Süddeutsche Zeitung

Linkspartei:Wagenknecht gegen Gysi

Im Ringen um eine Position zum Angriff Russlands auf die Ukraine überziehen zwei Ikonen der Linken einander mit heftigen Attacken. Der Streit spiegelt interne Verwerfungen wider - und kommt der Parteiführung äußerst ungelegen.

Von Jens Schneider

Es sind schon diese beiden Namen, die dem Konflikt in der Linken so eine enorme Aufmerksamkeit verleihen - auch wenn viele Spitzenfunktionäre ihn wohl gern als erledigt ansehen. Die zwei Partei-Ikonen Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi haben sich, öffentlich, was sonst bei diesen beiden, über den Krieg in der Ukraine einen scharfen Wortwechsel geliefert, in Briefen und Erklärungen. Gysi warf seiner Genossin "Emotionslosigkeit" vor, Wagenknecht findet, das grenze an "Rufmord".

Man könnte das als Angelegenheit zweier exaltierter Persönlichkeiten betrachten. Geradezu unnötig finden den Streit manche Spitzenpolitiker der Linken, als schädlich für die Partei, Doch es könnte auch gut sein, dass da mit besonderer Härte ein Konflikt ausgetragen wird, der viele in der Linken innerlich zerreißt und in der Partei neue Trennlinien schafft.

Es geht um die Frage, ob sich die Welt auch für die Linke mit der von Wladimir Putin befohlenen Invasion in der Ukraine verändert hat, und inwieweit sie jahrelang gepflegte Haltungen in Frage stellt - oder eben gerade nicht. "Müssen nicht auch wir über uns nachdenken, eine gewisse Zäsur begreifen?", schrieb Gysi in einem Brief an Parteifreunde, die er nicht mehr verstehen kann. Ausgelöst wurde seine Wut durch den Umgang von Sahra Wagenknecht und sechs anderen Abgeordneten der Linken-Fraktion mit der Entscheidung der Bundesregierung nun auch Waffen an die Ukraine zu liefern und Sanktionen zu verhängen.

Wie in der Linken üblich gab es seit Beginn der Invasion eine gehörige Zahl an Erklärungen, auch ein Ringen um den richtigen Weg, auch wenn - wie einige aus ihren Reihen betonen - sie als kleinste Oppositionspartei bei alledem wenig bis nichts zu entscheiden haben. Die offizielle Linie, von der Mehrheit der Bundestagsfraktion getragen, zeugt auch schon von diesem Ringen. In der Bundestagsdebatte am Sonntag formulierte die Fraktionschefin Amira Mohamed Ali die Position. "Dieser Krieg ist eine Zäsur, auch für uns als Linke", erklärte sie gemeinsam mit den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow.

Wie weit sollte die Linke dem Weg der Regierung folgen?

Klar verurteilten sie Putins Vorgehen als Angriffskrieg und verbrecherischen Akt, der Konsequenzen haben sollte. Die Linken-Führung sprach sich für Sanktionen "gegen Putin, die Oligarchen und die russische Rüstungsindustrie sowie weitere Maßnahmen, die Russlands Staatsspitze wirksam treffen" aus. Und bestand auf eine Unterscheidung: "Sanktionen, die aber die breite, arbeitende Bevölkerung treffen, lehnen wir ab." Vor allem aber wollten sie der Bundesregierung nicht bei der Entscheidung folgen, Waffen an die Ukraine zu liefern und die Ausgaben für die Bundeswehr massiv zu erhöhen.

Dem vorangegangen waren interne Debatten, wie weit die Linke dem Weg der Regierung folgen sollte. Das Ergebnis ging einer Gruppe von sieben Abgeordneten um Sahra Wagenknecht zu weit. Auch sie verurteilten den russischen Angriff. Aber sie lehnen auch Wirtschaftssanktionen ab, und ihre Erklärung war stark bestimmt von Klagen über die Nato und die USA. Die Pläne der Bundesregierung werteten sie als "kritiklose Übernahme der vor allem von den USA in den letzten Jahren betriebenen Politik", bei der sie eine maßgebliche Mitverantwortung für die aktuelle Lage sehen.

Gregor Gysi empfand ihren Duktus als "entsetzlich emotionslos" gegenüber dem Leid der Menschen in der Ukraine und sah seine Genossen gefangen in alten Feindbildern, die nicht die Realität sehen wollen. Dass sie keinerlei Sanktionen gegen Putin und seinesgleichen wollten, empörte ihn ebenso wie ihr kategorisches Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine.

Es herrscht Sehnsucht nach einer einheitlichen Linie

Wagenknecht reagierte getroffen auf die Vorwürfe - und setzte zum Gegenangriff an. "Dass uns für diese Erklärung jetzt aus den eigenen Reihen öffentlich vorgeworfen wird, wir würden Putins Angriffskrieg relativieren oder es an Empathie gegenüber den Opfern mangeln lassen, ist an Charakterlosigkeit nicht zu überbieten", schrieb sie in einer Erklärung. Wer die Positionen der Linken verändern wolle, solle eine Debatte führen, statt die eigenen Leute in den Medien mit Schmutz zu bewerfen.

Das soll der aktuell letzte Stand des Austauschs von eher undiplomatischen Noten sein, so ist aus der Bundestagsfraktion zu hören. Das muss nicht bedeuten, dass die internen Debatten beendet sind. Aber an einem öffentlichen Streit hat die Spitze wenig Interesse. Es herrscht nach dem Fiasko bei der Bundestagswahl mit nur 4,9 Prozent große Sehnsucht nach einer einheitlichen Linie. So hält man sich einstweilen an das, was alle eint. "Es muss jetzt alles unternommen werden, um diesen Krieg Russlands sofort zu beenden und die Situation zu entspannen statt weiter eskalieren zu lassen", forderte an diesem Dienstag Sevim Dağdelen für die Fraktion, sie ist Obfrau im Auswärtigen Ausschuss. "Nur so können Völkerrecht und Diplomatie wieder Geltung verschafft werden." Da könnten vermutlich alle Beteiligten unterschreiben.

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