Literatur:Ein Klassiker auf Zeitreise

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Warum der Roman "Vom Winde verweht" bald anders heißt.

Von Marie Schmidt

Literarische Übersetzer arbeiten viel für wenig Geld und stehen im Schatten der großen Autoren, die sie übertragen. Nur manchmal bekommen sie selbst etwas Glanz ab, etwa wenn eine Neuübersetzung einen Klassiker frisch interpretiert. Manchmal ändern Übersetzer dafür sogar einen ikonischen Titel und signalisieren, dass die Literaturgeschichte umgeschrieben gehört, weil die neue Version genauer ist: So wurde Dostojewskis "Schuld und Sühne" 1994 durch eine neue Übersetzung zu "Verbrechen und Strafe".

Die literarische Herbstsaison, die sich gerade in den Verlagskatalogen ankündigt, bringt wieder eine Neuigkeit: "Vom Winde verweht" heißt jetzt "Vom Wind verweht". Unter diesem Titel erscheint kommenden Januar die Übersetzung von Liat Himmelheber und Andreas Nohl. Der Roman "Gone With The Wind" von Margaret Mitchell, Vorlage für den erfolgreichsten Film aller Zeiten, kam 1936 in den USA heraus. Mitchell starb 1949. 70 Jahre nach ihrem Tod werden die Rechte an dem Werk gemeinfrei, darum bringt der Kunstmann-Verlag die Neuausgabe am ersten Werktag 2020 auf den Markt.

Die bisher einzige deutsche Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach erschien 1937 - auch sie war ein großer Erfolg. Die Deutschen der Kriegs- und Nachkriegszeit identifizierten sich mit Scarlett O'Hara, der Hauptfigur und verwöhnten Tochter eines Baumwollplantagenbesitzers. Sie muss nach dem amerikanischen Bürgerkrieg ihre Existenz neu aufbauen, während die Abschaffung der Sklaverei an ihrem Weltbild nagt. Die Übersetzer der Neuauflage haben nun festgestellt, dass sich der Ton des amerikanischen Originals von dem der deutschen Erstübersetzung stark unterscheidet.

Mitchells sachlicher Stil entspreche dem unsentimentalen Zeitgeist nach dem Ersten Weltkrieg, die erste deutsche Version sei eher neoromantisch geprägt. Der Anfang des Romans gibt einen Eindruck. Im Original heißt er: "Scarlett O'Hara was not beautiful", bei Beheim-Schwarzbach dagegen merkwürdig verdreht: "Scarlett O'Hara war nicht eigentlich schön zu nennen." Die neuen Übersetzer wollen den Roman in einen nüchterneren Ton bringen. Und haben dazu dem Titel eine "prosaische" Form gegeben.

Bei der Neuübersetzung einer Geschichte aus den Dreißigerjahren, die von schwarzen Sklaven und weißen Herrschaften handelt, stellen sich aber auch andere Fragen. Um rassistische Stereotype zu meiden, so die Übersetzer, "gibt es in der Neuübersetzung keine 'Neger' 'Wulstlippen' oder 'rollenden Augen' mehr, sondern 'Schwarze', 'volle Lippen' und 'verdrehte' oder 'weit aufgerissene Augen'". Die Frage, wie man mit Sprache umgeht, die für heutiges Empfinden noch abwertender wirkt als im zeitgenössischen Kontext, stellt sich Übersetzern häufig. Dazu kommt, dass das "black vernacular", die Sprache der Schwarzen in "Gone With The Wind", in der Übersetzung von 1937 als grammatisch falsch und defizitär dargestellt wurde. Das korrigieren Nohl und Himmelheber. Trotzdem zollen sie dem Erstübersetzer Respekt, wollen sich ihm nicht überlegen zeigen, es gehe um einen "neuen Textzugang". Womöglich steht also einem populären Klassiker eine postrassistische Wiederauferstehung bevor.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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