Linkspartei im Saarland:Unappetitliche Bruderkämpfe

Bundestagswahl

In der Kritik: Oskar Lafontaine

(Foto: dpa)

Der einst so starke Landesverband der Linken im Saarland versinkt in Schlammschlachten. Eine neue Spitze soll ihn retten.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Ach, was ist aus der Saar-Linken geworden? Einst war sie eine Vorzeigetruppe, stark, stolz, mit Oskar Lafontaine als Wähler-Magnet. Im Frühjahr war immerhin vorstellbar, dass SPD und Linke die erste rot-rote Regierung in einem Flächenland der alten Bundesrepublik stellen. Es kam bekanntlich anders, nun regiert wieder eine große Koalition.

In der von Lafontaine geführten Fraktion im Landtag klappt die Arbeit. Noch jedenfalls. Die Partei aber ist verstrickt in inbrünstige und unappetitliche Bruderkämpfe, die viele Mitglieder nicht mehr verstehen und akzeptieren. Die Saar-Linke liegt am Boden. Nun soll ein Führungswechsel auf dem Landesparteitag am Samstag den Untergang verhindern.

Einer, der inständig auf einen Neuanfang hofft, ist Dennis Lander, 24 Jahre alt, jüngster Abgeordneter des Landtags und seit gerade einmal zwei Jahren aktiv bei der Linken. Er kann sich die Schlammschlachten nicht vollends erklären, die Wurzeln des Zwistes liegen vor seiner Zeit. Sicher weiß der junge Mann hingegen, dass sich alsbald etwas ändern müsse, personell, inhaltlich und im Miteinander, wenn die Landespartei überleben soll. "Wenn ein Wechsel auf dem Parteitag nicht gelingt, wird es für die Linke im Saarland sehr, sehr schwer", sagt Lander.

Ansonsten sieht es bitter aus

Bodenständige und angesehene Altvordere sprechen ebenfalls von einer bedrohlichen Lage. Zu ihnen zählt Heinz Bierbaum, Jahrgang 1946, ein linker Gewerkschafter und Betriebswirtschaftsprofessor, der in Westdeutschland seinen Weg über die WASG, die "Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit", in die Partei fand und bis 2017 im Saarbrücker Landtag Fraktionsgeschäftsführer war. Heute engagiert sich Bierbaum in der Europapolitik, die heimatlichen Verhältnisse bekümmern ihn aber weiter. Über die Wechselpläne sagt er: "Hoffen wir mal, dass es klappt. Ansonsten sieht es bitter aus, dann ist der Niedergang im Saarland kaum noch aufzuhalten."

Die Verhältnisse sind tatsächlich desolat. Schuld daran sind rivalisierende Führungszirkel, deren Mitglieder sich, wie im Saarland üblich, seit Langem kennen und einander inzwischen spinnefeind sind. Grob gesagt geht es um eine Gruppe um den Landes-Schatzmeister und Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze und dessen Gegner. Zu letzteren zählt, so berichten es Parteikenner, inzwischen auch Lafontaine. Lutze hatte es nach der Einheit aus Leipzig ins Saarland verschlagen, er war damals noch bei der PDS und wurde später ein Mitarbeiter Lafontaines im Wahlkreis. Damals herrschte noch ein höflicher Ton.

Die Zeiten ziviler Gesprächskultur sind in den oberen Riegen längst vorbei. Es fliegen die Fetzen - und die verstörten Mitglieder verstehen die linke Welt nicht mehr. Wortführer beider Gruppen überziehen sich mit Parteiausschluss-Forderungen und schweren Vorwürfen, Gerichte waren und sind mit den Konflikten beschäftigt. Lutze musste sich gegen Vorwürfe wehren, er habe bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl 2017 Unterstützer auf unredliche Weise engagiert. Er wies die Anschuldigungen vehement zurück. Die Kandidatenliste stand im Sommer auf der Kippe, nur mit Bauchgrimmen ließ die Landeswahlleiterin sie letztlich zu.

Oskar Lafontaine sind die Niederungen zuwider

Die Lage im Landesvorstand eskalierte. Schriftführer Adolf Loch rief die Wähler im Sommer öffentlich auf, der Linken zwar die Zweitstimme zu geben, Lutze aber nicht zu wählen. Landeschefin Astrid Schramm, eine nach allgemeinem Bekunden gutwillige, wenngleich überforderte Vorsitzende, bekam die Dinge nicht in den Griff. Sie stand, so erzählen mehrere Linke, einst auf ganz gutem Fuße mit Lutze; inzwischen gilt ihr Verhältnis als zerrüttet.

Mit Politik, Flügelstreitereien und ideologischen Differenzen, so meint der junge Abgeordnete Lander, sei das Tohuwabohu nicht zu erklären: "Ursache sind Altlasten, meist persönlich begründet. Es sind keine Strömungsauseinandersetzungen." Er spricht von "Grabenkämpfen", aus denen er und der Jugendverband sich so gut wie möglich herauszuhalten versuchten.

Nun soll, so die Hoffnung, eine neue Mannschaft an der Parteispitze versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Schramm ist gewillt, den Chefposten zu räumen, als Nachfolger stünde Fraktionsgeschäftsführer Jochen Flackus bereit, ein langjähriger Vertrauer Lafontaines und wie dieser früher einmal Sozialdemokrat. Jedenfalls dann, wenn die Bedingungen stimmen und es Aussicht auf bessere Zusammenarbeit gibt. Ob Kompromisse und damit eine Kandidatur von Flackus möglich sind, wird seit Längerem hinter verschlossenen Türen diskutiert. Die Lage ist offenkundig verzwickt. Unterhändler meldeten am Donnerstag, noch gebe es keine Übereinkünfte. Diskutiert wird auch eine Änderung beim Prozedere der Listenaufstellung. Die solle nicht mehr von allen interessierten Mitgliedern abgestimmt werden, sondern von eigens gewählten Delegierten, um Manipulationen vorzubeugen.

Bleibt die Frage, warum Flackus, der von Vernünftigen in der Partei als erfrischend rational und durchsetzungsfähig beschrieben wird, sich dieses Amt zumuten möchte. Um zu verhindern, dass die Parteimisere die Fraktion ansteckt und die Linke an der Saar Geschichte wird, sagen Kenner in Saarbrücken. Lafontaine ist jetzt 74 Jahre alt, bei der nächsten regulären Landtagswahl 2022 wird er nicht mehr antreten, ein Nachfolger mit ähnlich starker Strahlkraft ist nicht in Sicht.

Zum Parteitag am Samstag in Völklingen will Lafontaine nicht kommen. Aus seinem Missmut über die eigentümlichen Zustände daheim hat er zwar nie einen Hehl gemacht. Aber in diese Niederungen wolle er, der einstige Staatsmann, nicht mehr herabsteigen, sagen Leute, die sich auskennen. Sie haben durchaus Verständnis für Lafontaine. Vielleicht auch, weil er mit seinem seinerzeit hoch umstrittenen und fehlgeschlagenen Versuch, die Ex-Tennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch 2013 zur saarländischen Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl zu machen, die Fehden in der Partei befördert hatte.

Die Saar-Linke entscheidet am Samstag mithin auch über die Zeit nach Lafontaine. Dennis Lander jedenfalls hofft inständig, dass eine neue Spitze schnell neues Einvernehmen bringt. Ansonsten sehe es nämlich düster aus. "Viele Mitglieder sagen mir, dass sie noch am Wochenende austreten, wenn sich nichts Grundsätzliches ändert, beim Personal, der Aufarbeitung der vergangenen Monate oder in der Diskussion zur Einführung eines Delegiertensystems", sagt Lander.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: