Linke Szene:Die Hafenstraße - für manche ein Feindbild und politisches Spukschloss

12 000 Menschen ziehen für den Erhalt der Hafenstraße durch die Stadt, schon damals wird heiß diskutiert, wer denn schuld an Ausschreitungen ist. Ein NDR-Reporter erlebt "eine Schlagstock-Attacke und Reizgas der Polizei zu einem Zeitpunkt, als auch der potenziell militante Teil der Demonstration friedlich war. Das wurde von allen Teilnehmern als Bruch der Absprachen empfunden."

Aber noch immer stehen 1986, wie eine Stein gewordene Herausforderung, die Häuser weiterhin vor der spektakulären Kulisse von Elbe, Schiffen und Werften auf dem Elbhang, eine Trutzburg, auf deren Wände jemand drohend gemalt hat: "Bei Räumung und Prügel kriegen Steine Flügel".

Was immer die harte linke Szene damals an Straftaten begangen hat, und das ist einiges (etwa die Verwüstung des Hamburger taz-Redaktion wegen unliebsamer Berichte), viele in der SPD betrachten die Häuser ohnehin als ein politisches Spukschloss, deren Bewohnern man alles Böse zutraut oder einfach unterstellt: RAF-Nähe, Terror, Kommandozentrale der Gewalt. Linksextremisten hätten dank einer Leninschen Unterwanderungsstrategie die Regie unter den Hausbesetzern übernommen, behauptet Hamburgs Verfassungsschutzchef damals, ohne Beleg.

Wenn Hamburgs Innenbehörde Gründe sucht, die linke Bastion als "Brutstätte von Gewalt und Kriminalität" loszuwerden, liefern ihr die militanteren Bewohner und Unterstützer nicht wenige davon. Einmal geht ein solcher Steinhagel auf Bereitschaftspolizisten nieder, dass der Einsatzleiter "wegen bestehender Lebensgefahr" den Rückzug anordnet. Andererseits ist die Dauerklage über den angeblich "rechtsfreien Raum Hafenstraße" nicht wirklich überzeugend in einem Viertel, das in den Achtzigern wesentlich härtere Probleme als Hausbesetzer kennt: Heroinhandel, Zwangsprostitution im Rotlichtmilieu, organisierte Schwerkriminalität.

Aber auf dem Höhepunkt der Eskalation im November 1987 warten 5000 Beamte auf das Signal, die Barrikaden und Häuser zu stürmen. Innerhalb der Barrikaden sieht es zu dieser Zeit freilich nicht ganz so wild aus. Es gibt finstere, vermummte Gestalten und Autonome, welche die Aussicht auf eine Straßenschlacht offenbar als so erhabene Sache empfanden wie Ernst Jünger das Stahlgewitter.

Doch die meisten wirken wenig bedrohlich: sehr junge Leute, Spontis, Alternative, Aussteiger und Irgendwie-Linke; die Punkband Goldene Zitronen singt bei einem Fest sogar einmal ein hinterlistiges Spottlied auf die Straßenkämpfer, die so ernst und finster gucken.

Es ist die Besonnenheit eines Einzelnen, der 1987 die Lage rettet: Klaus von Dohnanyi, der distinguierte Erste Bürgermeister der Stadt, Sohn des 1945 von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi, lässt sich weder von der Militanz der linken Szene noch von Hardlinern im eigenen Lager beeinflussen.

Der Sozialdemokrat versteht, dass es andere Wege gibt als immer nur Härte. Dass der Rechtsstaat nicht untergeht, wenn er militanten jungen Menschen, die fraglos zu weit gegangen sind, ein letztes Mal die Hand zu reichen versucht. Er stellt den Besetzern ein Ultimatum: "Die Hafenstraße hat eine letzte Chance", sagte er.

"Dora - komm in die Flora, die so viele Reize hat. Sie liegt am Schulterblatt."

Und es funktioniert. Die Barrikaden und die Befestigungen an den Häusern werden wie verlangt binnen 24 Stunden beseitigt. Stadt und Bewohner schließen einen später immer wieder von Scharmützeln unterbrochenen, insgesamt aber seit fast drei Jahrzehnten haltbaren Frieden. Für diesen "beispielhaften Beitrag zur Befriedung und Konfliktbewältigung" wurde der Erste Bürgermeister mit der Theodor-Heuss- Medaille geehrt.

Heute wird, wie damals an der Hafenstraße, von konservativer Seite der Abriss der Roten Flora gefordert. In der Kaiserzeit ein beliebtes Varieté ("Dora - komm in die Flora, / die so viele Reize hat. / Sie liegt am Schulterblatt, / ist ganz in deiner Näh', / das schönste Varieté"), sollte es 1989 endgültig abgerissen und durch einen Musicalpalast ersetzt werden.

Aus Protest besetzten Linke das Gebäude, über das nun so wild debattiert wird wie vor 30 Jahren über die Hafenstraße. Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt bemängelte zumindest "die sinnentleerte Gewalt" der Krawallnacht. Viel wird davon abhängen, ob die Aktivisten und ihr Umfeld bereit sind, demokratische Spielregeln anzuerkennen und sich von den jüngsten Gewaltexzessen zu distanzieren.

Wo liegt die Grenze der Toleranz? Klaus von Dohnanyi hat sie weit gesteckt, sehr weit - und damit eine Großstadt befriedet, die schon den Bürgerkrieg heraufziehen sah. Man kann manches davon lernen. Guter Wille auf beiden Seiten vorausgesetzt.

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