Lobbyismus in Deutschland:Polit-Jobs mit Geschmäckle

Wie es zu bewerten ist, wenn Mitarbeiter von Abgeordneten gleichzeitig als Lobbyisten unterwegs sind.

Thorsten Denkler, Berlin

Günter Grass hatte vor einigen Jahren gefordert, jeglichen Lobbyisten im Bundestag Hausverbot zu erteilen. Wäre das bereits Realität, hätte Leif Erichsen mit seinem Zweitjob genau dieses Hausverbot ereilt. Erichsen ist seit Anfang 2007, auf einer halben Stelle, wissenschaftlicher Mitarbeiter des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Brähmig. Die andere Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt er als "freier Journalist".

Lobbyismus in Deutschland: Lobbyarbeit im Fall Erichsen: "Es gab immer eine klare Abgrenzung", versichert er.

Lobbyarbeit im Fall Erichsen: "Es gab immer eine klare Abgrenzung", versichert er.

(Foto: Foto: iStock)

Seit Sommer vergangenen Jahres wichtigster Auftraggeber Erichsens: Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV). Für die tritt er offiziell als Pressesprecher auf mit eigener Durchwahl und Mailadresse. Das Pikante: Der Abgeordnete Brähmig ist für seine Fraktion Sprecher in Sachen Tourismuspolitik - und hat deshalb schon von Berufs wegen mit dem Flughafenverband zu tun.

Macht da einer Lobbyarbeit für seinen Verband mitten im Büro des Fachabgeordneten? Brähmig verneint gegenüber sueddeutsche.de. Die Nebentätigkeit seines Mitarbeiters sei "überhaupt nicht problematisch". Herr Erichsen betreibe keine Lobbyarbeit für den Verband.

"Zu keinem Zeitpunkt Interessenskonflikte"

Nach Aussage von Brähmig und Erichsen sei Erichsen als wissenschaftlicher Mitarbeiter ausschließlich für die Wahlkreisarbeit Brähmigs zuständig. In der Tourismuspolitik werde Brähmig fachlich allein von den zuständigen Referenten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt.

Erichsen versichert gegenüber sueddeutsche.de: "Es gab immer eine klare Abgrenzung der beiden Tätigkeiten. Es gab zu keinem Zeitpunkt Interessenkonflikte."

Heidi Klein, Vorstandsmitglied bei Lobbycontrol, will das nicht so recht glauben. "Der privilegierte Zugang ist da, selbst wenn der Abgeordnete beim Kaffee nur ein besonderes Ohr für seinen Mitarbeiter hat." Natürlich kann es sein, dass Erichsen und Brämig bei solchen Gesprächen nur über das Wetter und nicht über Flughäfen reden.

Aber so ist es nicht, gibt CDU-Parlamentarier Brähmig offen zu: "Ich habe seinen Sachverstand genutzt". Die Nebentätigkeit seines Mitarbeiters empfinde er durchaus als eine "Bereicherung" der eigenen Arbeit.

Aus Sicht des CDU-Politikers sei das auch völlig in Ordnung. Er sei grundsätzlich der "festen Überzeugung, wir reden viel zu wenig mit Vertretern der Branchen". Und weiter: "Wir müssen da einfach mehr Sachverstand in die Politik einbringen." Wie gut, wenn der Sachverstand eine Tür weiter sitzt und dank der Nebentätigkeit immer auf dem aktuellsten Stand ist.

Erichsens zweiter Chef Ralph Beisel, Geschäftsführer des Flughafen-Lobbyklubs ADV, kann ebenfalls nichts Verwerfliches erkennen: "Wie haben die Beschäftigung von Herrn Erichsen von Beginn an offen und transparent kommuniziert. Ein Geschmäckle gibt es nicht."

Erichsen sei sogar bei einer ADV-Veranstaltung, an der auch Vertreter aller Fraktionen teilnahmen, vorgestellt worden. "Kritische Rückmeldungen haben wir bis heute keine erhalten", sagt Beisel. Für die Beschäftigung Erichsens habe allein seine journalistische Qualifikation gezählt, unabhängig vom Parteibuch und Aufgabenbereiches seines Chefs im Bundestag. Zumal es auch kaum Berührungspunkte zwischen ADV und der Tourismuspolitik gebe.

Allerdings hat Verbandsmann Beisel noch am 9. April 2008 die Arbeitsgruppe Tourismus der CDU-CSU-Fraktion zum "Gedankenaustausch" geladen, wie auf der Homepage des Abgeordneten Brähmig nachzulesen ist. Der ADV sei "mit 60 Jahren der älteste Verband der zivilen Luftfahrt und setzt sich für einen wettbewerbsfähigen Luftverkehrsstandort in Deutschland ein", heißt es weiter.

Christdemokrat Brähmig ist in Sachen Luftverkehr durchaus aktiv. Mal fordert er eine fristgerechte Anbindung des neuen Großflughafens Berlin-Schönefeld; mal wettert er gegen die "Verteufelung des Flugverkehrs", die "die enormen Beschäftigungseffekte" ignoriere. Oder sieht im "bedarfsgerechten Ausbau von Flughäfen und dem Abbau unnötiger Warteschleifen" wichtige Schritte zur weiteren Reduzierung des Kerosin-Verbrauchs. Wenn es um Flughäfen geht, kämpft der Abgeordnete gerne auf Seiten der Betreiber.

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Polit-Jobs mit Geschmäckle

Deutschland zeigt sich immer wieder als Geschmäckle-Republik: Eine ehemalige Grünen-Abgeordnete, die jetzt für die Tabaklobby spricht. Mitarbeiter in Ministerien, die von Unternehmen und Verbänden entsandt und bezahlt wurden. Ehemalige Staatssekretäre und Minister, die in Konzernen eine zweite Karriere machen. Ein deutscher Europaabgeordneter, der zugleich auf der Payroll der Bertelsmann AG steht.

Selbst Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder sah sich dem Lobbyismus-Vorwurf ausgesetzt. Er hat sich nach seiner Amtszeit vom russischen Energieriesen Gazprom als Aufsichtsratschef des Gazprom-Ablegers NEGP anheuern lassen. Die NEGP soll den Bau einer Gas-Pipeline durch die Ostsee vorantreiben. Ein Projekt, das Schröder noch in seiner Amtszeit eingefädelt hatte.

Auch im Kleinen scheint die Sensibilität zu fehlen, das zeigt der Fall Erichsen.

Sein Mitarbeiter habe seine Zweittätigkeit ordnungsgemäß angezeigt, rechtfertigt der Parlamentarier Brähmig. "Wir haben das vorher diskutiert und haben gesehen, dass das kein Konflikt ist." Der Verdacht einer Interessenskollision, so Brähmig, sei "von mir nicht beabsichtigt". Und wenn er ihn nur auf einer halben Stelle beschäftigen könne, "dann kann ich ihm nicht verwehren, seine Brötchen noch woanders zu verdienen."

Graubereich bei Bundestagsabgeordneten

Arbeitsrechtlich ist diese Aussage zumindest umstritten. Die Mitarbeiter von Abgeordneten unterzeichnen meist Arbeitsverträge nach den Regeln des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst. Laut einem Mustervertrag, der sueddeutsche.de vorliegt, sind Nebentätigkeiten der Mitarbeiter nur anzeige- und nicht genehmigungspflichtig: Dem Mitarbeiter darf also nicht ohne gewichtigen Grund eine Nebentätigkeit verwehrt werden.

"Die Rechtssprechung ist auf dem Gebiet der Nebentätigkeiten sehr arbeitnehmerfreundlich", sagt die Kölner Arbeitsrechtlerin Gerlind Wisskirchen. Grundsätzlich stehe das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers über den Interessen des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nur für sich arbeiten zu lassen.

Im Wirtschaftsleben seien die Fälle schnell klar, in denen die Interessen des Arbeitgebers durch die Nebenbeschäftigung verletzt werden. Bei Bundestagsabgeordneten tue sich jedoch "ein Graubereich auf", sagt Wisskirchen.

Für oder gegen den Lobbyverband

Andere sehen die Sache eindeutiger. Michael Felser, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Brühl, sieht ein Abgeordnetenbüro klar als Tendenzbetrieb, in dem die Erhaltung der Glaubwürdigkeit des Abgeordneten ein hohes Gut sei. "Wenn er die gefährdet sieht, weil sein Mitarbeiter an entscheidender Stelle für einen Lobbyverband arbeiten will, dann wird er dem Mitarbeiter deutlich sagen können, dass er nur für einen tätig sein kann: für ihn oder für den Lobbyverband."

Wäre dem Abgeordneten Brähmig die Nähe seines Mitarbeiters zum Flughafenverband zu groß gewesen, er hätte zumindest versuchen können, ihn vor die Wahl zu stellen. Zumal als letztes probates Mittel in solchen Fällen eine ordentliche Kündigung möglich wäre. Abgeordneten-Mitarbeiter haben befristete Arbeitsverträge, die sich ohne Angabe von Gründen mit meist vierwöchiger Frist auflösen lassen.

Christian Humborg, Geschäftsführer der Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland, fände es schwierig, wenn Abgeordnete davon keinen Gebrauch machten. "Abgeordnete müssen die Möglichkeit haben, ihren Mitarbeitern die Genehmigung zu Nebentätigkeiten zu versagen. Dieses Instrument brauchen sie zu ihrem eigenen Schutz", sagt Humborg sueddeutsche.de.

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Polit-Jobs mit Geschmäckle

Dem CDU-Mann Brähmig ist das Lobby-Problem durchaus bewusst, wenn es um das große Ganze geht. Er hält auch strengere Regeln für bedenkenswert. Karenzzeiten für Spitzenpolitiker etwa, bevor sie in die freie Wirtschaft wechselten. Und wer für den Bundestag arbeite oder für Ministerien, müsse auch auf deren Kostenstelle laufen und nicht auf der von Unternehmen und Verbänden.

Nur in seinem Fall, da hat der Abgeordnete Brähmig bisher keinen Handlungsbedarf gesehen.

"Nicht unproblematisch"

Rechtlich ist er damit auf der sicheren Seite. Volker Beck, einst rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und heute ihr parlamentarischer Geschäftsführer, sagt, das sei zulässig und "nicht zu beanstanden". Gleichwohl finde er das Verhalten seines CDU-Kollegen "nicht unproblematisch".

Beck hätte sich vor allem mehr Transparenz gewünscht. Daneben gehe es aber auch um die "Informationshoheit" des Abgeordneten. Mit anderen Worten: Der Mitarbeiter weiß viele Dinge aus dem Fachbereich eines Abgeordneten, von denen der Fachverband vielleicht nicht unbedingt erfahren muss. Ist der Mitarbeiter aber auch noch Sprecher des Verbands, lässt sich ein ungewollter Informationsfluss nicht mehr ausschließen. Beck: "Ich würde so einen Mitarbeiter in meinem Büro nicht unbedingt haben wollen. Selbst wenn er bei einer Organisation beschäftigt wäre, die uns wohlgesonnen ist."

Gesetzlich regeln lasse sich das nur schwer, sagt Beck. "Zunächst muss das der Sensibilität des einzelnen Abgeordneten überlassen werden." Um Transparenz sicher herzustellen, sollte man aber auch "darüber nachdenken, ob in die Arbeitsverträge für Mitarbeiter nicht künftig eine Veröffentlichungsklausel für derartige Nebentätigkeiten eingefügt werden kann."

Gute Kontakte aus dem Bundestag

Experte Humborg von Transparency International sieht das ähnlich: "Sofern es einen inhaltlichen Zusammenhang beider Tätigkeiten gibt, sollte die Bezeichnung der Nebentätigkeit von Abgeordnetenmitarbeitern auf der Website des Abgeordneten offengelegt werden." Und Heidi Klein von Lobbycontrol erklärt: "Wenn es kein Problem gibt, dann kann man es ja hinschreiben."

Michael Hartmann, Lobbyexperte der SPD-Bundestagsfraktion, geht eine Pflicht zur Veröffentlichung zu weit. Das greife zu sehr in die Rechte eines Mitarbeiters ein, der ansonsten ja nicht im Rampenlicht stehe. Dennoch sei es angebracht, in Zweifelsfällen solche Verbindungen publik zu machen. "Der Wähler sollte nachprüfen können, ob sein Abgeordneter glaubwürdig ist." Gegen einen Nebenjob sei an sich nichts einzuwenden. Er müsse nur inhaltlich so weit weg wie möglich vom Fachgebiet des Abgeordneten sein, um einen Verdacht gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Klaus Brähmig immerhin will diesen Fall nach eigener Aussage zum Anlass nehmen, neue Mitarbeiter genauer auf mögliche Zielkonflikte hin zu prüfen. Er will auch darüber nachdenken, im Fall seines Mitarbeiters Erichsen "für die letzten Wochen seiner Tätigkeit für mich auf der Homepage noch den Hinweis auf den zweiten Arbeitgeber aufzunehmen".

Ende September wird Erichsen das Büro ohnehin verlassen. Er wechselt dann komplett zum ADV - und bringt dann auf jeden Fall gute Kontakte in den Bundestag mit.

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