Anschlag von Lockerbie:Gaddafis Phantom ist gefasst

Anschlag von Lockerbie: Trümmer und Verwüstung im schottischen Dorf Lockerbie: 270 Menschen starben bei dem Attentat am 21. Dezember 1988.

Trümmer und Verwüstung im schottischen Dorf Lockerbie: 270 Menschen starben bei dem Attentat am 21. Dezember 1988.

(Foto: Martin Cleaver/AP)

Der Mann, der die Bombe für das Flugzeugattentat von Lockerbie gebaut haben will, steht in den USA vor Gericht. 34 Jahre dauerte die Jagd nach dem mutmaßlichen Terroristen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Rund 38 Minuten nach dem Start von Flug Pan Am 103 von London nach New York explodierte die Bombe über Lockerbie in Schottland, 270 Menschen kamen ums Leben, zwei Drittel davon Amerikaner. Es war das tödlichste Terrorattentat auf US-amerikanische Zivilisten vor 9/11, doch seine Hintermänner blieben lange im Dunkeln.

Nun, 34 Jahre nach dem Attentat von 1988, muss sich einer der Tatverdächtigen in den Vereinigten Staaten dafür verantworten, nach jahrzehntelanger Detektivarbeit. Die US-Behörden haben inzwischen bestätigt, Abu Agila Mohammad Mas'ud in Gewahrsam genommen zu haben. Wo er sich befand, teilten sie nicht mit, lediglich, dass er in die Vereinigten Staaten gebracht wurde, wo ihm nun der Prozess gemacht werde. "Dies ist ein wichtiger Schritt für unsere Mission, die Opfer zu ehren und im Namen ihrer Angehörigen Gerechtigkeit zu üben", sagte Justizminister Merrick Garland am Montag in Washington. Wie die Amerikaner Mas'ud in ihre Gewalt brachten, ist bisher nicht klar.

Ohnehin ist wenig bekannt über den Mann, der es geschafft hat, jahrzehntelang ein Phantom zu bleiben, obwohl er hinter mehreren größeren Terroranschlägen vermutet wird. 1951 in Tunesien geboren, lebte Mas'ud später in Libyen und dürfte Diktator Muammar al-Gaddafis Lieblings-Bombenbauer gewesen sein. Dieser dürfte den Terroranschlag von Lockerbie 1988 in Auftrag gegeben haben, was er zeitlebens abstritt, selbst als er 2003 mehr als zwei Milliarden Euro an die Hinterbliebenen der Opfer zahlte.

Der Diktator hielt seine schützende Hand über die Attentäter

Gaddafi hielt lange seine schützende Hand über die Attentäter. Erst 1995 erklärte er sich bereit, zwei beteiligte Geheimdienstmitarbeiter auszuliefern, Abdelbaset Ali Mohmed al-Megrahi und Lamin Khalifah Fhimah. Als Kompromiss wurde ihnen in den Niederlanden nach schottischem Recht der Prozess gemacht. Aufgeklärt wurde das Attentat dabei jedoch alles andere als vollumfänglich. Auch Mas'uds Name tauchte damals auf, die Libyer behaupteten jedoch, der Mann existiere gar nicht.

Fhimah wurde schließlich wegen Mangels an Beweisen freigesprochen, Megrahi hingegen verurteilt und in Schottland eingekerkert. 2009 wurde er wegen einer tödlichen Krebserkrankung frühzeitig entlassen und durfte nach Libyen zurückkehren. Dort wurde er feierlich als Held empfangen, seine Beteiligung an dem Anschlag stellte er wieder in Abrede. 2012 schließlich starb er - und viele Fragen blieben unbeantwortet.

Stets hatten Ermittler und engagierte Angehörige weitere Beteiligte im Verdacht, verfügten jedoch kaum über verwertbare Informationen. Akribisch folgte Journalist Ken Dornstein, der bei dem Attentat seinen Bruder verloren hatte, sämtlichen Spuren. Dabei entdeckte er auf Fotos von der Rückkehr Megrahis nach Libyen einen mysteriösen Mann an der Seite Gaddafis. Nachdem das Regime 2011 gefallen war, reiste Dornstein mitten in den Bürgerkriegswirren nach Tripolis, um Überlebende zu suchen und zu befragen.

Die meisten Beteiligten waren inzwischen ums Leben gekommen, doch stieß er auf weitere Spuren des mysteriösen Mannes, den die Libyer wegen seines Teints den "Dunklen" nannten. Plötzlich erkannte er ihn auf Fotos von Prozessen gegen die Häscher von Gaddafis Regime wieder, fand heraus, dass es sich in der Tat um Mas'ud handelte - und dass dieser in einem libyschen Gefängnis saß.

Auf Vernehmungsprotokollen aus jenem Gefängnis fanden die Amerikaner ein Geständnis Mas'uds. Der Tunesier hatte in allen Details geschildert, wie er 1988 Plastiksprengstoff und Zünder in einem Samsonite-Koffer eingebaut hatte. Die Metallteile etwa legte er an die Metallstrukturen des Koffers an, damit sie in den Gepäckscannern am Flughafen nicht auffallen würden. Mit dem präparierten Koffer flog er nach Malta, wo er den Zeitzünder stellte und die Bombe an Fhimah und Megrahi übergab.

Im libyschen Gefängnis bekannte sich Mas'ud 2012 auch zu weiteren Taten. Er habe auch jene Bombe gebaut, die 1986 im damaligen West-Berlin in der Diskothek La Belle explodierte, in der amerikanische Soldaten gerne tanzten. Zwei US-Soldaten wurden dabei getötet und mehrere Dutzend verletzt, als Reaktion ließ der damalige Präsident Ronald Reagan Gaddafis Paläste bombardieren.

Die Angaben Mas'uds aus dem Geständnis decken sich mit anderen Hinweisen: Dass Mas'ud am Tag vor dem Lockerbie-Attentat nach Malta geflogen war, belegen Daten der maltesischen Einwanderungsbehörden. Diese Erkenntnisse bereitete Dornstein 2015 in einem breit beachteten Dokumentarfilm auf. Warum es danach noch einmal sieben Jahre dauerte, bis die Amerikaner Mas'ud aufspüren und in ihre Gewalt brachten, ist bisher nicht klar. 2017 jedenfalls befragten die Amerikaner den libyschen Polizisten, der Mas'ud vernommen hatte, 2020 erhob das Justizdepartement dann formell Anklage gegen Mas'ud.

Ob die Dokumente aus dem libyschen Gefängnis brauchbar sind für einen Prozess vor einem Gericht in den Vereinigten Staaten, wird sich nun weisen. Ken Dornstein jedenfalls freute sich am Wochenende über die Festnahme Mas'uds. "Wenn eine Person noch lebt, die die Geschichte des Anschlags auf Flug 103 erzählen kann, ist es Herr Mas'ud", schrieb Dornstein. Nur Mas'ud könne all die offenen Fragen beantworten, wie und warum das Attentat begangen wurde: "Die Frage ist, ob er endlich bereit ist zu reden."

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