Süddeutsche Zeitung

Linksextremismus in Deutschland:Wo die Gewalt beginnt

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Sicherheitspolitiker sind ratlos: Immer mehr Straftaten gehen auf das Konto von Linksextremisten, doch keiner weiß, mit wem man es da eigentlich zu tun hat. Die RAF hatte zum Ziel, Krieg gegen den Staat zu führen. Heute reicht ein anarchisches Selbstgefühl, um Autos anzuzünden und Brandsätze zu legen. Dagegen helfen keine Gesetze.

Joachim Käppner

Es ist ein hübsches Ritual, das sich jedes Jahr vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar wiederholt. Linke Demonstranten lamentieren draußen auf der Straße gegen eine Nato-Weltverschwörung, die nur in ihrer Phantasie existiert; drinnen räsonieren Bayerns Regierungspolitiker über die Bedrohung durch Heerscharen schwarz vermummter Autonomer, die freilich niemals auftauchen.

Die Sicherheitspolitik ist nämlich ratlos: Sie weiß nicht wirklich, mit wem sie es heute eigentlich zu tun hat, wenn sie von Linksextremisten spricht. Das ist umso irritierender, weil die Zahl der Straftaten, die diesen zugeordnet werden, seit Jahren steigt - auch wenn sie sich, anders als rechtsextreme Gewalt, weniger gegen Menschen richtet. Aber erst jetzt, durch die gezielten Anschläge auf den Berliner Bahnverkehr, wird sich die Öffentlichkeit des Phänomens wirklich bewusst.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, warnt schon, auch der Terror der RAF habe mit Gewalt gegen Sachen begonnen - "später wurden Menschen ermordet". Aber ganz so einfach ist das nicht. Die RAF entstand doch gerade aus dem Willen heraus, Krieg gegen den Staat und seine Repräsentanten zu führen, diese zu entführen und zu töten. Seit dem Ende der linken Terrorgruppe ist das hochideologisierte geistige Umfeld, das oft gebildete junge Menschen zu Killern werden ließ, bis auf Restbestände ausgetrocknet.

Die Autonomen, die in den Neunzigern auf Demos gegen Nazis und Castortransporte randalierten, waren da schon näher an der heutigen Szene - aber, konzentriert auf großstädtische Hochburgen wie Berlin und Hamburg, eine für die Verfassungsschützer halbwegs überschaubare Gruppe von Polit-Militanten.

Der neue Linksextremismus ist diffus

Jetzt ist das anders. Der neue Extremismus von links ist weit diffuser, er kommt eher aus dem wachsenden Protestmilieu, das seinen Nährboden in der Krise des Kapitalismus findet - das gegen Globalisierung ist und Militäreinsätze, aber auch gegen steigende Mieten und die Aufwertung städtischer Kieze. Anschlagsziele sind Jobcenter, Ausländerämter, Bundeswehrfahrzeuge, "Bonzenautos", sogar Privathäuser von Politikern.

Teils, wie die Brandanschläge auf Hunderte Autos in Berlin zeigen, genügt ein irgendwie anarchisches Selbstgefühl, das in Vandalismus und Gewalt umschlägt. Teils gehören Studenten dazu, aber auch Menschen aus den Unterschichten oder junge, entwurzelte Migranten, die in Berliner Mainächten Steine auf die Polizei werfen und selbst nicht recht wissen warum.

In Griechenland, Frankreich oder Großbritannien hat sich aus ähnlichen Milieus eine sehr militante, destruktive Protestszene gebildet. Davon ist Deutschland zwar noch entfernt, aber undenkbar ist eine ähnliche Entwicklung längst nicht mehr. Dagegen helfen nicht neue Gesetze und Polizisten, sondern vor allem klare, bisher nicht konsequent ausgesprochene Abgrenzungen der sozialen Bewegungen gegenüber jeder Gewalt.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2011
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