Linksextremismus:Mit Schlagstöcken gegen Neonazis

Linksextremismus: Die Angeklagte Lina E. verbirgt ihr Gesicht, während sie mit ihrem Anwalt Erkan Zünbül spricht

Die Angeklagte Lina E. verbirgt ihr Gesicht, während sie mit ihrem Anwalt Erkan Zünbül spricht

(Foto: Jens Schlueter/AFP)

Linksextremisten sollen mehrere Rechtsradikale überfallen und manche von ihnen schwer verletzt haben. Im Zentrum des Prozesses steht nun die Frage: War die Hauptangeklagte Lina E."Kommandoführerin" einer kriminellen Vereinigung?

Von Antonie Rietzschel, Dresden

Der Hochsicherheitsaal des Oberlandesgerichts Dresden liegt im Nirgendwo, zwischen Autobahnausfahrt und Justizvollzugsanstalt. Trotzdem ist er am Mittwochvormittag voll besetzt, zumindest soweit es die Corona-Bestimmungen zulassen. Hinter dem Sicherheitsglas, das Publikum und Verfahrensteilnehmer trennt, drängt sich eine Gruppe junger Männer und Frauen. Als sich schließlich eine der Seitentüren öffnet, bricht bei ihnen Jubel aus. Sie klatschen, als Justizmitarbeiterinnen Lina E. hereinführen, die sich einen blauen Hefter vor das Gesicht hält.

Für ihre Unterstützer ist Lina E. ein Opfer eines repressiven Rechtsstaats, wenn nicht sogar eine Heldin. Für die Bundesanwaltschaft gilt sie als Anführerin einer linksextremen und militanten Gruppe, die seit 2018 Neonazis ausspähte und mindestes sechs gezielte Überfälle beging. Eines der Opfer erlitt dabei "lebensbedrohliche Verletzungen", heißt es in der Anklageschrift. Das Vorgehen sei "methodisch und professionell" gewesen.

Lina E. und ihre Mitstreiter hätten sich berechtigt gefühlt, "ihre politische Überzeugung mit Gewalt durchzusetzen", sagt der Bundesanwalt Bodo Vogler zu Prozessbeginn. Ein solches Vorgehen trage zur Radikalisierung der Gesellschaft bei. Es widerspreche dem demokratischen Prinzip eines friedlichen Meinungsaustauschs. Lina E. und zwei Mitangeklagten werden neben der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gefährliche Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensbruch sowie Sachbeschädigung vorgeworfen, einem weiteren Angeklagten nur Sachbeschädigung und Urkundenfälschung. E. sitzt als Einzige von ihnen in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft begründet das mit ihrer herausgehobenen Funktion als "Kommandoführerin".

Die 26-Jährige ist ursprünglich in Kassel aufgewachsen. Zuletzt lebte die Studentin jedoch in Leipzig, im linksalternativen Stadtteil Connewitz, der auch gewaltbereiten Autonomen auch als Rückzugsort gilt. Im Januar 2016 fielen 250 Rechtsextreme in das Viertel ein, zerschlugen Fensterscheiben und warfen Sprengsätze. Seitdem kursieren im Internet lange Listen mit Namen, Fotos und sogar die Wohnorte lokaler Rechtsextremer. Mithilfe dieser Listen sollen Lina E. und ihre Mitstreiter ihre Opfer ausgesucht haben. Sie spähten laut Anklage deren Häuser aus, wussten auch teilweise über den Alltag ihrer Zielpersonen Bescheid.

Eines der Opfer erleidet Frakturen an der Wirbelsäule

Im Herbst 2018 fingen mehrere Vermummte den Neonazi-Schläger und ehemaligen NPD Stadtrat Enrico B. vor seiner Wohnung in Leipzig ab, verprügelten ihn und versprühten Pfefferspray, er erlitt Gesichtsverletzungen und einen Bruch der Kniescheibe. Wenige Wochen später überfielen mehrere Personen Cedric S., der gerade auf dem Weg zum Fußballtraining war. Mit einem Schlagstock prügelten die Täter auf ihn ein, beschimpften ihn als "Nazi-Schwein". S. erlitt mehrere Prellungen und Frakturen an der Wirbelsäule.

Diese Taten ordnet die Generalbundesanwaltschaft der "Gruppe E." zu, ebenso den Überfall im Dezember 2019 auf den Betreiber einer Kneipe im thüringischen Eisenach, die als Treffpunkt Rechtsextremer gilt. Mit Eisenstangen und Hämmern sollen sie auf Leon R. und dessen Begleiter eingeschlagen haben. Zu diesem Zeitpunkt wurde Lina E. bereits von der Polizei überwacht, so erfuhren die Ermittler, dass ein weiterer Angriff auf einen Leipziger Neonazi geplant war. Lina E. soll dessen Wohnung ausgespäht haben, mit Perücke und Brille verkleidet. Bevor es zu einem Angriff kommen konnte, nahm die Polizei sie fest.

Es gibt sogar Socken mit dem Slogan "Free Lina" zu kaufen

Seitdem erfährt die junge Frau eine starke Solidarisierung in der linken Szene. "Free Lina"-Slogans prangen in Leipzig ganz klein an Stromkästen oder als riesiges Graffito an Häuserwänden. Es gibt Socken oder T-Shirts mit dem Schriftzug zu kaufen. Für eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude organisierten Unterstützer eigens einen Bus. "Antifaschismus ist kein Verbrechen, sondern legitim", heißt es in einer mehrseitigen Erklärung, die ein Sprecher des "Solidaritätsbündnisses" an Pressevertreter verteilt. Die bei den Gewalttaten verletzten Neonazis werden darin als "vermeintliche Opfer" bezeichnet, die Ermittlungen der nicht ganz unumstrittenen Soko Linx und die Einschätzung der Generalbundesanwaltschaft in Zweifel gezogen.

Das tun auch die Anwälte der Angeklagten. Als nach mehrfachen Unterbrechungen und Disputen mit dem Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats endlich die Anklageschrift verlesen ist, sprechen die Anwälte in ihren Erklärungen von einer "willkürlichen Auswahl von Einzeltaten", die nicht als Aktionen einer gemeinschaftlichen Gruppe gewertet werden könnten. Außer dass es sich bei den Opfern um Neonazis handelt, gebe es keine Gemeinsamkeiten. Mal wurden Waffen benutzt, mal nicht. "Das ist eine Vereinigung, die keiner kennt", sagt einer der Anwälte.

In ihrer Anklageschrift hat die Bundesanwaltschaft selbst angemerkt, das genaue Gründungsdatum der Gruppe E. nicht zu kennen, ebenso wenig die genaue Zahl der Unterstützer. Ob es die "Gruppe E." wirklich gegeben hat und ob deren Anführerin wirklich die Studentin aus Leipzig war, das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Das Gericht hat Prozesstage bis März angesetzt.

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