Premierministerin Ingrida Šimonytė will nun ein Buch schreiben, Außenminister Gabrielius Landsbergis verordnet sich eine Pause: Litauen steht vor einem Regierungswechsel. Die christdemokratische Vaterlandsunion, der die beiden Politiker angehören, hat die Parlamentswahl verloren. Sie verzeichnet sogar das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahrzehnten. Haushoch gewonnen haben die Sozialdemokraten, die nun 52 der 141 Parlamentssitze im Seimas erhalten – 39 mehr als vor vier Jahren.
Die Regierung Šimonytė kann eine positive Bilanz ziehen – das Wahlergebnis macht daher auch die Kommentatoren in Litauen etwas ratlos. Das Land steht wirtschaftlich gut da, die Inflation sinkt, die Reallöhne steigen wieder. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) stellt Litauen derzeit bessere Prognosen aus, als dem häufigen Spitzenreiter im Baltikum Estland. Allerdings erging es seit 1991 fast allen Regierungen so wie nun der von Šimonytė – nach einer Legislaturperiode wird ein Wechsel gewählt.
Die Stimmung war schlechter als die tatsächliche Lage
Die Stimmung sei deutlich schlechter als die tatsächliche Situation, konstatierten Beobachter der Wahlen in litauischen Medien schon vor zwei Wochen, nach dem ersten Wahlgang. In Litauen wird das Parlament in zwei Runden gewählt, zunächst geht die Hälfte der Stimmen an die Parteilisten, dann werden Direktkandidaten gewählt.
Nach der ersten Wahlrunde hatte die Vaterlandsunion noch Hoffnungen, in einer Koalition mit den Sozialdemokraten weiter regieren zu können. Doch diese wollen einen Richtungswechsel und streben eine Dreier-Koalition mit der grün-liberalen Vardan Lietuvos (Demokratenunion im Namen Litauens) und dem LVŽS (Bund der Bauern und Grünen) an. Gemeinsam kämen sie auf eine knappe Mehrheit von 74 Sitzen.
Zweitstärkster Bündnispartner wäre die erst zwei Jahre alte Partei Demokratenunion im Namen Litauens. Vertrauensvorsprung hatte sie wohl auch durch bekannte Gesichter – ihr gehören zwei ehemalige Ministerpräsidenten an. Die Partei bezeichnet sich selbst als „offene Mitte-links-Kraft“, will sich für soziale Grundsicherung einsetzen und fordert in ihrem Wahlprogramm eine „ehrgeizige grüne Politik“. Im Europäischen Parlament gehört sie der Grünen-Fraktion an.
Ganz anders der zweite Wunschpartner der Sozialdemokraten: Zwar trägt auch die Partei LVŽS das Wort grün im Namen, hat sich aber im Europäischen Parlament der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) angeschlossen. Dieser gehören etwa die rechtsnationalistische polnische PiS-Partei an sowie Giorgia Melonis Fratelli d’Italia. Inhaltliche und auch persönliche Differenzen könnten die Koalitionsbildung erschweren.

Zudem hat die Vorsitzende der Sozialdemokraten Vilija Blinkevičiūtė sich bisher nicht dazu geäußert, ob sie bereit wäre, den Posten der Premierministerin zu übernehmen. Für die 64-Jährige bedeutet ihr Wahlsieg eine Rückkehr aus Brüssel nach Vilnius. Seit 2009 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament und unter anderem in den Ausschüssen für Soziales und für Frauenrechte tätig.
Auch die Sozialdemokraten unterstützen die Ukraine
Inhaltlich dürfte sie vor allem mit der Demokratenunion viele Gemeinsamkeiten finden. Die Sozialdemokraten hatten mit Steuererleichterungen für Familien, Rentenerhöhungen, besseren Gehältern im öffentlichen Dienst und einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel geworben.
Außenpolitisch wird sich in Litauen wenig ändern: Auch eine Regierung unter den Sozialdemokraten wird fest an der Seite der Ukraine stehen und in seine Verteidigung investieren. „Der Empfang der deutschen Brigade – von dem die Umsetzung der regionalen Verteidigungspläne der Nato abhängt – wird qualitativ hochwertig und zeitnah erfolgen“, heißt es im Wahlprogramm der Sozialdemokraten. Die Bundeswehr will bis zu 5000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren.
Die Christdemokraten werden sich jetzt neu aufstellen müssen. Außenminister Gabrielius Landsbergis, der als starker Fürsprecher der Ukraine innerhalb von EU und Nato international bekannt wurde, will sich nach der Wahlniederlage vorerst aus der Politik zurückziehen und seinen Posten als Vorsitzender seiner Partei niederlegen. Schon länger hatte er mit schlechten persönlichen Umfragewerten zu kämpfen, nun verlor er sein Seimas-Mandat.
Die Oppositionsbank werden sie sich unter anderem mit dem politischen Provokateur und Anti-System-Populisten Remigijus Žemaitaitis teilen müssen. Der bekennende Fan von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump war wegen antijüdischer Äußerungen aus seiner früheren Partei ausgeschlossen worden. Mit seiner neu gegründeten Morgenröte-von-Nemunas-Partei konnte er 20 Sitze erringen. Zusammenarbeiten möchte bisher mit ihm niemand.