Krise bei der Linken:Wissler soll die Partei zunächst alleine führen

Wissler will Linke alleine weiterführen

Soll vorerst alleine als Chefin der Linken fungieren: Janine Wissler.

(Foto: dpa)

Susanne Hennig-Wellsow tritt als Vorsitzende der Linken zurück und hinterlässt eine ratlose Partei. Bei einer Krisensitzung stellte sich der Parteivorstand am Abend hinter Co-Chefin Janine Wissler.

Von Moritz Baumann und Philipp Saul, Berlin

Susanne Hennig-Wellsow, die Vorsitzende der Linkspartei, ist am Mittwoch zurückgetreten. Die Partei benötige "eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung", schrieb sie in einer persönlichen Erklärung. Es sei nun Zeit für "neue Gesichter". Erst im Februar 2021 hatte Hennig-Wellsow mit Janine Wissler die Führung der Linkspartei übernommen, sie lösten das langjährige Führungsduo Katja Kipping und Bernd Riexinger ab.

Doch die Linkspartei kämpft seither mit Problemen: Sie schnitt schwach bei der Bundestagswahl ab, es gab Streit über Putin-Sympathisanten in den eigenen Reihen, dann der Absturz bei der Landtagswahl im Saarland und jetzt der Sexismus-Skandal im hessischen Landesverband. Hennig-Wellsow nannte zudem familiäre Gründe für diesen Schritt, sie ist Mutter eines achtjährigen Sohnes.

"Die vergangenen Monate waren eine der schwierigsten Phasen in der Geschichte unserer Partei", erklärte Hennig-Wellsow. "Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben." Dabei räumt sie auch eigene Versäumnisse ein, ohne jedoch konkret zu werden: "Ich weiß um die vermeidbaren Fehler, die ich selbst gemacht habe."

Co-Chefin Janine Wissler will die Partei nun vorerst allein weiterführen, erfuhr die SZ am Mittwochabend aus Parteikreisen. Ein Antrag, ihr das Vertrauen bis zum Parteitag im Juni auszusprechen, wurde im Bundesvorstand bei zwei Enthaltungen angenommen.

Der Rücktritt kommt wenige Tage, nachdem der Spiegel über mutmaßliche sexuelle Übergriffe im hessischen Landesverband berichtete. Dokumente und Aussagen von Betroffenen lieferten demnach "Hinweise auf mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur" - auch gegenüber Minderjährigen. Co-Chefin Janine Wissler war zu der Zeit Fraktionsvorsitzende in Hessen, die Anschuldigungen richten sich auch gegen ihren damaligen Lebensgefährten. Vorwürfe, sie sei zu lange untätig geblieben oder habe Täter aus den eigenen Reihen geschützt, wies sie zurück. "Ich habe sofort gehandelt, als mir derartige Vorwürfe bekannt wurden", teilte Wissler mit.

Bei einer Krisensitzung des Parteivorstands am Mittwochabend mahnte Wissler eine Aufarbeitung an. "Vorwürfe von Sexismus innerhalb der Partei, sexuellen Übergriffen, Belästigung: Das muss alles auf den Tisch", sagte sie in der Sitzung. "Als Linke müssen wir da einen höheren Anspruch haben."

Wissler will dafür nach SZ-Informationen die Vertrauensgruppe, die der Parteivorstand im Oktober für Opfer sexualisierter Gewalt eingerichtet hatte, umbauen. "Ich glaube, dass wir heute sagen müssen, dass ein ehrenamtlich arbeitendes Gremium, das nicht speziell ausgebildet ist für solche Fälle, dass das einfach nicht reicht, dass wir eine andere Struktur brauchen, dass wir qualifizierte externe Hilfe brauchen." Es sei notwendig, in der Partei eine Kultur zu schaffen, "in der Sexismus offen widersprochen wird".

Dafür setzt die Linke nun auf externe Unterstützung. Es soll "eine unabhängige Beratungsstruktur eingerichtet werden, die aus erfahrenen Frauen aus feministischer Anti-Gewaltarbeit und Betroffenenunterstützung besteht", heißt es in einem Beschluss des Parteivorstands. Darüber hinaus sollen Vertrauensgruppen auch in Landes- und Kreisverbänden gegründet, ein Unterstützerpool aus Anwälten und Psychologen aufgebaut und die parteiinternen Regeln geändert werden. Täter müssten mit der Entbindung von Parteiämtern, dem Entzug des Stimmrechts oder dem Ausschluss von Sitzungen rechnen. "Es tut uns leid, dass wir nicht früher reagiert haben", entschuldigte sich die Parteiführung.

Der Rücktritt ihrer Co-Chefin kam indes auch für Wissler überraschend. In ihrem Statement entschuldigte sich Hennig-Wellsow bei den Betroffenen. Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen habe "eklatante Defizite" offengelegt.

Bevor sie im vergangenen Jahr in den Bundestag gewählt wurde, war Hennig-Wellsow 17 Jahre lang Abgeordnete im Thüringer Landtag, seit 2014 auch als Fraktionsvorsitzende. Dort sorgte sie für Schlagzeilen, als sie aus Protest dem mit den Stimmen der AfD frisch gewählten FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße warf. Die Botschaft: Man paktiere nicht mit Rechten.

Nach ihrer Wahl zur Linken-Vorsitzenden hofften viele Mitglieder auf einen ähnlich klaren Kurs innerhalb der Partei. Nach nur einem Jahr stellte Hennig-Wellsow nun ernüchtert fest: "Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen."

Nach SZ-Informationen forderten in der digitalen Krisensitzung mehrere Vorstandsmitglieder, darunter Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler, dass beim Parteitag im Juni die gesamte Parteispitze neu gewählt wird. Doch allein mit neuen Köpfen, so mahnten einige Redner an, werde der Partei der Neustart nicht gelingen.

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