Süddeutsche Zeitung

Verteidigungspolitik:"Die Sicherheit Litauens ist auch unsere Sicherheit"

Beim Besuch im Baltikum versucht Verteidigungsminister Boris Pistorius dem Vorwurf entgegenzutreten, die Bundeswehr zeige nicht genug Präsenz an der Nato-Ostflanke.

Von Mike Szymanski, Vilnius

Deutschland und Litauen liegen weiter über Kreuz in der Frage, wie Deutschlands künftiges Engagement zum Schutz der Nato-Ostflanke in dem Partnerland aussehen soll. Auch nach einem Treffen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinem litauischen Amtskollegen Arvydas Anušauskas am Dienstag in Litauen herrscht Unklarheit, wann und ob Deutschland überhaupt noch eine deutsche Kampfbrigade komplett in Litauen stationiert.

Die litauische Seite beruft sich auf eine Ankündigung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) aus dem vergangenen Sommer. Scholz hatte in Aussicht gestellt, einen solchen Kampfverband mit 5000 Frauen und Männern zusätzlich zum Schutz Litauens abzustellen. Er reagierte damit auf den russischen Überfall in der Ukraine.

Deutschland hat seither lediglich den Gefechtsstand der Brigade dauerhaft in Rukla in Litauen stationiert. Dieser umfasst etwa 60 Personen. Der Kern des Verbandes hält sich in Deutschland in Bereitschaft. Anušauskas erklärte im Beisein von Pistorius, dass die Brigade komplett in Litauen gebraucht werde, "weil die Nato-Verteidigungslinie hier anfängt".

Verschiedene Vorstellungen von der Zusammenarbeit

Das Kanzleramt und Pistorius' Ministerium haben andere Vorstellungen von der Zusammenarbeit: Regelmäßig sollen Truppenteile für gemeinsame Übungen nach Litauen verlegt werden. Der Panzergrenadierverband 41 "Vorpommern" stellt derzeit Leute und Material. In diesen Tagen sind beispielsweise 600 Männer und Frauen des Jägerbataillons 413 aus Torgelow für Gefechtsübungen in Litauen.

Pistorius erklärte, die Leute hätten "es drauf", in Litauen für Präsenz und Schutz zu sorgen. Beim Standort der Brigade gehe es weniger um die Frage, "was Deutschland vorhat", sondern was die Nato für richtig und geboten halte. Das Bündnis überarbeitet gerade seine Verteidigungspläne. Es stelle sich die Frage, so Pistorius, was militärisch mehr Sinn ergebe: eine fest stationierte Brigade in Litauen oder "flexibel zu bleiben" entlang der Ostflanke und regelmäßig Präsenz zu zeigen. Darüber werde in den nächsten Monaten gesprochen.

Immerhin haben sich beide Seiten offenbar auf Zwischenschritte verständigt. Eine Arbeitsgruppe auf Expertenebene soll sich um offene Fragen bei der Brigade kümmern. Anušauskas ließ aber keinen Zweifel an seiner Erwartung, dass die deutsche Kampfbrigade kommen müsse. Man habe bereits mit der Planung der Infrastruktur für die Soldatinnen und Soldaten begonnen und bereite Depots für Material und Munition vor. Er machte außerdem die Dringlichkeit deutlich: Man dürfe die Realität nicht aus den Augen verlieren und einfach zusehen, wie Russland aufrüste.

Solange die Infrastruktur noch nicht steht, wünscht sich Litauen zumindest vorerst die "ununterbrochene Präsenz" eines deutschen Bataillons. Als Blaupause könnte der Einsatz des Jägerbataillons 413 aus Torgelow dienen, das derzeit zusammen mit litauischen Einheiten in den Wäldern die Verteidigung des Bündnisgebietes übt.

Die Bundeswehr ist seit 2017 in Litauen stationiert

Am Montagabend war Pistorius zu seinem ersten Besuch bei Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz eingetroffen. Bereits vor seinen politischen Gesprächen hatte er versucht, die schwierige Lage zu entspannen: "Die Sicherheit Litauens ist auch unsere Sicherheit." Bis 1990 habe die Bundesrepublik an der Ostflanke gelegen. "Unsere Sicherheit wurde gewährleistet durch die Nato und ihre Verbündeten." Für ihn als Osnabrücker habe der Anblick britischer Soldaten zum Alltag gehört. Und heute seien "Polen, das Baltikum und andere Länder die Ostflanke".

Die Bundeswehr ist seit 2017 in Litauen stationiert. Als Reaktion auf die Annexion der Krim durch Russland 2014 hatte die Nato ihre Einsatzbereitschaft entlang ihrer Ostflanke mit neuen Truppenverbänden verstärkt und je ein multinationales Bataillon nach Estland, Lettland, Litauen und Polen entsandt. Die Bundeswehr führt den Nato-Verband in Litauen an.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vor einem Jahr hat die Bundeswehr ihre Truppen an der Ostflanke abermals verstärkt. Und Kanzler Scholz hatte die zusätzliche deutsche Kampfbrigade zur Unterstützung zugesagt. Damals warf seine Ankündigung bereits Fragen auf, schließlich verfügt Deutschland bislang selbst nicht über eine komplette deutsche Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen.

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