LiteraturstreitGratismut

Die Aufregung um Verse Eugen Gomringers ist übertrieben.

Von Kathleen Hildebrand

Symbolträchtig ist der Pariser Platz in Berlin, hier steht das Brandenburger Tor. Hier hat die Kulturstiftung der Berliner Sparkasse nun an ihrem Sitz ein Banner mit Eugen Gomringers Gedicht "avenidas" aufgehängt. Sie protestiert so gegen Studierende der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf, die dieses Gedicht von ihrer Hauswand entfernen lassen wollen, weil sie es als sexistisch empfinden. Die Stiftung will sich mit der Aktion für die Kunstfreiheit einsetzen. Doch sie beweist nur Gratismut, denn die Freiheit der Kunst stand in Berlin gar nicht infrage.

Man muss der Gedichtinterpretation der Hellersdorfer Studenten nicht zustimmen. Es mag gute Gründe geben, ihren Unmut über Gomringers spielerische Verbindung von Bäumen, Frauen und einem männlichen Bewunderer für überzogen zu halten. Dies aber ist auch das Banner der Sparkasse. Die Studierenden haben sich nach hochschulinternen Diskussionen entschieden, das Gedicht an ihrer Wand auszuwechseln. Das ist ihr Recht: Junge Menschen dürfen ein Kunstwerk altmodisch finden, an dem Älteren vielleicht gar nichts Besonderes auffällt.

Die Stiftung tut, als wäre dieser Akt der Selbstverwaltung Zensur, als müsse die Freiheit des Wortes vor den Hochschülern gerettet werden. Dadurch, dass sie ihr Banner nahe dem Brandenburger Tor anbringt, wirkt die Aktion unangemessen staatstragend. Kunst aber lässt sich nicht plakativ verordnen. Man muss über sie streiten.

© SZ vom 23.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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