Lobbyismus-Debatte:Wes Brot ich ess, des Lied ich sing

Wer sich wie der CDU-Abgeordnete Reinhard Göhner als Geschäftsführer eines Lobbyverbandes verdingt und dafür bezahlen lässt, dass er sich weisungsgebunden für Lobby-Interessen einsetzt, der ist kein freier Abgeordneter - sondern ein befangener.

Heribert Prantl

Der Dauerstreitereien über Diäten und Nebeneinkünfte überdrüssig, könnte man versucht sein, es mit Bismarck zu halten. Der hat es einst durchgesetzt, dass Abgeordnete gar kein Geld kriegen: "Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen." So stand es in Artikel 32 der Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches von 1871.

Wer die Klagen von neun Bundestagsabgeordneten gegen eine Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte studiert, dem könnte der Verdacht kommen, dass die Kläger womöglich mit der Bismarck-Lösung keine großen Probleme hätten.

Bismarck freilich verfolgte mit dem Diätenverbot antidemokratische Interessen: Er wollte die weniger begüterten Volksschichten vom Parlament fern halten und so ein Korrektiv gegen das allgemeine Wahlrecht schaffen. Daher gab das Grundgesetz in Artikel 48 eine ganz andere Devise aus: "Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung."

Und das Bundesverfassunsgericht hat das in seinem Diätenurteil des Jahres 1975 näher ausgeführt und später nochmals bestätigt: Die Entschädigung des Bundestagsabgeordneten muss danach so bemessen sein, dass er sich seinem Amt in vollem Umfang widmen kann, ohne für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie auf ein anderes Einkommen angewiesen zu sein.

Die Frage drängt sich auf: Reicht es, wenn sich der Abgeordnete angesichts seiner schönen Diäten seinem Amt in vollem Umfang widmen kann, oder muss er dies dann auch tun?

Die Demokratie will keine wirtschaftlichen Eunuchen

Auch darauf geben die höchsten Richter eine, wenn auch versteckte Antwort. Sie warnen nämlich davor, das Mandat zu versilbern: Bezüge aus einem Berater- oder Angestelltenverhältnis, die Abgeordnete deshalb erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, "sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großorganisation vertreten", sind mit dem Mandat unvereinbar. Das sind die verfassungsrechtlichen Prüfsteine für Fälle wie die von Friedrich Merz, Norbert Röttgen oder Reinhard Göhner.

Es wäre lebensfremd, Nebentätigkeiten generell zu verbieten. Die Demokratie will in ihren Parlamenten keine wirtschaftlichen Eunuchen. Sie will aber auch nicht, dass das Mandat der Akquisition anderweitiger lukrativer Tätigkeiten dient. Das Gesetz geht davon aus, dass der Beruf als Bundestagsabgeordneter ein Hauptberuf ist; wer ihn - durch die Fülle von Nebentätigkeiten - zum Nebenberuf macht, verletzt seine Abgeordnetenpflicht.

Und wer sich als Geschäftsführer eines Lobbyverbandes verdingt und dafür bezahlen lässt, dass er sich weisungsgebunden für Lobby-Interessen einsetzt, der ist ein befangener, kein freier Abgeordneter. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing: Das ist ein altes Sprichwort. Zum Repertoire der parlamentarischen Demokratie darf es nicht gehören.

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