Lohngerechtigkeit:Operation Lückenschluss

Die Union hat nun doch dem Wunsch der SPD zugestimmt, die großen Unterschiede bei der Bezahlung von Männern und Frauen per Gesetz verringern zu wollen.

Von Constanze von Bullion und Christoph Hickmann

Es gab Zeiten, in denen auch an Manuela Schwesig der Zweifel genagt haben dürfte, ob es überhaupt noch etwas wird mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern. Über viele Monate hat sich die SPD-Familienministerin mit den Kollegen von der Union herumgestritten, den Sommer über auch mit Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gerungen, die sie im Zorn mal als "Gewerkschaftsbonzen" beschimpft haben soll. Geht nicht, gibt's nicht - das schallte der Ministerin fast immer entgegen, wenn sie forderte, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männer per Gesetz zu verkleinern. Am Mittwoch dieser Woche steht Schwesig in einem Raum mit Garagencharme in ihrem Ministerium in Berlin. Sie sieht abgekämpft aus nach Stunden im Koalitionsausschuss, aber zufrieden, starrt schnurgerade in die Kameras. Sie ist am Ziel. "Heute ist ein guter Tag für die Frauen im Land", sagt die Ministerin. Und dann schiebt sie hinterher, ein guter Tag sei es auch für alle Männer, die sich wünschten, dass ihre Partnerinnen und ihre Töchter künftig gerechter bezahlt werden. Das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern kommt, allen Widerständen zum Trotz und obwohl es zu den Vorhaben gehörte, über die sich die Regierungsparteien so ausdauernd in den Haaren lagen wie bei kaum einem anderen Projekt. Die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern sollen per Gesetz verkleinert werden. In Deutschland liegen sie im Schnitt zwischen 21 und sieben Prozent. Deutschland gehört damit bei der Lohnungerechtigkeit zu den Spitzenreitern in Europa. SPD und Union hatten daher schon im Koalitionsvertrag vereinbart, in Unternehmen mehr Transparenz bei der Bezahlung durchzusetzen. Das Tabu, nicht über Gehälter sprechen zu dürfen, müsse gebrochen werden, forderte Schwesig, da Frauen sonst gar nicht erfahren könnten, ob sie weniger verdienten als Männer oder nicht. Ihr Gesetz soll nun die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern mit drei Werkzeugen verkleinern: mit Offenlegung von Gehaltsstrukturen, einer Berichtspflicht für Kapitalgesellschaften sowie Überprüfungen, ob gerecht bezahlt wird. Geprüft werden soll mindestens alle fünf Jahre, allerdings anders als von der SPD gewünscht nur freiwillig.

Die neue Regelung wird nicht weniger als 14 Millionen Arbeitnehmer betreffen

Für alle Betriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern soll künftig ein individueller Auskunftsanspruch gelten. Arbeitnehmer - egal ob Männer oder Frauen - können also erfahren, ob sie geschlechtergerecht bezahlt werden. Schwesigs Gesetz räumt ihnen das Recht ein, ihr Einkommen mit dem von mindestens fünf Kollegen des anderen Geschlechts zu vergleichen, die gleichwertige Arbeit leisten. Bei ihnen wird ein Durchschnittseinkommen ermittelt, ohne Nennung einzelner Gehälter. Stellt sich Benachteiligung heraus, muss der Arbeitgeber das ändern.

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(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Nach Angaben des Familienministeriums sind von der neuen Regelung mehr als 14 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, knapp die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland. Die Union, die zunächst aufs Schärfste gegen das Gesetzesvorhaben protestiert hatte, vor einer Störung des Betriebsfriedens gewarnt hatte und vor unnötigem Papierkrieg, gab ihr Vorhaben auf, das gesamte Gesetz nur auf Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern zu beschränken. Aber auch Schwesig hat Kompromisse machen müssen. Um ihr Vorhaben zu retten, stimmte sie zu, dass das Gesetz nun zwischen Betrieben mit Tarifbindung und solchen ohne unterscheidet. Schlechtere Bezahlung von Frauen komme besonders in Betrieben ohne Tarifbindung vor, hatten Gewerkschaften argumentiert. Gerade hier seien Arbeitnehmerinnen schutzlos. Das kam Arbeitgeberverbänden entgegen, die ohnehin keine Benachteiligung von Frauen erkennen mochten, schon gar nicht bei einer Eingruppierung nach Tarif. Herausgekommen ist nun eine Art Stufenplan. In Unternehmen, die nach Tarifvertrag zahlen, können die Beschäftigten ihren Auskunftsanspruch lediglich über die Betriebsräte wahrnehmen. In Betrieben ohne Betriebsrat und ohne Tarifvertrag, also dort, wo mehr Ungerechtigkeiten vermutet werden, können Arbeitnehmer sich direkt an den Arbeitgeber wenden, um Auskunft über die Gehaltsstruktur zu bekommen. Wo es keinen Betriebsrat gibt, aber einen Tarifvertrag, sollen von den regionalen Tarifparteien benannte Vertreter den Auskunftsanspruch für Beschäftigte durchsetzen - und bei Bedarf dann auch eine gerechte Bezahlung. Dass nicht jeder einen Auskunftsanspruch bekommt, wie von Schwesig geplant, suchte sie am Donnerstag zu Vorteil umzudeuten. "Die Betriebsräte werden darin gestärkt, den Auskunftsanspruch durchzusetzen", sagte sie. Auch im öffentlichen Dienst erhalten die Beschäftigten einen Auskunftsanspruch. Und in kleinen Betrieben mit weniger als 200 Mitarbeitern, für die die neue Reglung nicht gilt? Sie würden nicht vergessen, so die Ministerin, man arbeite an einer "Evaluationspflicht". Bis zuletzt umkämpft blieb die Frage, für welche Betriebe eine Berichtspflicht gilt, wer also mitteilen muss, wie Frauen und Männer bezahlt werden. Die SPD wollte diese Pflicht eigentlich für Kapital- und Personengesellschaften ab 500 Mitarbeitern einführen. Nun kommt sie, auf Druck der Union allerdings nur für Kapitalgesellschaften. Dies betreffe rund 4000 Unternehmen mit 6,6 Millionen Beschäftigten, hieß es.

Eine Prüfpflicht, wonach Unternehmen darlegen müssen, ob sie einzelne Berufsfelder im Vergleich zu anderen gerecht entlohnen, wird es dagegen nicht geben.

Abgeschafft

Es ist zumindest die Ankündigung einer Einigung: Die große Koalition will den umstrittenen sogenannten Majestätsbeleidigungs-Paragrafen abschaffen. "Spätestens im Januar", so gab SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Donnerstag nach dem Spitzentreffen von Union und SPD zu Protokoll, soll ein entsprechender Gesetzentwurf ins Kabinett. Der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs war in die Schlagzeilen geraten, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Basis dieser Gesetzesregelung ein Strafverfahren gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen "Schmähgedichts" angestrengt hatte. Die Ermittlungen waren am Dienstag allerdings eingestellt worden. Der Paragraf stellt die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten unter besondere Strafe. SZ

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