Linksalternative Partei in Spanien:"Wir können" kommt an

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(Foto: AFP)
  • In Spanien deutet sich das Ende des Zwei-Parteien-Systems an, da mit der linksalternativen Partei Podemos ("Wir können") eine neue Kraft in den Umfragen führt.
  • Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy könnte im Herbst sogar sein Amt an den jungen Podemos-Chef Pablo Iglesias verlieren.
  • Die etablierten Parteien haben gravierenden Korruptionsaffären zu tun. Außerdem werden sie für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht.

Von Thomas Urban, Madrid

Das Neue Jahr begann für den spanischen Regierungschef Mariano Rajoy mit schlechten Nachrichten: Die von ihm geführte konservative Volkspartei (PP) ist in den Umfragen auf 19,2 Prozent abgerutscht. Bei den letzten Wahlen 2011 hatte sie noch 44,6 Prozent der Wähler hinter sich und die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen. Erstmals führt die vor gerade neun Monaten gegründete linksalternative Partei Podemos ("Wir können") mit 28,7 Prozent.

Die Gruppierung, hervorgegangen aus der Protestbewegung 15-M, die am 15. März 2011 eine Massenkundgebung gegen soziale Einschnitte organisiert hatte, liegt damit auch mehr als fünf Punkte vor den Sozialisten (PSOE). Sie hatten sich von ihrem neuen Parteichef Pedro Sánchez einen Aufschwung in der Wählergunst erhofft. Doch der telegene und sportliche Wirtschaftsprofessor liegt auch nur auf dem dritten Platz in der Popularitätsskala der Politiker.

Ein linker Premier hätte Folgen für ganz Europa

Die führt mit großem Vorsprung der blasse, stets ein wenig gehemmt wirkende neue König Felipe VI. an, vor Podemos-Chef Pablo Iglesias. Iglesias, der einen Pferdeschwanz trägt und auch Dozent für Volkswirtschaft ist, profiliert sich vor allem aber als scharf formulierender und schlagfertiger Fernsehmoderator.

Sollte sich diese Tendenz bis zu den Parlamentswahlen im Herbst halten, würde dies das Ende für Rajoys Sanierungsprogramm bedeuten. Dank kräftiger Einschnitte im öffentlichen Dienst und bei Sozialleistungen, die indes vor allem auf Kosten der Arbeitslosen und der unteren Einkommensgruppen gingen, hat er innerhalb von zwei Jahren das Land aus der Rezession geführt. Überdies hat Rajoy stets den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Eurokrise gestützt. Sollte er im Spätherbst sein Amt an einen Politiker aus dem linken Lager abtreten müssen, würde dies somit Folgen für ganz Europa haben.

Für Spanien zeichnet sich das Ende des Zwei-Parteien-Systems ab, das seit dem Übergang zur Demokratie nach dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 die Politik dominierte: Bislang wechselte sich die PP, die aus einer franquistischen Gruppe hervorging, an der Regierung ab mit der PSOE. Nun haben beide Parteien ähnliche Probleme: Sie werden für die Immobilienblase verantwortlich gemacht, deren Platzen vor sieben Jahren zur schweren Wirtschaftskrise mit knapp 25 Prozent Arbeitslosigkeit geführt hat, und sowohl führende Konservative wie Sozialisten sind in gravierende Korruptionsaffären verstrickt.

Die PSOE hat einige ihrer in Verdacht geratenen Spitzenleute abserviert, darunter die politische Führung in ihrer Hochburg Andalusien, und sie hat mit Sánchez einen unverbrauchten und sympathischen Frontmann gekürt. Dagegen erweckt die PP vor allem den Eindruck, sie wolle die Affären aussitzen, von ein paar Bauernopfern abgesehen. Zu diesen wird der frühere langjährige PP-Schatzmeister Luis Bárcenas gerechnet, der sich seit knapp zwei Jahren wegen des Verdachts doppelter Buchführung mit Schwarzgeldkonten in Untersuchungshaft befindet.

Aufschwung oder Chaos

Die PP beschränkt sich öffentlich darauf, die Echtheit der offenbar von Bárcenas' Anwälten der Presse zugespielten Listen über Geldzuweisungen an Politiker anzuzweifeln. Doch eine zerstörte Festplatte aus der PP-Zentrale sowie Versuche, über den Generalstaatsanwalt und das Justizministerium eifrige Untersuchungsrichter von den Fällen abzuziehen, haben ein überaus negatives Echo in der Presse gefunden.

Der spröde Rajoy steht unter besonderem Druck, denn sein Name steht auch auf den Bárcenas-Listen. Auch fordert ein Teil der konservativen Presse, allen voran die Madrider Tageszeitung El Mundo, auf die sich die PP früher verlassen konnte, eine gründliche Untersuchung und unerbittliche Ahndung aller Korruptionsfälle. Die Meinungsforscher haben überdies festgestellt, dass wegen all der PP-Affären ein Teil ihrer traditionsbewussten Anhängerschaft bei den kommenden Wahlen zu Hause bleiben oder aus Protest gar ihre Stimme Podemos geben möchte.

Erwartbare Gegenstrategie: Die Beschwörung einer Gefahr für die ganze Gesellschaft

Rajoy gab nun aber die Parole aus, das Land werde im Herbst vor der Wahl zwischen "Aufschwung und Chaos" stehen. Er setze auf die "schweigende Mehrheit", die schon die Massenproteste von 15-M vor vier Jahren als Bedrohung ansah. Die PP-Wahlkampfstrategen werden das Wirtschaftsprogramm von Podemos, das bislang nur in Konturen erkennbar ist, als Bedrohung der gesamten Gesellschaft darstellen, und vor allem der Mittelklasse.

Im Wahlkampf soll der Madrider Presse zufolge auch der frühere Premier José Maria Aznar mobilisiert werden, der vor Jahresfrist gejammert hatte, Rajoy grenze ihn aus. Allerdings gehen mehrere große Korruptionsaffären wie auch die Immobilienblase auf Aznars Amtszeit 1996 bis 2004 zurück, überdies hatte er die Konflikte mit dem Baskenland und Katalonien verschärft.

Möglicherweise soll dies nun wieder die Rolle Aznars sein: Die PP warnt vor Gefahren für die Einheit der Nation, ein Thema mit großer mobilisierender Wirkung. Deshalb lehnt Rajoy jeden Dialog über eine Lösung des Konflikts mit der Führung in Barcelona ab, die Katalonien in die staatliche Unabhängigkeit führen will.

Deshalb zeigt sich die PP auch nicht an der Fortsetzung des Friedensprozesses im Baskenland interessiert, den die konservative Regionalregierung in Vitoria-Gasteiz vorantreibt: An diesem Wochenende wurden zwölf Verteidiger von Eta-Terroristen festgenommen, weil es angeblich finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung einer Hilfsorganisation für die Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft gab.

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