Gewalt. Mittlerweile gibt es auch in anderen englischen Städten Unruhen. Premierminister Cameron bricht seinen Urlaub ab.

Gewalt und Vandalismus in London drohen außer Kontrolle zu geraten. Den dritten Tag in Folge zogen am Montag brandschatzende Banden durch die Stadt und verwandelten ganze Straßenzüge in ein flammendes Inferno. Immer mehr Stadtteile sind betroffen: Von Hackney im Osten, über Clapham, Croydon, Peckham und Lewisham im Süden, Camden im Norden bis nach Ealing im Westen der britischen Hauptstadt.

In Croydon brennen mehrere Häuser, darunter ein großes Möbellager. Die Flammen schlagen meterhoch, Polizei und Feuerwehr scheinen trotz eines Großeinsatzes mit der Situation völlig überfordert. Die Jugendlichen sprechen sich per Mobiltelefon und über den Internet-Dienst Twitter ab. Zudem wurde offenbar ein kostenloser Textdienst auf Blackberry-Handys des Herstellers RIM genutzt.

Im Stadtteil Hackney nordöstlich der Innenstadt lieferte sich die randalierende Menge heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Vermummte warfen Feuerwerkskörper auf die Sicherheitskräfte und attackierten sie mit Mülltonnen sowie Einkaufwagen. Dicker schwarzer Rauch stand in den Straßen, während Plünderer die Scheiben von Geschäften einschlugen und Whisky und Bier stahlen. Auf Fernsehbildern war am frühen Abend zu sehen, wie Polizisten versuchten, einen Bahnhof in Hackney abzuriegeln.

Nach einem Bericht der BBC begannen die Auseinandersetzungen an diesem Montag nach der polizeilichen Kontrolle eines Mannes. Er sei angehalten worden, allerdings hätten die Beamten nichts gefunden. Gegen 16.20 Uhr Londoner Zeit hätten mehrere Gruppen Randalierer damit begonnen, die Polizisten zu attackieren.

Ähnliche Berichte über Krawallen kommen aus dem südöstlichen Stadtbezirk Lewisham. Der Guardian berichtet, dass auf Bildern zu sehen sei, wie mehrere Feuer dort in Mülltonnen ausgebrochen seien. Die Polizei habe sich im Zentrum Lewishams in Stellung gebracht, versuche, die Randalierer zurückzudrängen, greife aber nicht aktiv ins Geschehen ein. Auch in Peckham und in Clapham im Süden Londons seien Fahrzeuge sowie ein Gebäude in Flammen aufgegangen, berichtet die BBC.

Plündernde und brandschatzende Banden, die in der Nacht zum Sonntag in Tottenham die Randale begonnen hatten, waren schon in der Nacht zum Montag in weitere Stadtteile Londons weitergezogen. Vor allem im Norden, Osten und Süden der Metropole kam es zu Ausschreitungen. Die Polizei stockte ihre Einsatzkräfte mit Kollegen aus anderen britischen Städten auf, um sich für eine dritte Nacht der Randale zu wappnen.

Inzwischen werden auch aus der zweitgrößten englischen Stadt Birmingham Ausschreitungen gemeldet. In der Nähe eines Einkaufszentrums hätten sich etwa 200 Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Fensterscheiben seien eingeworfen und Läden teilweise geplündert worden, berichtet die BBC unter Berufung auf Augenzeugen. Aus der nordostenglischen Stadt Leeds erste Unruhen gemeldet. Dort hätten sie etwa 100 zum Teil vermummte Jugendliche versammelt, meldet der Online-dienst der britischen Zeitung "The Guardian".

Premierminister bricht Urlaub ab

Premierminister David Cameron will nach Berichten der BBC seinen Urlaub vorzeitig unterbrechen und noch heute nacht nach London zurückkehren. Der Premierminister habe eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates einberufen, teilte die Downing Street mit. Auch Innenministerin Theresa May bricht aufgrund der Krawalle ihre Ferien ab. Sie will sich mit dem Leiter der Londoner Polizei (Met), Tim Godwin, und anderen hochrangigen Sicherheitskräften treffen, um deren Strategie zu besprechen. Der ebenfalls aus dem Urlaub zurückgekehrte Vizepremierminister Nick Clegg sagte in Tottenham, die Randalierer seien "opportunistische Kriminelle". Sie hätten schon jetzt "große Narben" in der Gesellschaft hinterlassen.

Auch Londons Bürgermeister Boris Johnson wird britischen Medienberichten zufolge vorzeitig aus seinem Urlaub zurückkehren. Johnson reagiert damit auf Kritik, die nach den Ausschreitungen am Wochenende laut geworden war. Der konservative Politiker hatte sich zunächst geweigert, seinen Urlaub abzubrechen.

Theresa May bezeichnete die Krawalle in Tottenham sowie in anderen Teilen der Stadt als "völlig inakzeptabel". Nach Angaben der Innenministerin sei die Zahl der Festnahmen nach den schweren Ausschreitungen auf 215 gestiegen. Bislang sei Anklage gegen 27 Personen wegen der Unruhen und Plünderungen erhoben worden, teilte sie mit. Polizeiangaben zufolge wurden seit Samstag 35 Beamte bei den Ausschreitungen verletzt.

Die Polizei zeigte sich schockiert vom Ausmaß der Gewalt vom Wochenende. Die Beamten seien entsetzt über das "empörende Maß an Gewalt", das gegen sie gerichtet gewesen sei, sagte Polizeisprecherin Christine Jones. "Das alles hat sich von einem lokalen Thema hin zur organisierten Kriminalität gewandelt", sagte der stellvertretende Polizeichef Steve Kavanagh. "Wir werden sicherstellen, dass dieses Verbrechertum nicht weitergehen kann."

Ausgangspunkt der Gewalt war am Samstagabend der Stadtteil Tottenham. Am Sonntagabend und in der Nacht zum Montag sei es auch in anderen Teilen der Stadt zu Unruhen gekommen, darunter im Haupteinkaufsviertel am Oxford Circus. Gruppen junger Leute hätten Geschäfte geplündert, Polizisten angegriffen und Fahrzeuge in Brand gesteckt, erklärte die Polizei.

Zwei Tage zuvor war dort der 29-jährige Mark Duggan von einem Polizisten erschossen worden. Unklar war, ob der farbige Familienvater, der der Banden- und Drogenszene zugerechnet wird, das Feuer eröffnet hatte. Der Mann hatte nach Darstellung der Polizei bei einer Kontrolle aus einem Taxi auf die Fahnder geschossen. Eine Kugel, die das Funkgerät eines Polizisten traf, stammte nach einer ersten Untersuchung aber offenbar aus einer Polizeiwaffe, berichteten mehrere britische Medien.

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