Süddeutsche Zeitung

Litauen und Lukaschenko:Belarus testet die Grenzen aus

Lesezeit: 2 min

Litauen wirft dem Lukaschenko-Regime vor, illegal Migranten ins Nachbarland zu schicken - als Revanche für Sanktionen. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten ist generell schlecht, aus unterschiedlichen Gründen.

Von Frank Nienhuysen, München

Hunde schnüffelten, ein Hubschrauber kreiste, eine Drohne schwebte, es war ungewöhnlicher Betrieb neulich in Dieveniškės. Meistens ist wenig los in dem Ort, die Bewohnerzahl ist dreistellig, es gibt eine Dorfkirche. Dieveniškės ist eine litauische Grenzgemeinde. Sie liegt zwar nur etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt, klebt aber auf der Landkarte wie ein anhängender Tropfen am Staatsgebiet. Gleich an drei Seiten ist sie von Belarus umgeben - viel Raum für einen illegalen Grenzübertritt. Vor zwei Wochen griffen litauische Grenzschützer dort bei einer Suchaktion in der Nacht 45 Menschen auf, 52 waren es an dem Tag insgesamt. Litauen schlägt nun Alarm.

Der EU-Staat wirft seinem Nachbarn Belarus und dessen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Migranten über die Grenze nach Litauen zu lassen. Im gesamten vergangenen Jahr nahmen die litauischen Behörden 81 Menschen fest, die illegal aus Belarus einreisten; allein in den ersten knapp sechs Monaten dieses Jahres sind es schon weit mehr als 400. Die meisten von ihnen kommen aus dem Irak, einige auch aus Syrien, Afghanistan, Iran, Belarus. Die litauische Regierung kündigte bereits an, die EU-Grenzschutzbehörde Frontex um Hilfe zu bitten. "Es ist offensichtlich, dass es einen hybriden Krieg gegen Litauen gibt und dass illegale Migration eines der Mittel ist", sagte Litauens Innenministerin Agnė Bilotaitė mit Blick auf das Regime in Minsk.

Litauen und Belarus haben eine fast 680 Kilometer lange gemeinsame Grenze, sie ist eine EU-Außengrenze und sollte deshalb besonders gesichert sein. Etwa 40 Prozent des Abschnitts werden elektronisch überwacht, da bleibt noch ein guter Rest, an dem der Baltenstaat nun schnell aufrüsten lassen will. Litauen plant eine komplette elektronische Grenzsicherung mit Kameras bis Ende kommenden Jahres. Sogar über den Bau eines Zauns wird in Vilnius gerade diskutiert. "Wir haben Informationen darüber, dass belarussische Offizielle in den organisierten Transport von Menschen an die Grenze verwickelt sind", sagte Innenministerin Bilotaitė.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis will nun mit den Behörden im Irak und in der Türkei darüber reden, wie die Migrationskette durchbrochen werden könne. "Wir kennen die konkreten Flüge, mit denen die Menschen nach Minsk einreisen, und wir haben darum gebeten, die Kontrollen an ihren Flughäfen zu verschärfen", sagte Landsbergis dem Baltischen Nachrichtendienst BNS. Er wolle auch aushandeln, dass aufgegriffene Migranten zurück in diese Staaten geschickt werden können.

Litauen ist das Zentrum des Widerstandes gegen Minsk

Es gibt unter den 27 EU-Ländern vermutlich keines, das ein so schlechtes Verhältnis zum Lukaschenko-Staat hat wie Litauen. Schon 2005 zog die Europäische Humanistische Universität wegen des autoritären Kurses in Belarus von Minsk nach Vilnius um und bildet dort in freiheitlicher Umgebung akademischen Nachwuchs aus Belarus aus. In den vergangenen Jahren begann der Streit um das erste belarussische Atomkraftwerk in Astrawez, das im vergangenen Jahr nahe der litauischen Grenze ans Netz ging.

Und vor allem: Seit fast einem Jahr sind viele Menschen vor den Repressionen in Belarus nach Litauen geflüchtet, das nun eine Art exiliertes Hauptquartier des politischen Widerstandes ist. Swetlana Tichanowskaja etwa versucht von Vilnius aus die Opposition gegen Lukaschenko zu organisieren. Innerhalb der EU ist der Baltenstaat einer der größten Befürworter scharfer Sanktionen gegen Belarus.

Die Zunahme der illegalen Migration an der belarussisch-litauischen Grenze wird in der litauischen Regierung als "asymmetrische Antwort auf die EU-Sanktionen" gesehen, wie Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas erklärte. Lukaschenko soll nach Berichten litauischer und belarussischer Medien Ende Mai Richtung EU gesagt haben: "Wir haben immer wieder Drogen und Migranten gestoppt - jetzt müsst ihr sie selber essen und schnappen."

Im litauischen Pabrade, nordöstlich von Vilnius, ist jetzt ein provisorisches Lager aufgebaut worden für die Flüchtlinge, die überwiegend ohne Pass ins Land kamen und Asyl beantragten. Litauen weiß: Auch aus Belarus selbst werden weiterhin Menschen kommen: nicht aber auf der Flucht vor Krieg, sondern vor ihrem Machthaber.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5330041
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.