Linken-Chef blickt zurück:Klaus Ernst kämpft mit den Elementen

Die Reisekosten, der Porsche, das Einkommen: Für viele war Klaus Ernst der Buhmann des Sommers. Auf seiner Berghütte sinniert der Linken-Chef über Oskar Lafontaine und kritisiert die eigene Partei: "Mich ärgert die Unvernunft, die ich teilweise erlebe."

Daniel Brössler, Ellmau

Manchmal wird es Klaus Ernst doch zu viel. In solchen Augenblicken denkt er ans Aufgeben. Gestern war so ein Tag. Da hat Ernst sein Gepäck durch den tiefen Schnee den steilen Abhang hoch geschleppt, dabei vorsichtig die Skipiste überquert, das uralte Holzhaus aufgesperrt, Feuer gemacht und den Wasserhahn aufgedreht. Aber da kam nichts. Die eingefrorene Leitung wieder flott zu kriegen, hat ein paar Stunden gekostet.

Ried-Hof

Die Hütte des Anstoßes: Weil sich Klaus Ernst im Sommer bei einem Interview vor der falschen Hütte filmen ließ, brach ein Sturm der Entrüstung los: Kritiker warfen dem Linken-Chef vor, dass er seinen aufwändigen Lebenstil vertuschen wolle.

(Foto: ddp)

Stunden, in denen sich Ernst gefragt hat, ob er die Mühe noch lange auf sich nehmen soll, die so eine alte Almhütte macht. Tags darauf erzählt Ernst das seinem Gast und natürlich läuft da das Wasser schon wieder. Die Alm, sagt Ernst, wird er nicht aufgeben. Überhaupt soll es darum offenbar gehen bei diesem Gespräch auf einer Tiroler Almhütte. Ums Nicht-Aufgeben.

Ernst bittet herein und sagt gleich, dass hier normalerweise Journalisten keinen Zutritt hätten. Die 300 Jahre alte Holzhütte ist ausgestattet mit einfachen Bauernmöbeln. "Ein Museum", sagt Ernst. Er trägt ein verwaschenes Holzfällerhemd, das einmal orange gewesen sein muss. Seit 22 Jahren pachtet Ernst den Tiroler Ried-Hof. Strom gab es damals so wenig wie heute. Am Balkon ist lediglich eine kleine Solarzelle angebracht. "Damit ich mein Handy aufladen kann", erläutert Ernst. Auf dem alten Gasherd köchelt die Grießnockerlsuppe. Es simmert ein Tafelspitz.

Im Sommer war Ernsts Alm ins Gerede gekommen wegen des etwas kuriosen Vorwurfs, er habe bei einem Fernseh-Interview absichtlich eine falsche, weniger luxuriöse Hütte präsentiert. In Wahrheit sei es halt einfacher gewesen so, sagt Ernst. Die Kritik habe ihn "gewaltig geärgert, weil das mit Luxus nichts zu tun hat. Das ist das Gegenteil von Luxus. Das ist im Winter eher die Auseinandersetzung mit den Elementen."

Ärger gibt es genug

Im Mai wurde Ernst zusammen mit Gesine Lötzsch zum Vorsitzenden der Partei Die Linke gewählt. Es gab seitdem - mittlerweile eingestellte - staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Ernst wegen angeblich betrügerischer Reisekostenabrechnungen. Es hat leidenschaftliche Diskussionen gegeben über die Höhe der Ernst'schen Bezüge, die er nur beenden konnte durch Verzicht auf einen Teil seiner Einkünfte. Überdies verharrt die Linke in den Umfragen konstant unter ihrem 11,9-Prozent-Resultat bei der Bundestagswahl im Herbst 2009. Ernsts bayerischer Landesverband suhlt sich zudem seit längerem im Chaos.

Ärger gab es also genug und doch scheint es, als habe ausgerechnet die Geschichte mit der Alm Ernst am meisten aus der Fassung gebracht. "Freiwild" sei er geworden, sagt Ernst. "Ich habe das einfach ertragen müssen. Ich habe das ertragen müssen, dass unterstellt wurde, ich hätte dem deutschen Fernsehpublikum eine falsche Alm präsentiert. Ich habe ertragen müssen, dass mir unterstellt wurde, ich würde im Luxus und in Saus und Braus leben", klagt der Linken-Chef.

Als Ernst die Suppe serviert, ist er wieder zufrieden. Die Grießnockerl sind schön in Form geblieben. Vom Küchentisch aus hat man einen herrlichen Blick auf den Wilden Kaiser. In dieser Tiroler Idylle lässt das ZDF den Bergdoktor drehen. Wer Ernst hier an seinem Herd gesehen hat, wird Mühe haben, sich den Mann noch in der Kantine des Karl-Liebknecht-Hauses vorzustellen, der linken Parteizentrale in der Nähe des Alexanderplatzes. Die Schwierigkeit, die aus Ostsozialisten und Westlinken zusammengefügte Partei in einer politischen Heimat zusammenzuführen, verkörpert niemand besser als Klaus Ernst selbst.

Er habe "falsch eingeschätzt, in welcher Weise Teile der Partei auf Medienberichterstattung über meine Bezüge reagieren", räumt Ernst ein. Der Bayer macht geltend, dass man nicht auf "Hartz-Niveau leben muss, wenn man gegen Hartz ist" und auch gegen Armut sein kann, "wenn man nicht am Hungertuch nagt". Es sind Sätze, denen niemand widersprechen wird, die aber nichts zu tun haben mit Ernsts Problem, damit nämlich, dass einer wie er, der gern gut lebt und es zeigt, zur Reizfigur werden muss in einer Partei, deren Grundton das Klagelied ist.

Ideale, so makellos wie die Tiroler Bergwelt

Nach der Suppe serviert Ernst den Tafelspitz. Wichtig, erklärt er, sei die Zubereitung in einer ordentlichen Gemüsebrühe. Das Fleisch ist zart geworden, das freut Ernst. Dann redet er über seine Partei. Es ärgere ihn "die Unvernunft, die ich teilweise erlebe". Sodann malt er ein Ideal, so makellos wie die Tiroler Bergwelt. Die Partei habe doch einen Zweck, nämlich "die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen".

Linken-Chef Ernst: Ruecktrittsforderung war Einzelmeinung

Es war kein angenehmer Sommer für Linken-Chef Ernst - nun sitzt er auf seiner Hütte in Tirol und sinniert darüber, warum er ins Gerede kam.

(Foto: ddp)

Der Gast weiß nicht recht, ob er sich mit oder über Ernst wundern soll, als dieser feststellt, in Wirklichkeit gehe es aber noch zu vielen "um ganz andere Ziele und Motive". Fraktionschef Gregor Gysi hat einmal über den Spinner-Anteil in seiner Partei geklagt. "Einige sind bereit, mit allem, was sie haben, dafür einzutreten, dass ein Punkt, der keinen Hund hinter dem Ofenrohr hervorlockt, ins Programm geschrieben wird. Dafür sind sie auch bereit, in der Öffentlichkeit übereinander herzufallen", jammert nun auch Ernst. "Debatte ist gut. Aber die Diffamierung der eigenen Leute muss aufhören."

Es schwingt Selbstverteidigung mit in so einem Satz und vielleicht Ernsts Ahnung, dass er das schwierigste Jahr als Linken-Vorsitzender noch gar nicht hinter sich hat. "Die Wahlergebnisse des kommenden Jahres werden zum Maßstab für den Erfolg der Partei und ihrer Führung", sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, jüngst in einem Interview. Die Drohung darin hört jeder, der um das feine Netz der Feindschaften weiß, das sich über die Linke gelegt hat. Der Ost-West-Konflikt ist dabei nur einer der Konflikte, aber es gibt ihn. "Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder und Funktionäre im Osten findet die neue Linke gut. Aber wir haben einige Leute, die sich nicht damit abfinden können, dass es jetzt nicht mehr die alte PDS gibt. Diese Leute haben durch die Fusion an Einfluss verloren", klagt Ernst.

Ernst will kämpfen - ganz klassisch

Am Küchentisch auf der Alm erzählt Ernst gerne von seiner Lehre als Elektromechaniker, Fachrichtung Elektronik, Ende der sechziger Jahre in München. "Spulen wickeln. Eins, zwei, aufwickeln, Tauchbad, Wusch." Den ganzen Tag. Ernst berichtet davon, wie er sich gewehrt habe, Jugendvertreter wurde und Gewerkschafter und schließlich zum einflussreichen Bezirksbevollmächtigten der IG Metall in Schweinfurt.

Ernst findet, dass er vom Kapitalismus aus eigener Anschauung mehr versteht, als mancher in seiner Partei, und mit vielem, was er dort hört, kann er wenig anfangen. Von der Strömung etwa, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert. "Das ist einfach Quatsch", sagt Ernst, weil "schwer finanzierbar und Gleichmacherei auf unterem Niveau". Ernst will lieber für höhere Löhne, Renten und Sozialleistungen kämpfen. Ganz klassisch.

In der Hütte wird es langsam duster, Ernst entzündet die Gaslichter. "Tapfer" werde er sich in der Partei zur Wehr setzen, verkündet er. Und, wenn man es recht versteht, nicht viel anders machen als bisher. Wenigstens mehr Unabhängigkeit zeigen vom alten Saarländer, wurde ihm geraten. Ernst aber denkt gar nicht daran, sich von Oskar Lafontaine, dem Gründungsvater, zu distanzieren. Lafontaine mache doch seinen Job sehr gut. "Wenn er in eine Talkshow geht, dann hat er eine hervorragende Wirkung. Wir wären bescheuert, würden wir das nicht nutzen. Wer Oskar in den Hintergrund drängt, will die Linke schwächen." Hier oben klingt das sehr entschlossen.

Ein paar Tage auf der Alm bleiben ihm noch. Dann muss er runter. In Berlin warten sie schon.

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