Türkei:Die Lira-Krise schwelt weiter

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Dank schwacher Lira freuen sich viele Touristen über günstige Preise in der Türkei und stehen Schlange vor Luxusgeschäften. (Foto: dpa)
  • Nach 167 Tagen in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis sind zwei griechische Soldaten freigelassen worden.
  • Ein Entlassungsgesuch des inhaftierten US-Pastors wurde zwar abgelehnt, zugleich aber an die nächste Instanz verwiesen.
  • Die türkische Lira hat sich leicht stabilisiert, wegen der nach wie vor niedrigen Preise ist die Nachfrage nach Luxusartikeln groß.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Auf einmal ging alles ganz schnell. Am Mittwochmorgen, kurz nach drei Uhr, landeten zwei griechische Soldaten, Angelos Mitretodis und Dimitris Kouklatzis, auf dem Flughafen Thessaloniki im Norden Griechenlands, begleitet von einem hohen griechischen General und dem stellvertretenden Außenminister. Die hatten die beiden Soldaten in der Nacht im türkischen Edirne in Empfang genommen. 167 Tage hatten die Griechen dort in einem Hochsicherheitsgefängnis gesessen. Der Grund: Bei einer Patrouille an der Grenze waren sie Anfang März bei schlechter Sicht auf die falsche Seite geraten. "Aus Versehen", sagten die Griechen. Ein "Spionageversuch", sagten die Türken und lehnten eine Haftentlassung immer wieder ab, "wegen Fluchtgefahr".

Auch Griechenland und die Türkei sind Nato-Partner, das Schicksal der Soldaten hat das Verhältnis der beiden Staaten schwer belastet. Der Fall hat damit Parallelen zur langen Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson in der Türkei. US-Präsident Donald Trump hatte zuletzt ultimativ die Freilassung des Pastors verlangt und damit die jüngste schwere Krise zwischen Ankara und Washington - mit Strafzöllen und Liraabsturz - ausgelöst. Nach Informationen aus Athen sollen amerikanische Diplomaten in ihren Gesprächen mit Ankara auch die Sorgen um die beiden Griechen thematisiert haben.

Der türkische Außenminister beklagt, in Washington herrsche Uneinigkeit über das Vorgehen

Ihre Freilassung wurde als Geste guten Willens interpretiert, zumal sie jetzt überraschend kam. Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, zeigte sich erfreut, er twitterte: "Wie ich früher schon sagte... die Türkei hat nichts zu fürchten von ihren europäischen Nachbarn. Wir wünschen uns eine demokratische, stabile und wohlhabende Türkei."

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Griechenlands Premier Alexis Tsipras sprach von einem "Akt der Gerechtigkeit", der die "Freundschaft" zwischen den Nachbarn stärken werde. Verteidigungsminister Panos Kammenos dankte seinem türkischen Kollegen Hulusi Akar am Telefon und lud ihn nach Griechenland ein. Eigentlich sollte der nächste Haftprüfungstermin erst am 25. August sein. Warum es nun schneller ging, blieb zunächst offen. Das Gericht erklärte, man habe auf den Handys der beiden nichts Verdächtiges gefunden, der Prozess gegen sie werde aber fortgesetzt, in Abwesenheit.

Ankara hatte auch in diesem Fall offenbar eine Art Gegengeschäft im Blick: die Auslieferung von acht türkischen Soldaten, die nach dem Putschversuch vor zwei Jahren in Griechenland Zuflucht fanden. Von den USA wiederum verlangt Ankara die Überstellung des Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan für den versuchten Militärputsch verantwortlich macht.

Auch im Fall Brunson sah es am Dienstag nach Bewegung aus. Brunsons Anwalt stellte, offenbar auf Anraten aus Washington, ein neues Entlassungsgesuch, unter Berufung auf den Gesundheitszustand des 50-Jährigen. Ein Strafgericht lehnte den Antrag am Mittwochvormittag zwar ab, verwies den Fall aber an die nächsthöhere Instanz, die den Beschluss jederzeit korrigieren könnte. Brunson war seit Oktober 2016 in Haft, jüngst kam er unter Hausarrest. Er wird beschuldigt, Kontakte zu "Putschisten" gehabt zu haben. Die Vorwürfe stützen sich auf unbekannte anonyme Zeugen.

Die Gespräche zwischen Ankara und Washington würden fortgesetzt, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Dienstag in Ankara bei einem gemeinsamen Auftritt mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow. Çavuşoğlu beklagte, in der US-Administration gebe es Uneinigkeit über das weitere Vorgehen. "Einige wollen den Fall Brunson lösen, andere ihn bis zum November hinziehen", bis zu den amerikanischen Zwischenwahlen.

Lawrow nahm in Ankara an der jährlichen Konferenz aller türkischen Botschafter teil. Die Türkei und Russland leiden derzeit unter US-Sanktionen, das verbindet. Aber es gibt auch Trennendes. Lawrow stellte das bei dem öffentlichen Auftritt mit Çavuşoğlu ohne jede Rücksicht auf türkische Interessen klar. So unterstützt Russland in der syrisch-türkischen Grenzprovinz Idlib - gegen türkische Bedenken - eine offenbar bevorstehende Großoffensive der syrischen Armee gegen die dort ausharrenden islamistischen Rebellen. Die Türkei fürchtet eine neue große Flüchtlingswelle. Drei Millionen Menschen lebten in der Region, eine Bombardierung würde eine Tragödie auslösen, sagte Çavuşoğlu. Die Türkei hat in Idlib auch eigene Soldaten stationiert, "deren Leben sei in Gefahr", warnte die Hürriyet Daily News.

Finanzielle Hilfe kann die Türkei in der jetzigen Krise von Russland nicht erwarten. Auch der Wert der russischen Währung ist zuletzt deutlich gesunken. Mit dem Kauf russischer Abwehrraketen vom Typ S-400 hat sich Ankara zudem ebenfalls Ärger in den USA eingehandelt. Präsident Trump hat nun verfügt, dass die Lieferung amerikanischer F-35-Kampfjets an die Türkei erst einmal weiter verzögert wird, bis das Pentagon eine Bewertung der türkisch-amerikanischen Beziehungen abgibt. Dies soll innerhalb von 90 Tagen geschehen. Dabei wird der Kauf der S-400 eine wichtige Rolle spielen. Die Türkei möchte in den kommenden Jahren eigentlich 100 F-35 erwerben. Sie ist seit 1999 Teil der Entwicklung des Jets, türkische Firmen produzieren auch Teile für die F-35. Türkische Piloten dürften aber weiterhin in den USA auf den Maschinen trainieren, hieß es in Ankara.

Die Lira hat sich am Mittwoch leicht stabilisiert. Insgesamt aber ist der Wertverlust dramatisch

Die türkische Lira hat sich am Mittwoch leicht stabilisiert. Hürriyet verband dies mit Erwartungen auf eine Freilassung des US-Pastors. Trotz der Erholung, die schon am Dienstag einsetzte, sind die Verluste der Lira seit Jahresbeginn dramatisch: Zum Dollar betragen sie knapp 40 Prozent, zum Euro etwa 35 Prozent.

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Nachdem die Türkei jetzt für einige amerikanische Produkte - vor allem für Autos, alkoholische Getränke, Tabak und Kosmetik - Strafzölle verhängt hat, werden Preiserhöhungen für viele importierte Waren erwartet. Bis dies geschieht, freuen sich Touristen in der Türkei aber noch über günstige Preise - auch für viele importierte Luxusartikel. Vor einigen Geschäften in Istanbul gab es Schlangen, vor allem von arabischen Gästen.

Die Zölle würden "den einheimischen Produzenten helfen", schrieb das Nachrichtenportal T24. Erdoğan hatte die türkischen Firmen aufgerufen: "Produziert, produziert, exportiert, exportiert." Ein Kellner in der zentralen Fußgängerzone, der İstiklal, sagt der SZ: "Ich werde bald heiraten, ich werde nur türkische Elektrogeräte für meine Hochzeit kaufen." Erdoğan hatte die Türken auch aufgefordert, Dollar und Euro in Lira zu tauschen. Ein Devisenhändler am Istanbuler Taksim-Platz sagte, es habe mehr Andrang gegeben als üblich, "aber wer Geld tauschen will, hat das schon gemacht". Nun sei es wieder ruhig.

© SZ vom 16.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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