London:Bitte einmal das Unmögliche

Welche Vertragsänderungen Abgeordnete in Großbritannien verlangen.

Von Cathrin Kahlweit

Was Lloyd Russell-Moyle im Unterhaus tat, nachdem Theresa May die Abstimmung über den Brexitvertrag abgesagt hatte, war eine gezielte Provokation. Der Labour-Abgeordnete nahm den Streitkolben, der als Zeichen der von der Königin verliehenen Autorität im Unterhaus liegt, und trug ihn aus dem Saal. Die Abgeordneten brüllten ihm wütend hinterher, bis Parlamentsdiener den Mann aufhielten und die "Mace", wie die Briten das keulenartige Zepter nennen, zurücklegten. Russell-Moyle wurde für einen Tag suspendiert. Er habe, sagte er, dagegen protestieren wollen, dass das Parlament den Wählerwillen nicht mehr vertrete und sich von May vorführen lasse.

Tatsächlich hat May das Unterhaus überfahren, als sie die lange geplante Abstimmung über den EU-Austrittsvertrag am Montag verschieben ließ. So vermied sie eine klare Niederlage. Denn eine Mehrheit der Abgeordneten lehnt ihren Vertrag ab, darunter viele aus Mays eigener Partei, den Tories. May muss nun versuchen, möglichst viele Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen, um doch noch eine Mehrheit zu erreichen. Allerdings wäre es die Quadratur des Kreises, die May meistern müsste. Denn die Kritiker verlangen höchst unterschiedliche Korrekturen.

Ihre Kritiker in der Tory-Partei fordern das Recht auf einen einseitigen Ausstieg aus der Auffanglösung für Nordirland. Diese Backstop genannte Lösung bindet Nordirland an die EU, solange sich Brüssel und London nicht auf einen Handelsvertrag einigen. Die Brexiteers dürften sich mit einer Zusatzerklärung, in der die EU ihren guten Willen betont, nicht zufriedengeben.

Labour fordert das Gegenteil, wobei die Partei mindestens so gespalten ist wie die Tories. Die Führung der Linken will eine Zollunion, aber zusätzlich auch eine Art Binnenmarkt sowie Garantien für einen reibungslosen Handel. Labour hat dafür "sechs Tests" erstellt, die der vorliegende Vertrag nicht erfüllt. Teile von Labour fordern, anders als die Parteispitze, ein zweites Referendum, dem die Regierung endlich zustimmen solle. May hat das bislang ausgeschlossen. Eine dritte Gruppe in der Labour-Partei hat Mays Deal längst abgeschrieben und fordert von der eigenen Parteiführung, diese solle ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin initiieren. Die aber will damit noch warten, weil die Erfolgschancen ungewiss seien.

Die schottische Nationalpartei wiederum, die ebenfalls vehement gegen Mays Vertrag ist, hat kein Problem mit dem Backstop für Nordirland. Sie befürchtet vielmehr, dass Nordirland ökonomisch zum Schluss besser dastehen könnte als der Rest des Landes. Die schottische Regierungschefin hat Labour aufgefordert, in einem gemeinsamen Vorstoß Theresa May zu stürzen, um zum Schluss eine Lösung durchzusetzen, in der das Königreich im EU-Binnenmarkt bleibt. Sie könnte aber auch mit einem neuen Referendum leben.

Die nordirische DUP schließlich, die May im Unterhaus bisher eine Mehrheit verschafft hatte, ist grundsätzlich gegen den Backstop. Jede Sonderstellung Nordirlands kommt in ihren Augen einer Spaltung des Königreichs gleich. DUP-Fraktionschef Nigel Dodds sagte das am Montag so: Wenn May nicht grundlegende Änderungen am Vertrag mit nach Hause bringe und den Backstop eliminiere, dann sei der Vertrag tot.

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