Süddeutsche Zeitung

Linkspartei:Ausgerechnet Wagenknechts Rede löst die Selbstblockade

Die Fraktionsvorsitzende spaltet mit ihren Aussagen zur Einwanderungspolitik. Dennoch löst sie eine Diskussion aus, mit der sich die Linke von ihrer Politikunfähigkeit befreien kann.

Kommentar von Jens Schneider, Leipzig

Zwei Tage lang hat die Linkspartei auf ihrem Parteitag genau das leidvolle und traurige Bild abgegeben, das sie seit mehr als einem Jahr präsentierte. Seit Freitagabend war in Leipzig eine Partei der leeren Rituale und der Selbstblockade zu erleben. Es wurde viel geredet von vielen, ohne dass einer die allen bekannten internen Konflikte direkt anging, und nicht nur in Randbemerkungen. Der Parteitag war die meiste Zeit ein trauriges Exempel für die Politikunfähigkeit einer tief zerstrittenen Führungscrew, die auf Inszenierungen setzen wollte, weil sie keinen Ausweg aus ihrem Streit wusste. Die Delegierten mussten sich ein ums andere Mal anhören, wie wichtig die Einigkeit der Partei sei - und erlebten dann, wie in kleinen Spitzen der tiefe Zwist zum Vorschein kam. Zwei Tage ging das so, dann überraschte die Linke sich selbst, und wohl auch viele politische Beobachter. Sie hat gezeigt, dass sie mehr kann, als Intrigen zu pflegen und leere Floskeln zu verabschieden.

Dabei ist schon paradox, dass ausgerechnet die Rede der Partei-Ikone Sahra Wagenknecht diesen Moment des Aufbruchs auslöste. Wagenknecht trug eine Hauptverantwortung für die verfahrene Lage der Linken, weil sie abseits der Partei und deren Gremien in einer Art von politischem Autismus ihrer eigenen politischen Agenda folgte. Sie weiß, dass sie sich als begabteste Rednerin der Linken einiges herausnehmen kann. Sie hat es nicht nötig, sich des Rückhalts der Gremien zu versichern. Vor und in Leipzig aber hatte sie es zu weit getrieben. Gemeinsam mit ihrem Mann Oskar Lafontaine stellte Wagenknecht in Interviews das Selbstverständnis der Linkspartei in der Flüchtlingspolitik infrage. Sie propagierte den Abschied von der Formel "Offene Grenzen für alle", die zumindest einem Teil der Partei geradezu heilig ist. Sie deutete nur an, was sie damit meinte, dass nämlich Menschen, die aus wirtschaftlicher Not etwa aus Afrika nach Deutschland kommen wollten, nicht aufgenommen werden sollten: Man müsse an die Menschen denken, die in hierzulande im Niedriglohnsektor um ihre Jobs fürchten müssen. Da werde durch die Migration der Druck erhöht.

Es ist tatsächlich infam, wenn ihr deshalb vorgeworfen wird, ihre Positionen seien "AfD-light", sie wolle einen Rechtsruck. Wagenknecht hat das Asylrecht nicht infrage gestellt. Sie will Menschen in Not helfen. Aber sie will eine andere Politik der Linken, sie hat mit Tabus der Partei gespielt, um sie zu verschieben. Ihr ist vorzuwerfen, dass sie dafür nicht die Debatte in der Partei suchte, sich als Neben-Partei gerierte.

Die Debatte über den Leitantrag, der die Partei auf offene Grenzen festlegte, ignorierte sie. Doch ein wichtiger, wortgewaltiger Teil der Genossen mochte ihr das nicht durchgehen lassen. Man stellte sie zur Rede. Für einen Moment kam es zu Tumulten, aber danach zu einer beachtlichen Debatte von einer Ernsthaftigkeit, wie sie auf der Linken dringend nötig war und weiter ist. Die einstündige Diskussion drehte sich um Fragen, die in diesem Spektrum viele umtreiben, auch wenn sie Wagenknechts Haltung rigoros ablehnen: wie eine gute und richtige Einwanderungspolitik aussehen sollte. Es war ein Anfang, die Linke will das fortsetzen; und nur wenn sie das tatsächlich ernst nimmt, könnte sie sich mit dem kurzen Aufruhr von Leipzig selbst befreit haben.

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SZ vom 11.06.2018/been
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