Nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause hat auch der FC Bundestag seinen Spielbetrieb aufgenommen. Und zwar mit englischen Wochen, also mit Spielen am Wochenende sowie am Mittwochabend. Es ist wegen Corona ja einiges ausgefallen in den vergangenen Monaten. Den Kern des Teams bilden Mitglieder des Finanzausschusses. Und Fabio De Masi, Linksverteidiger sowie finanzpolitischer Sprecher der Linken, hat jetzt ein Terminproblem: "Ich verpasse öfter die Mittwochsspiele wegen meiner Cum-Ex-Aktivitäten", sagt er.
Das ist eine liebevolle Umschreibung für scharfe Attacken, die er in den Bundestag verlegt hat. Statt zu verteidigen, greift er die politische Konkurrenz in zwei Finanzskandalen an. Cum-Ex ist der Code für den größten Steuerraub der deutschen Geschichte. Banken haben sich Steuern, die sie nie gezahlt hatten, mehrmals erstatten lassen; rund 32 Milliarden Euro. Und dann ist da Wirecard, der große Bilanzskandal. Ein Dax-Konzern wird politisch gehätschelt, während er bandenmäßig betrügt. Anleger verlieren 3,2 Milliarden Euro. In beiden Fällen hat sich De Masi auf Olaf Scholz eingeschossen.
Rot-rot-grün wäre zwar schön, aber hier geht es um die Wahrheit und ums Prinzip
Der Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2021 wird mit Cum-Ex in Verbindung gebracht, weil in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs das alteingesessene Bankhaus Warburg 47 Millionen Euro nicht zurückzahlen musste. Das Problem: Er kann sich nicht mehr richtig an alles erinnern. "Pinocchio-Gate: Olaf Scholz und der Cum-Ex-Banker", schreibt De Masi auf seiner Homepage. Das ist hart. Jeder kennt Pinocchio, die Holzpuppe, deren Nase mit jeder Lüge länger wurde. Darunter findet sich sein Auftritt im Bundestag am vergangenen Mittwoch: "Wir wünschen uns zwar andere politische Mehrheiten im Land, aber wir werden Sie in dieser Angelegenheit nicht schonen", sagt De Masi. Rot-Rot-Grün wäre schön, aber hier geht es um die Wahrheit und ums Prinzip.
Bei Wirecard ist Scholz als Bundesfinanzminister für die Finanzaufsicht zuständig. Weil niemand die Verantwortung für den Betrug übernehmen will, hat die Opposition einen Untersuchungsausschuss durchgesetzt, ausgerechnet im Wahljahr.
Wie wird ein Linker zum führenden Fi-nanzskandal-Aufklärer? Wahrscheinlich so ähnlich wie De Masi fast alles in seinem Leben geworden ist: Es hat sich immer ir-gendwie zufällig so ergeben. So stellt er das jedenfalls dar. Nach seinem VWL-Diplom in Hamburg kam er wegen einer Jugendliebe nach Berlin, "ohne Job, ohne nichts". Um durchzukommen, putzte er sonntagmorgens die Partyklos in einem Elektro-Club in der Pappelallee, und dann? "Kam die Linke in den Bundestag."
Von 2005 an arbeitete der Deutsch-Italiener De Masi mit Unterbrechungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter für verschiedenen Abgeordnete, auch für Sahra Wagen-knecht, die so etwas wie seine politische Ziehmutter wurde. Nebenbei wollte er ei-gentlich nur mal ein paar Vorlesungen an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht besuchen - und plötzlich hatte er noch einen Masterabschluss in Internationaler Volkswirtschaftslehre. Er trat als "eigentlich aussichtsloser Kandidat" bei der Europawahl an und zog 2014 ins Europäi-sche Parlament ein. Er wurde 2017 als Neuling in den Bundestag gewählt und stieg gleich zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden bei den Linken auf. Er hat ei-gentlich gar nichts gegen Olaf Scholz - und jetzt könnte er den SPD-Kanzlerkandidaten zu Fall bringen, bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat. De Masi ist da ein Jäger wider Willen. Er sagt: "Ich mache das nicht gerne gegen Scholz, aber ich habe meinen Stolz als Parlamentarier."
Seine Eitelkeit rechtfertigt er damit, dass er den Eindruck hat, etwas kompensieren zu müssen
Willst du als Politiker einer kleinen Partei bekannt werden, sagt De Masi, musst du mehr Fakten wissen als andere, schneller sein, immer. Um Mitternacht wird eine Kurznachricht beantwortet, am nächsten Morgen sind weiterführende Links im Postfach. Auf Twitter findet man einen Schlagabtausch mit dem wichtigsten Staatssekretär von Olaf Scholz. De Masi hat zwei Zeitungsausschnitte zum Cum-Ex-Skandal in Hamburg gepostet, mit dem Hashtag "Gedächtnislücken". Wolfgang Schmidt (SPD) verteidigt seinen Chef im vertrauten " Du". Scholz und Schmidt kennen De Masi aus Hamburger Zeiten. Scholz lässt sich nie selbst auf die Anwürfe des Linken ein. Aber man weiß, dass es Abgeordnete gibt, die Scholz weniger wertschätzt.
2014 kommt De Masi ins Europäische Parlament. "Ich habe mir den Grünen Sven Giegold angeschaut, wie der mit Themen durchdringt." Er konzentriert sich auf Finanzskandale: erst den Sonderausschuss Lux Leaks. Dann den Untersuchungsausschuss Panama Papers. Im Bundestag geht es so weiter. Untersuchungsausschuss Wirecard, Sondersitzungen zu Cum-Ex. Die Financial Times erhebt ihm zum Chefaufklärer. "Ein großer Teil des politischen Drucks ist von De Masi gekommen", schreibt das Blatt der internationalen Finanzelite. De Masi erklärt von N-TV bis zur New York Times, was schiefläuft in der Finanzpolitik. Für seine Arbeit hat er zuletzt so viel Applaus bekommen, dass er aufpassen muss, nicht für seine Eitelkeit verspottet zu werden. "Eitel ist man. Punkt. Bin ich auch, weil Politik eine Droge ist", sagt er. Es hat ihm zum Beispiel aber auch gefallen, dass er vor Jahren bei einem Spiel des stets im Nationaldress antretenden FC Bundestag von einem jungen Zuschauer mit dem Ex-Nationalspieler Sami Khedira verwechselt wurde. Der Junge bat um ein Autogramm und De Masi hat seinen Klarnamen dann halt unleserlich hingekritzelt.
Seine Eitelkeit als Politiker rechtfertigt er auch damit, dass er den Eindruck hat, etwas kompensieren zu müssen. Als Vertreter der Linken habe man es auf dem Gebiet der Finanzpolitik besonders schwer. Oft läuft das so, aus seiner Sicht: Er deckt mal wieder was auf, und die Grünen stauben dazu einen O-Ton in der Tagesschau ab, während sein eigener Laden nicht mitzieht. "Das führt auch zu Kränkungen", sagt De Masi. Die Linkspartei sucht gerade neue Parteivorsitzende. Und in der Gerüchteküche fiel immer mal wieder der Name Fabio De Masi. Eine Weile hat er sich tatsächlich überlegt anzutreten, aber jetzt plant er genau das Gegenteil. Er wird sich wohl aus der Berufspolitik zurückziehen und bei der Bundestagswahl nicht mehr antreten. Das erinnert an die Fälle von Jan van Aken und Stefan Liebich, die ebenfalls überparteilich geschätzte Fachpolitiker der Linken waren, bevor sie sich reichlich entnervt aus dem Tagesgeschäft verabschiedeten.
De Masis Rückzug ist noch nicht spruchreif, aber es klingt schon sehr nach Abschied, wenn er sagt: Er und sein Büro hätten "etwas gerockt, in der Zeit, als wir da waren. Es war mir wichtig, so in Erinnerung zu bleiben." Gleichwohl soll es dieser Tage noch mal ein Personalgespräch mit seinem Fraktionschef Dietmar Bartsch geben. Wer weiß, was da herauskommt? Einem, der nur in eine Vorlesung reinschnuppern will und mit einem Master rauskommt, ist zuzutrauen, dass er plötzlich für den Parteivorsitz kandidiert, obwohl er nur Tschüss sagen wollte.